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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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ab, setzte mich in die tiefe Fensternische und schaute
über den Garten hinweg in die düstren Föhrenwipfel,
zwischen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten
der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen
Füßen stiegen und schwebten die Octobernebel phan¬
tastisch auf und nieder; es war der erste und ich
glaube auch letzte Märchenschauer meines Lebens, der
mich im Dämmerlicht dieses dunkel boisirten, todten¬
stillen Wartezimmers überrieselte.

Eine halbe Stunde mochte auf diese Weise ver¬
gangen sein, ich war des Antichambrirens und der ro¬
mantischen Schauer herzlich müde geworden; da hörte
ich das Zurückschieben eines Riegels, das Dröhnen
eines Krückstocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf
der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gast¬
freundin war eingetreten.

Die Eltern, wenn sie überhaupt um die land¬
läufigen Vorstellungen über ihre einzige Verwandtin
Näheres gewußt, hatten mir dieselben wohlweislich
vorenthalten. Meine Instruction lautete einfach:
Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweise
stolzen und ein wenig ökonomischen Würdenträgerin
mit Ehrerbietung zu begegnen.

Da überlief mich denn nun freilich eine Gänse¬

ab, ſetzte mich in die tiefe Fenſterniſche und ſchaute
über den Garten hinweg in die düſtren Föhrenwipfel,
zwiſchen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten
der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen
Füßen ſtiegen und ſchwebten die Octobernebel phan¬
taſtiſch auf und nieder; es war der erſte und ich
glaube auch letzte Märchenſchauer meines Lebens, der
mich im Dämmerlicht dieſes dunkel boiſirten, todten¬
ſtillen Wartezimmers überrieſelte.

Eine halbe Stunde mochte auf dieſe Weiſe ver¬
gangen ſein, ich war des Antichambrirens und der ro¬
mantiſchen Schauer herzlich müde geworden; da hörte
ich das Zurückſchieben eines Riegels, das Dröhnen
eines Krückſtocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf
der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gaſt¬
freundin war eingetreten.

Die Eltern, wenn ſie überhaupt um die land¬
läufigen Vorſtellungen über ihre einzige Verwandtin
Näheres gewußt, hatten mir dieſelben wohlweislich
vorenthalten. Meine Inſtruction lautete einfach:
Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweiſe
ſtolzen und ein wenig ökonomiſchen Würdenträgerin
mit Ehrerbietung zu begegnen.

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[182/0189] ab, ſetzte mich in die tiefe Fenſterniſche und ſchaute über den Garten hinweg in die düſtren Föhrenwipfel, zwiſchen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen Füßen ſtiegen und ſchwebten die Octobernebel phan¬ taſtiſch auf und nieder; es war der erſte und ich glaube auch letzte Märchenſchauer meines Lebens, der mich im Dämmerlicht dieſes dunkel boiſirten, todten¬ ſtillen Wartezimmers überrieſelte. Eine halbe Stunde mochte auf dieſe Weiſe ver¬ gangen ſein, ich war des Antichambrirens und der ro¬ mantiſchen Schauer herzlich müde geworden; da hörte ich das Zurückſchieben eines Riegels, das Dröhnen eines Krückſtocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gaſt¬ freundin war eingetreten. Die Eltern, wenn ſie überhaupt um die land¬ läufigen Vorſtellungen über ihre einzige Verwandtin Näheres gewußt, hatten mir dieſelben wohlweislich vorenthalten. Meine Inſtruction lautete einfach: Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweiſe ſtolzen und ein wenig ökonomiſchen Würdenträgerin mit Ehrerbietung zu begegnen. Da überlief mich denn nun freilich eine Gänſe¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/189>, abgerufen am 30.04.2024.