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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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aussieht," fuhr Käthe fort. "Sieh, neue Geschichten
hat man doch immer halb unter Augen und es muß
schon schlimm kommen und ein wirklicher Meister-
Verräther sein, wenn man gar nichts merken und
so reinweg betrogen werden soll. Aber alte Ge¬
schichten, da hört alle Kontrolle auf, da kann es
tausend und drei geben und man weiß es kaum."

"Und was man nicht weiß . . ."

"Kann einen doch heiß machen. Aber lassen
wir's und lies mir lieber weiter aus Deiner Zeitung vor.
Ich habe beständig an unsere Kluckhuhns denken
müssen und die gute Frau versteht es nicht Und
der Aelteste soll jetzt gerade studiren."


Solche Geschichten ereigneten sich häufiger und
beschworen in Botho's Seele mit den alten Zeiten
auch Lenens Bild herauf, aber sie selbst sah er nicht,
was ihm auffiel, weil er ja wußte, daß sie halbe
Nachbarn waren.

Es fiel ihm auf und wär' ihm doch leicht er¬
klärlich gewesen, wenn er rechtzeitig in Erfahrung
gebracht hätte, daß Frau Nimptsch und Lene gar
nicht mehr an alter Stelle zu finden seien. Und
doch war es so. Von dem Tag an, wo Lene dem
jungen Paar in der Lützowstraße begegnet war,
hatte sie der Alten erklärt, in der Dörr'schen Woh¬

ausſieht,“ fuhr Käthe fort. „Sieh, neue Geſchichten
hat man doch immer halb unter Augen und es muß
ſchon ſchlimm kommen und ein wirklicher Meiſter-
Verräther ſein, wenn man gar nichts merken und
ſo reinweg betrogen werden ſoll. Aber alte Ge¬
ſchichten, da hört alle Kontrolle auf, da kann es
tauſend und drei geben und man weiß es kaum.“

„Und was man nicht weiß . . .“

„Kann einen doch heiß machen. Aber laſſen
wir's und lies mir lieber weiter aus Deiner Zeitung vor.
Ich habe beſtändig an unſere Kluckhuhns denken
müſſen und die gute Frau verſteht es nicht Und
der Aelteſte ſoll jetzt gerade ſtudiren.“


Solche Geſchichten ereigneten ſich häufiger und
beſchworen in Botho's Seele mit den alten Zeiten
auch Lenens Bild herauf, aber ſie ſelbſt ſah er nicht,
was ihm auffiel, weil er ja wußte, daß ſie halbe
Nachbarn waren.

Es fiel ihm auf und wär' ihm doch leicht er¬
klärlich geweſen, wenn er rechtzeitig in Erfahrung
gebracht hätte, daß Frau Nimptſch und Lene gar
nicht mehr an alter Stelle zu finden ſeien. Und
doch war es ſo. Von dem Tag an, wo Lene dem
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[185/0195] ausſieht,“ fuhr Käthe fort. „Sieh, neue Geſchichten hat man doch immer halb unter Augen und es muß ſchon ſchlimm kommen und ein wirklicher Meiſter- Verräther ſein, wenn man gar nichts merken und ſo reinweg betrogen werden ſoll. Aber alte Ge¬ ſchichten, da hört alle Kontrolle auf, da kann es tauſend und drei geben und man weiß es kaum.“ „Und was man nicht weiß . . .“ „Kann einen doch heiß machen. Aber laſſen wir's und lies mir lieber weiter aus Deiner Zeitung vor. Ich habe beſtändig an unſere Kluckhuhns denken müſſen und die gute Frau verſteht es nicht Und der Aelteſte ſoll jetzt gerade ſtudiren.“ Solche Geſchichten ereigneten ſich häufiger und beſchworen in Botho's Seele mit den alten Zeiten auch Lenens Bild herauf, aber ſie ſelbſt ſah er nicht, was ihm auffiel, weil er ja wußte, daß ſie halbe Nachbarn waren. Es fiel ihm auf und wär' ihm doch leicht er¬ klärlich geweſen, wenn er rechtzeitig in Erfahrung gebracht hätte, daß Frau Nimptſch und Lene gar nicht mehr an alter Stelle zu finden ſeien. Und doch war es ſo. Von dem Tag an, wo Lene dem jungen Paar in der Lützowſtraße begegnet war, hatte ſie der Alten erklärt, in der Dörr'ſchen Woh¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/195>, abgerufen am 30.04.2024.