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Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189.

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einem hohen Crucifix voran, und die trostlose
Bertalda folgte, auf ihren alten Vater gestützt. --
Da nahm man plötzlich in Mitten der schwar-
zen Klagefrauen in der Wittib Gefolge eine schnee-
weisse Gestalt wahr, tiefverschleiert, und die ihre
Hände inbrünstig jammernd empor wand. Die,
neben welchen sie ging, kam ein heimliches Grauen
an, sie wichen zurück oder seitwärts, durch ihre
Bewegung, die Andern, neben die nun die weisse
Fremde zu gehen kam, noch sorglicher erschre-
ckend, so daß schier darob eine Unordnung unter
dem Trauergefolge zu entstehen begann. Es
waren einige Kriegsleute so dreist, die Gestalt
anreden, und aus dem Zuge fortweisen zu wol-
len, aber denen war sie wie unter den Händen
fort, und ward dennoch gleich wieder mit lang-
sam feierlichem Schritte unter dem Leichenge-
folge mitziehend gesehn. Zuletzt kam sie wäh-
rend des beständigen Ausweichens der Dienerin-
nen bis dicht hinter Bertalda. Nun hielt sie
sich höchst langsam in ihrem Gange, so daß die
Wittib ihrer nicht gewahr ward, und sie sehr

einem hohen Crucifix voran, und die troſtloſe
Bertalda folgte, auf ihren alten Vater geſtuͤtzt. —
Da nahm man ploͤtzlich in Mitten der ſchwar-
zen Klagefrauen in der Wittib Gefolge eine ſchnee-
weiſſe Geſtalt wahr, tiefverſchleiert, und die ihre
Haͤnde inbruͤnſtig jammernd empor wand. Die,
neben welchen ſie ging, kam ein heimliches Grauen
an, ſie wichen zuruͤck oder ſeitwaͤrts, durch ihre
Bewegung, die Andern, neben die nun die weiſſe
Fremde zu gehen kam, noch ſorglicher erſchre-
ckend, ſo daß ſchier darob eine Unordnung unter
dem Trauergefolge zu entſtehen begann. Es
waren einige Kriegsleute ſo dreiſt, die Geſtalt
anreden, und aus dem Zuge fortweiſen zu wol-
len, aber denen war ſie wie unter den Haͤnden
fort, und ward dennoch gleich wieder mit lang-
ſam feierlichem Schritte unter dem Leichenge-
folge mitziehend geſehn. Zuletzt kam ſie waͤh-
rend des beſtaͤndigen Ausweichens der Dienerin-
nen bis dicht hinter Bertalda. Nun hielt ſie
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[187/0201] einem hohen Crucifix voran, und die troſtloſe Bertalda folgte, auf ihren alten Vater geſtuͤtzt. — Da nahm man ploͤtzlich in Mitten der ſchwar- zen Klagefrauen in der Wittib Gefolge eine ſchnee- weiſſe Geſtalt wahr, tiefverſchleiert, und die ihre Haͤnde inbruͤnſtig jammernd empor wand. Die, neben welchen ſie ging, kam ein heimliches Grauen an, ſie wichen zuruͤck oder ſeitwaͤrts, durch ihre Bewegung, die Andern, neben die nun die weiſſe Fremde zu gehen kam, noch ſorglicher erſchre- ckend, ſo daß ſchier darob eine Unordnung unter dem Trauergefolge zu entſtehen begann. Es waren einige Kriegsleute ſo dreiſt, die Geſtalt anreden, und aus dem Zuge fortweiſen zu wol- len, aber denen war ſie wie unter den Haͤnden fort, und ward dennoch gleich wieder mit lang- ſam feierlichem Schritte unter dem Leichenge- folge mitziehend geſehn. Zuletzt kam ſie waͤh- rend des beſtaͤndigen Ausweichens der Dienerin- nen bis dicht hinter Bertalda. Nun hielt ſie ſich hoͤchſt langſam in ihrem Gange, ſo daß die Wittib ihrer nicht gewahr ward, und ſie ſehr

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Zitationshilfe: Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/201>, abgerufen am 03.05.2024.