Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Riese sprang vom Trittbrett, das wappen¬
prangende Thor zu öffnen und allsobald wieder zu
verschließen. Vor meinen Augen dehnte sich die breite
Avenue inmitten des sauber gehegten, reich gefüllten
Gartens. Im Hintergrunde ragte das Schloß, dessen
röthliche Bekleidung die untergehende Sonne mit einem
Goldschimmer übergoß. Die weißen Marmorsimse,
die hohen Spiegelfenster, die mit Statuen und Vasen
gezierte Terrasse, auf deren Rampe wir anhielten,
die Säulen des großen Portals, alles das verfehlte
seine Wirkung nicht. Ich begriff während dieser Auf¬
fahrt die Gleichgültigkeit der Eignerin dieses fürstlichen
Besitzthums gegen ihre bescheidene Sippe in der Ba¬
derei. Aus welchem Begreifen indessen nicht gefolgert
werden soll, daß ich etwa gedrückt oder eingeschüch¬
tert meiner vom Glücke reichlicher gesegneten Ver¬
wandtin entgegenging. Auch ich war eine Recken¬
burg und niemals, denn als geladener Gast, würde ich
diese stolze Schwelle betreten haben.

Von meinem Heiducken geleitet, erstieg ich die
breite Marmortreppe. Jede Thür, die ich passirte,
wurde sorgfältig, wie hinter einer Gefangenen ver¬
riegelt. Ich trat in den langen Vestibüle, auf welchen
die Zimmerflucht mündete. Die goldgerahmten Trü¬

Der Rieſe ſprang vom Trittbrett, das wappen¬
prangende Thor zu öffnen und allſobald wieder zu
verſchließen. Vor meinen Augen dehnte ſich die breite
Avenue inmitten des ſauber gehegten, reich gefüllten
Gartens. Im Hintergrunde ragte das Schloß, deſſen
röthliche Bekleidung die untergehende Sonne mit einem
Goldſchimmer übergoß. Die weißen Marmorſimſe,
die hohen Spiegelfenſter, die mit Statuen und Vaſen
gezierte Terraſſe, auf deren Rampe wir anhielten,
die Säulen des großen Portals, alles das verfehlte
ſeine Wirkung nicht. Ich begriff während dieſer Auf¬
fahrt die Gleichgültigkeit der Eignerin dieſes fürſtlichen
Beſitzthums gegen ihre beſcheidene Sippe in der Ba¬
derei. Aus welchem Begreifen indeſſen nicht gefolgert
werden ſoll, daß ich etwa gedrückt oder eingeſchüch¬
tert meiner vom Glücke reichlicher geſegneten Ver¬
wandtin entgegenging. Auch ich war eine Recken¬
burg und niemals, denn als geladener Gaſt, würde ich
dieſe ſtolze Schwelle betreten haben.

Von meinem Heiducken geleitet, erſtieg ich die
breite Marmortreppe. Jede Thür, die ich paſſirte,
wurde ſorgfältig, wie hinter einer Gefangenen ver¬
riegelt. Ich trat in den langen Veſtibüle, auf welchen
die Zimmerflucht mündete. Die goldgerahmten Trü¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0187" n="180"/>
        <p>Der Rie&#x017F;e &#x017F;prang vom Trittbrett, das wappen¬<lb/>
prangende Thor zu öffnen und all&#x017F;obald wieder zu<lb/>
ver&#x017F;chließen. Vor meinen Augen dehnte &#x017F;ich die breite<lb/>
Avenue inmitten des &#x017F;auber gehegten, reich gefüllten<lb/>
Gartens. Im Hintergrunde ragte das Schloß, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
röthliche Bekleidung die untergehende Sonne mit einem<lb/>
Gold&#x017F;chimmer übergoß. Die weißen Marmor&#x017F;im&#x017F;e,<lb/>
die hohen Spiegelfen&#x017F;ter, die mit Statuen und Va&#x017F;en<lb/>
gezierte Terra&#x017F;&#x017F;e, auf deren Rampe wir anhielten,<lb/>
die Säulen des großen Portals, alles das verfehlte<lb/>
&#x017F;eine Wirkung nicht. Ich begriff während die&#x017F;er Auf¬<lb/>
fahrt die Gleichgültigkeit der Eignerin die&#x017F;es für&#x017F;tlichen<lb/>
Be&#x017F;itzthums gegen ihre be&#x017F;cheidene Sippe in der Ba¬<lb/>
derei. Aus welchem Begreifen inde&#x017F;&#x017F;en nicht gefolgert<lb/>
werden &#x017F;oll, daß ich etwa gedrückt oder einge&#x017F;chüch¬<lb/>
tert meiner vom Glücke reichlicher ge&#x017F;egneten Ver¬<lb/>
wandtin entgegenging. Auch ich war eine Recken¬<lb/>
burg und niemals, denn als geladener Ga&#x017F;t, würde ich<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;tolze Schwelle betreten haben.</p><lb/>
        <p>Von meinem Heiducken geleitet, er&#x017F;tieg ich die<lb/>
breite Marmortreppe. Jede Thür, die ich pa&#x017F;&#x017F;irte,<lb/>
wurde &#x017F;orgfältig, wie hinter einer Gefangenen ver¬<lb/>
riegelt. Ich trat in den langen Ve&#x017F;tibüle, auf welchen<lb/>
die Zimmerflucht mündete. Die goldgerahmten Trü¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0187] Der Rieſe ſprang vom Trittbrett, das wappen¬ prangende Thor zu öffnen und allſobald wieder zu verſchließen. Vor meinen Augen dehnte ſich die breite Avenue inmitten des ſauber gehegten, reich gefüllten Gartens. Im Hintergrunde ragte das Schloß, deſſen röthliche Bekleidung die untergehende Sonne mit einem Goldſchimmer übergoß. Die weißen Marmorſimſe, die hohen Spiegelfenſter, die mit Statuen und Vaſen gezierte Terraſſe, auf deren Rampe wir anhielten, die Säulen des großen Portals, alles das verfehlte ſeine Wirkung nicht. Ich begriff während dieſer Auf¬ fahrt die Gleichgültigkeit der Eignerin dieſes fürſtlichen Beſitzthums gegen ihre beſcheidene Sippe in der Ba¬ derei. Aus welchem Begreifen indeſſen nicht gefolgert werden ſoll, daß ich etwa gedrückt oder eingeſchüch¬ tert meiner vom Glücke reichlicher geſegneten Ver¬ wandtin entgegenging. Auch ich war eine Recken¬ burg und niemals, denn als geladener Gaſt, würde ich dieſe ſtolze Schwelle betreten haben. Von meinem Heiducken geleitet, erſtieg ich die breite Marmortreppe. Jede Thür, die ich paſſirte, wurde ſorgfältig, wie hinter einer Gefangenen ver¬ riegelt. Ich trat in den langen Veſtibüle, auf welchen die Zimmerflucht mündete. Die goldgerahmten Trü¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/187
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/187>, abgerufen am 29.04.2024.