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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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sich bei diesem Falle zugezogen hatte, machte sie für
den Rest des Lebens zum Krüppel.

Dennoch, nach langer qualvoller Niederlage, war
ihr erster klarer Gedanke wieder an den ungetreuen
Mann. Ja alle ihre Hoffnungen lebten kaum nach
Jahresfrist wieder auf, bei der fast gleichzeitigen Kunde
von seiner Vaterschaft und Verwittwung. Nun mußte
er ja kommen, seinem mutterlosen Sohne eine Hei¬
math und eine Erbstätte bei ihr aufzusuchen.

Es war die letzte Hoffnung, die ihr der Geliebte
täuschen sollte. Der nächste Brief brachte die Botschaft
seines abermaligen Entfliehens; der übernächste die seines
Todes. Unter den Fahnen Katharinens, seiner Gönnerin,
war er in dem Krimfeldzug von Einundsiebenzig geblieben.

Die Gräfin legte Trauerkleider an und niemals
wieder ab. Sie war und blieb die Wittwe eines
Fürsten. Sie schaffte, darbte und sammelte vor wie
nach. Von der Flamme, die ihr Leben durchleuchtet
hatte, war noch ein Abglanz zurückgeblieben: sie schaffte,
darbte und sammelte für ein armes, ungekanntes, für
ein verlassenes Menschenkind.

Was sagt Ihr jetzt, meine Freunde, zu der ge¬
spenstischen Alten auf Reckenburg?


Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. I. 12

ſich bei dieſem Falle zugezogen hatte, machte ſie für
den Reſt des Lebens zum Krüppel.

Dennoch, nach langer qualvoller Niederlage, war
ihr erſter klarer Gedanke wieder an den ungetreuen
Mann. Ja alle ihre Hoffnungen lebten kaum nach
Jahresfriſt wieder auf, bei der faſt gleichzeitigen Kunde
von ſeiner Vaterſchaft und Verwittwung. Nun mußte
er ja kommen, ſeinem mutterloſen Sohne eine Hei¬
math und eine Erbſtätte bei ihr aufzuſuchen.

Es war die letzte Hoffnung, die ihr der Geliebte
täuſchen ſollte. Der nächſte Brief brachte die Botſchaft
ſeines abermaligen Entfliehens; der übernächſte die ſeines
Todes. Unter den Fahnen Katharinens, ſeiner Gönnerin,
war er in dem Krimfeldzug von Einundſiebenzig geblieben.

Die Gräfin legte Trauerkleider an und niemals
wieder ab. Sie war und blieb die Wittwe eines
Fürſten. Sie ſchaffte, darbte und ſammelte vor wie
nach. Von der Flamme, die ihr Leben durchleuchtet
hatte, war noch ein Abglanz zurückgeblieben: ſie ſchaffte,
darbte und ſammelte für ein armes, ungekanntes, für
ein verlaſſenes Menſchenkind.

Was ſagt Ihr jetzt, meine Freunde, zu der ge¬
ſpenſtiſchen Alten auf Reckenburg?


Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 12
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[177/0184] ſich bei dieſem Falle zugezogen hatte, machte ſie für den Reſt des Lebens zum Krüppel. Dennoch, nach langer qualvoller Niederlage, war ihr erſter klarer Gedanke wieder an den ungetreuen Mann. Ja alle ihre Hoffnungen lebten kaum nach Jahresfriſt wieder auf, bei der faſt gleichzeitigen Kunde von ſeiner Vaterſchaft und Verwittwung. Nun mußte er ja kommen, ſeinem mutterloſen Sohne eine Hei¬ math und eine Erbſtätte bei ihr aufzuſuchen. Es war die letzte Hoffnung, die ihr der Geliebte täuſchen ſollte. Der nächſte Brief brachte die Botſchaft ſeines abermaligen Entfliehens; der übernächſte die ſeines Todes. Unter den Fahnen Katharinens, ſeiner Gönnerin, war er in dem Krimfeldzug von Einundſiebenzig geblieben. Die Gräfin legte Trauerkleider an und niemals wieder ab. Sie war und blieb die Wittwe eines Fürſten. Sie ſchaffte, darbte und ſammelte vor wie nach. Von der Flamme, die ihr Leben durchleuchtet hatte, war noch ein Abglanz zurückgeblieben: ſie ſchaffte, darbte und ſammelte für ein armes, ungekanntes, für ein verlaſſenes Menſchenkind. Was ſagt Ihr jetzt, meine Freunde, zu der ge¬ ſpenſtiſchen Alten auf Reckenburg? Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 12

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/184>, abgerufen am 26.04.2024.