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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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Nebel steigen; ich denke, Frau Dörr ist nun fort
und wir treffen die gute Alte allein. Sie weiß
von allem und hat den ganzen Tag über immer
nur ein und dasselbe gesagt."

"Und was?"

"Daß es so gut sei."


Frau Nimptsch war wirklich allein, als Botho
und Lene bei ihr eintraten. Alles war still und
dämmerig und nur das Herdfeuer warf einen Licht¬
schein über die breiten Schatten, die sich schräg durch
das Zimmer zogen. Der Stieglitz schlief schon lange
in seinem Bauer und man hörte nichts als dann
und wann das Zischen des überkochenden Wassers.

"Guten Abend, Mutterchen," sagte Botho.

Die Alte gab den Gruß zurück und wollte von
ihrer Fußbank aufstehen, um den großen Lehnstuhl
heran zu rücken. Aber Botho litt es nicht und
sagte: "Nein, Mütterchen, ich setze mich auf meinen
alten Platz."

Und dabei schob er den Schemel ans Feuer.

Eine kleine Pause trat ein; alsbald aber begann
er wieder: "Ich komme heut, um Abschied zu nehmen
und Ihnen für alles Liebe und Gute zu danken,
das ich hier so lange gehabt habe. Ja, Mutterchen,
so recht von Herzen. Ich bin hier so gern gewesen

Nebel ſteigen; ich denke, Frau Dörr iſt nun fort
und wir treffen die gute Alte allein. Sie weiß
von allem und hat den ganzen Tag über immer
nur ein und daſſelbe geſagt.“

„Und was?“

„Daß es ſo gut ſei.“


Frau Nimptſch war wirklich allein, als Botho
und Lene bei ihr eintraten. Alles war ſtill und
dämmerig und nur das Herdfeuer warf einen Licht¬
ſchein über die breiten Schatten, die ſich ſchräg durch
das Zimmer zogen. Der Stieglitz ſchlief ſchon lange
in ſeinem Bauer und man hörte nichts als dann
und wann das Ziſchen des überkochenden Waſſers.

„Guten Abend, Mutterchen,“ ſagte Botho.

Die Alte gab den Gruß zurück und wollte von
ihrer Fußbank aufſtehen, um den großen Lehnſtuhl
heran zu rücken. Aber Botho litt es nicht und
ſagte: „Nein, Mütterchen, ich ſetze mich auf meinen
alten Platz.“

Und dabei ſchob er den Schemel ans Feuer.

Eine kleine Pauſe trat ein; alsbald aber begann
er wieder: „Ich komme heut, um Abſchied zu nehmen
und Ihnen für alles Liebe und Gute zu danken,
das ich hier ſo lange gehabt habe. Ja, Mutterchen,
ſo recht von Herzen. Ich bin hier ſo gern geweſen

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[164/0174] Nebel ſteigen; ich denke, Frau Dörr iſt nun fort und wir treffen die gute Alte allein. Sie weiß von allem und hat den ganzen Tag über immer nur ein und daſſelbe geſagt.“ „Und was?“ „Daß es ſo gut ſei.“ Frau Nimptſch war wirklich allein, als Botho und Lene bei ihr eintraten. Alles war ſtill und dämmerig und nur das Herdfeuer warf einen Licht¬ ſchein über die breiten Schatten, die ſich ſchräg durch das Zimmer zogen. Der Stieglitz ſchlief ſchon lange in ſeinem Bauer und man hörte nichts als dann und wann das Ziſchen des überkochenden Waſſers. „Guten Abend, Mutterchen,“ ſagte Botho. Die Alte gab den Gruß zurück und wollte von ihrer Fußbank aufſtehen, um den großen Lehnſtuhl heran zu rücken. Aber Botho litt es nicht und ſagte: „Nein, Mütterchen, ich ſetze mich auf meinen alten Platz.“ Und dabei ſchob er den Schemel ans Feuer. Eine kleine Pauſe trat ein; alsbald aber begann er wieder: „Ich komme heut, um Abſchied zu nehmen und Ihnen für alles Liebe und Gute zu danken, das ich hier ſo lange gehabt habe. Ja, Mutterchen, ſo recht von Herzen. Ich bin hier ſo gern geweſen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/174>, abgerufen am 30.04.2024.