Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Effi Briest
aber in seiner Treue war er womöglich noch ge¬
wachsen. Er wich seiner Herrin nicht von der Seite.
Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch
als ein Wesen auf niederer Stufe. Nachts lag er
vor Effi's Thür auf der Binsenmatte, morgens, wenn
das Frühstück im Freien genommen wurde, neben
der Sonnenuhr, immer ruhig, immer schläfrig, und
nur wenn sich Effi vom Frühstückstisch erhob und
auf den Flur zuschritt und hier erst den Strohhut
und dann den Sonnenschirm vom Ständer nahm,
kam ihm seine Jugend wieder, und ohne sich darum
zu kümmern, ob seine Kraft auf eine große oder kleine
Probe gestellt werden würde, jagte er die Dorfstraße
hinauf und wieder herunter und beruhigte sich erst,
wenn sie zwischen den ersten Feldern waren. Effi,
der freie Luft noch mehr galt, als landschaftliche
Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt
meist die große, zunächst von uralten Rüstern und
dann, wo die Chaussee begann, von Pappeln besetzte
große Straße, die nach der Bahnhofsstation führte,
wohl eine Stunde Wegs. An allem freute sie sich,
atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps-
und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬
steigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und
Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei
klang ein leises Läuten zu ihr herüber. Und dann

Effi Brieſt
aber in ſeiner Treue war er womöglich noch ge¬
wachſen. Er wich ſeiner Herrin nicht von der Seite.
Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch
als ein Weſen auf niederer Stufe. Nachts lag er
vor Effi's Thür auf der Binſenmatte, morgens, wenn
das Frühſtück im Freien genommen wurde, neben
der Sonnenuhr, immer ruhig, immer ſchläfrig, und
nur wenn ſich Effi vom Frühſtückstiſch erhob und
auf den Flur zuſchritt und hier erſt den Strohhut
und dann den Sonnenſchirm vom Ständer nahm,
kam ihm ſeine Jugend wieder, und ohne ſich darum
zu kümmern, ob ſeine Kraft auf eine große oder kleine
Probe geſtellt werden würde, jagte er die Dorfſtraße
hinauf und wieder herunter und beruhigte ſich erſt,
wenn ſie zwiſchen den erſten Feldern waren. Effi,
der freie Luft noch mehr galt, als landſchaftliche
Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt
meiſt die große, zunächſt von uralten Rüſtern und
dann, wo die Chauſſee begann, von Pappeln beſetzte
große Straße, die nach der Bahnhofsſtation führte,
wohl eine Stunde Wegs. An allem freute ſie ſich,
atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps-
und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬
ſteigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und
Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei
klang ein leiſes Läuten zu ihr herüber. Und dann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0520" n="511"/><fw place="top" type="header">Effi Brie&#x017F;t<lb/></fw> aber in &#x017F;einer Treue war er womöglich noch ge¬<lb/>
wach&#x017F;en. Er wich &#x017F;einer Herrin nicht von der Seite.<lb/>
Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch<lb/>
als ein We&#x017F;en auf niederer Stufe. Nachts lag er<lb/>
vor Effi's Thür auf der Bin&#x017F;enmatte, morgens, wenn<lb/>
das Früh&#x017F;tück im Freien genommen wurde, neben<lb/>
der Sonnenuhr, immer ruhig, immer &#x017F;chläfrig, und<lb/>
nur wenn &#x017F;ich Effi vom Früh&#x017F;tücksti&#x017F;ch erhob und<lb/>
auf den Flur zu&#x017F;chritt und hier er&#x017F;t den Strohhut<lb/>
und dann den Sonnen&#x017F;chirm vom Ständer nahm,<lb/>
kam ihm &#x017F;eine Jugend wieder, und ohne &#x017F;ich darum<lb/>
zu kümmern, ob &#x017F;eine Kraft auf eine große oder kleine<lb/>
Probe ge&#x017F;tellt werden würde, jagte er die Dorf&#x017F;traße<lb/>
hinauf und wieder herunter und beruhigte &#x017F;ich er&#x017F;t,<lb/>
wenn &#x017F;ie zwi&#x017F;chen den er&#x017F;ten Feldern waren. Effi,<lb/>
der freie Luft noch mehr galt, als land&#x017F;chaftliche<lb/>
Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt<lb/>
mei&#x017F;t die große, zunäch&#x017F;t von uralten Rü&#x017F;tern und<lb/>
dann, wo die Chau&#x017F;&#x017F;ee begann, von Pappeln be&#x017F;etzte<lb/>
große Straße, die nach der Bahnhofs&#x017F;tation führte,<lb/>
wohl eine Stunde Wegs. An allem freute &#x017F;ie &#x017F;ich,<lb/>
atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps-<lb/>
und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬<lb/>
&#x017F;teigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und<lb/>
Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei<lb/>
klang ein lei&#x017F;es Läuten zu ihr herüber. Und dann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[511/0520] Effi Brieſt aber in ſeiner Treue war er womöglich noch ge¬ wachſen. Er wich ſeiner Herrin nicht von der Seite. Den Jagdhund behandelte er wohlwollend, aber doch als ein Weſen auf niederer Stufe. Nachts lag er vor Effi's Thür auf der Binſenmatte, morgens, wenn das Frühſtück im Freien genommen wurde, neben der Sonnenuhr, immer ruhig, immer ſchläfrig, und nur wenn ſich Effi vom Frühſtückstiſch erhob und auf den Flur zuſchritt und hier erſt den Strohhut und dann den Sonnenſchirm vom Ständer nahm, kam ihm ſeine Jugend wieder, und ohne ſich darum zu kümmern, ob ſeine Kraft auf eine große oder kleine Probe geſtellt werden würde, jagte er die Dorfſtraße hinauf und wieder herunter und beruhigte ſich erſt, wenn ſie zwiſchen den erſten Feldern waren. Effi, der freie Luft noch mehr galt, als landſchaftliche Schönheit, vermied die kleinen Waldpartieen und hielt meiſt die große, zunächſt von uralten Rüſtern und dann, wo die Chauſſee begann, von Pappeln beſetzte große Straße, die nach der Bahnhofsſtation führte, wohl eine Stunde Wegs. An allem freute ſie ſich, atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps- und Kleefeldern herüber kam, oder folgte dem Auf¬ ſteigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunnen und Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging. Dabei klang ein leiſes Läuten zu ihr herüber. Und dann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/520
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/520>, abgerufen am 29.03.2024.