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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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die vor hundert Jahren ein bruchiger Waldwinkel
war, und mit Scham höre ich mich häufig als deren
Schöpferin gerühmt. Aber ich bin nur auf die Schul¬
tern meiner Vorarbeiterin getreten; die Grundlegung,
die unsägliche Schwierigkeit der Urbarmachung ist ihr
Verdienst. Sie hat die Sümpfe ausgetrocknet und die
Kanäle gegraben, Forsten regulirt, bequeme Trans¬
portwege, umfängliche Wirthschaftsbauten angelegt, auf
verschlemmten Aeckern neue Culturen eröffnet, sie hat
den umfänglichen Deichverband hergestellt, durch welchen
unsere Flur gegen die häufigen Uebertretungen des
Stromes geschützt wird. Sie hatte die Müh', ich
Lohn und Dank, weil sie mich sicher genug gestellt
hatte, um über das eigne Gebiet hinaus zu refor¬
miren: Sie erntete Spott und Grauen, ich den Se¬
gen, welcher von der Einzelnarbeit auf die Gesammt¬
heit, von der Gesammtarbeit auf den Einzelnen zurück
wirkt, jenen ersten Segen alles Schaffens, groß oder
gering, der auch mir, dem einsamen Weibe, zu einem
erfüllten Dasein verholfen hat.

Kaum hatte die unerschrockene Pionierin sich aus
dem Gröbsten herausgewunden, kaum trieben ihre
Saaten die erste Frucht, als der Krieg ausbrach, welcher
auf wenige Gegenden unseres Vaterlandes härter ge¬

die vor hundert Jahren ein bruchiger Waldwinkel
war, und mit Scham höre ich mich häufig als deren
Schöpferin gerühmt. Aber ich bin nur auf die Schul¬
tern meiner Vorarbeiterin getreten; die Grundlegung,
die unſägliche Schwierigkeit der Urbarmachung iſt ihr
Verdienſt. Sie hat die Sümpfe ausgetrocknet und die
Kanäle gegraben, Forſten regulirt, bequeme Trans¬
portwege, umfängliche Wirthſchaftsbauten angelegt, auf
verſchlemmten Aeckern neue Culturen eröffnet, ſie hat
den umfänglichen Deichverband hergeſtellt, durch welchen
unſere Flur gegen die häufigen Uebertretungen des
Stromes geſchützt wird. Sie hatte die Müh', ich
Lohn und Dank, weil ſie mich ſicher genug geſtellt
hatte, um über das eigne Gebiet hinaus zu refor¬
miren: Sie erntete Spott und Grauen, ich den Se¬
gen, welcher von der Einzelnarbeit auf die Geſammt¬
heit, von der Geſammtarbeit auf den Einzelnen zurück
wirkt, jenen erſten Segen alles Schaffens, groß oder
gering, der auch mir, dem einſamen Weibe, zu einem
erfüllten Daſein verholfen hat.

Kaum hatte die unerſchrockene Pionierin ſich aus
dem Gröbſten herausgewunden, kaum trieben ihre
Saaten die erſte Frucht, als der Krieg ausbrach, welcher
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[170/0177] die vor hundert Jahren ein bruchiger Waldwinkel war, und mit Scham höre ich mich häufig als deren Schöpferin gerühmt. Aber ich bin nur auf die Schul¬ tern meiner Vorarbeiterin getreten; die Grundlegung, die unſägliche Schwierigkeit der Urbarmachung iſt ihr Verdienſt. Sie hat die Sümpfe ausgetrocknet und die Kanäle gegraben, Forſten regulirt, bequeme Trans¬ portwege, umfängliche Wirthſchaftsbauten angelegt, auf verſchlemmten Aeckern neue Culturen eröffnet, ſie hat den umfänglichen Deichverband hergeſtellt, durch welchen unſere Flur gegen die häufigen Uebertretungen des Stromes geſchützt wird. Sie hatte die Müh', ich Lohn und Dank, weil ſie mich ſicher genug geſtellt hatte, um über das eigne Gebiet hinaus zu refor¬ miren: Sie erntete Spott und Grauen, ich den Se¬ gen, welcher von der Einzelnarbeit auf die Geſammt¬ heit, von der Geſammtarbeit auf den Einzelnen zurück wirkt, jenen erſten Segen alles Schaffens, groß oder gering, der auch mir, dem einſamen Weibe, zu einem erfüllten Daſein verholfen hat. Kaum hatte die unerſchrockene Pionierin ſich aus dem Gröbſten herausgewunden, kaum trieben ihre Saaten die erſte Frucht, als der Krieg ausbrach, welcher auf wenige Gegenden unſeres Vaterlandes härter ge¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/177>, abgerufen am 30.04.2024.