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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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cher wir im Gotteshause dem Namen unseres Herrn
und Heilands Verehrung zollten. An dem heutigen
wichtigen Tage aber beugte Muhme Justine auf off¬
nem Markte ihre alten Kniee. Der Vater nahm die
weiße Zipfelmütze vom Haupte und aus dem Munde
die Thonpfeife, der er bis dahin krampfhafte Wolken
entlockt hatte; die Mutter, Dorothee und ich falteten
die Hände zu einem stummen Gebet. "Unsern Aus¬
gang segne Gott, unsern Eingang gleichermaßen!"
rief die Muhme laut, indem sie sich von den Knieen
erhob. Sie kletterte in die Chaise und setzte sich ge¬
ziementlich auf den Rücksitz, ihrem Fräulein gegen¬
über. Der Vater schloß den Schlag. Noch ein "Glück¬
auf!" und dahin rumpelten wir auf dem holprigen
Pflaster in eine neue, unberechenbare Welt.

Dank der resoluten Reisemarschallin ging die drei¬
tägige Fahrt ohne Hinderniß von Statten. Auf der
letzten Station harrte verabredetermaßen, das "Spuke¬
ding" von Reckenburgs goldener Kutsche, mit dem un¬
sterblichen Schimmelzug und der gleicherweise unsterb¬
lichen Lakaienschaft.

Ihr habt, meine Freunde, mich vor Jahren
noch in dem schweren broncirten Glaskasten dann und
wann einen Ausflug machen sehen. Ich that es,

cher wir im Gotteshauſe dem Namen unſeres Herrn
und Heilands Verehrung zollten. An dem heutigen
wichtigen Tage aber beugte Muhme Juſtine auf off¬
nem Markte ihre alten Kniee. Der Vater nahm die
weiße Zipfelmütze vom Haupte und aus dem Munde
die Thonpfeife, der er bis dahin krampfhafte Wolken
entlockt hatte; die Mutter, Dorothee und ich falteten
die Hände zu einem ſtummen Gebet. „Unſern Aus¬
gang ſegne Gott, unſern Eingang gleichermaßen!“
rief die Muhme laut, indem ſie ſich von den Knieen
erhob. Sie kletterte in die Chaiſe und ſetzte ſich ge¬
ziementlich auf den Rückſitz, ihrem Fräulein gegen¬
über. Der Vater ſchloß den Schlag. Noch ein „Glück¬
auf!“ und dahin rumpelten wir auf dem holprigen
Pflaſter in eine neue, unberechenbare Welt.

Dank der reſoluten Reiſemarſchallin ging die drei¬
tägige Fahrt ohne Hinderniß von Statten. Auf der
letzten Station harrte verabredetermaßen, das „Spuke¬
ding“ von Reckenburgs goldener Kutſche, mit dem un¬
ſterblichen Schimmelzug und der gleicherweiſe unſterb¬
lichen Lakaienſchaft.

Ihr habt, meine Freunde, mich vor Jahren
noch in dem ſchweren broncirten Glaskaſten dann und
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[157/0164] cher wir im Gotteshauſe dem Namen unſeres Herrn und Heilands Verehrung zollten. An dem heutigen wichtigen Tage aber beugte Muhme Juſtine auf off¬ nem Markte ihre alten Kniee. Der Vater nahm die weiße Zipfelmütze vom Haupte und aus dem Munde die Thonpfeife, der er bis dahin krampfhafte Wolken entlockt hatte; die Mutter, Dorothee und ich falteten die Hände zu einem ſtummen Gebet. „Unſern Aus¬ gang ſegne Gott, unſern Eingang gleichermaßen!“ rief die Muhme laut, indem ſie ſich von den Knieen erhob. Sie kletterte in die Chaiſe und ſetzte ſich ge¬ ziementlich auf den Rückſitz, ihrem Fräulein gegen¬ über. Der Vater ſchloß den Schlag. Noch ein „Glück¬ auf!“ und dahin rumpelten wir auf dem holprigen Pflaſter in eine neue, unberechenbare Welt. Dank der reſoluten Reiſemarſchallin ging die drei¬ tägige Fahrt ohne Hinderniß von Statten. Auf der letzten Station harrte verabredetermaßen, das „Spuke¬ ding“ von Reckenburgs goldener Kutſche, mit dem un¬ ſterblichen Schimmelzug und der gleicherweiſe unſterb¬ lichen Lakaienſchaft. Ihr habt, meine Freunde, mich vor Jahren noch in dem ſchweren broncirten Glaskaſten dann und wann einen Ausflug machen ſehen. Ich that es,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/164>, abgerufen am 30.04.2024.