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Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395.

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Die Gegenwart. Nr. 24.

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Weibliche Studenten.

(Fortsetzung.)

Soll das Weib von der Erfüllung seiner natürlichen Mission
befreit werden? Dann müßte das Menschengeschlecht aussterben!
Oder von der Ernährung und ersten Erziehung des Kindes?
Auch das vermögen wir Männer nicht zu leisten! Oder soll es
von den Banden der Ehe principiell emancipirt werden? Das
hieße die Frauenwürde in den Koth treten!

Es kann sich also nur um eine Emancipation innerhalb
der Ehe, innerhalb der Familie handeln, aber worin soll diese
bestehen? Soll die Frau davon befreit werden, daß der Mann
sie beschütze und ernähre? Das wäre allerdings auch eine Eman-
cipation, der Männer nämlich, aber sie wäre erstens höchst
ungerecht, weil ja die häuslichen Pflichten gerade genügend groß
sind, und zweitens nicht durchführbar, denn das Gedeihen des
einzelnen Haushalts, und damit der Gesammtheit, ist ja nur
durch Arbeitstheilung möglich. Oder soll das Weib von der
unwürdigen Behandlung des Mannes befreit werden? Aber
unsere Frauen haben ja im Allgemeinen als Gattinnen, als
Mütter, genau jene Stellung in Haus und Gesellschaft, die ihnen
gebührt, und gegen die Rohheit des Einzelnen schützt das Gesetz
hinlänglich.

Was also heißt Emancipation und wer ist eine Emancipirte?
Dem Sprachgebrauch dürfen wir nicht folgen, denn er ist sehr
trügerisch. So versicherte mich z. B. erst vor Kurzem eine
wackere Frau in Stettin, die eine große Haube trug: "Die
Wienerinnen sind sehr emancipirt!" und als ich erstaunt um
den Grund fragte, erwiederte sie: "Die beiden Wienerinnen, die
ich kenne, tragen immer runde Hüte und bringen zum Kaffee
nie den Strickstrumpf mit!" Erzählt man hingegen in der guten
Wiener Gesellschaft, daß die norddeutschen Fräulein allein aus-
gehen, so hört man wieder: "Ah! - die sind emancipirt!" und
damit geschieht diesen blonden, so tugendhaft durch die Welt
schreitenden Damen sicherlich schweres Unrecht!

So bleibt uns denn nur übrig, die Vorkämpferinnen jener
Richtung selbst zu fragen und sie antworten: "Vollständige Gleich-[Spaltenumbruch] berechtigung mit den Männern in jeder, auch in social-politischer
Beziehung!"

Aber ist dies auch durchführbar? Jst es im Jnteresse fort-
schreitender Cultur und Sitte wünschenswerth? Jst es überhaupt
nur denkbar?

Jenes "Nein", welches jeder Wohlmeinende, ja noch mehr:
jeder Vernünftige auf diese Fragen bereit hat, bedarf an dieser
Stelle sicherlich nicht erst der Begründung. Das hieße dem
Bildungsgrade jener Leser, an welche sich diese Zeilen wenden,
Unrecht thun!

So ist es denn auch durchaus nicht etwa pathetisch ge-
meint, wenn wir an das Schlagwort von den gleichen Rechten
die Frage knüpfen: Können denn aber die Frauen auch gleiche
Pflichten erfüllen, können sie etwa Kriegsdienste thun? Der
Sultan von Dahomey hält sich zu seinem Schutze ein Amazonen-
corps; europäischen Fürsten wäre dies kaum anzurathen - und
ein weiblicher Moltke ist undenkbar, selbst wenn wir von seiner
Eigenschaft als "großer Schweiger" absehen. Aber ernsthaft
gesprochen, nimmt man das Wort in seinem radicalen Sinne,
dann bedeutet die "Emancipation" der Frauen - es klingt un-
galant, aber es ist wahr - die Emancipation von der Vernunft.

Das haben die Frauen in Europa nie verkannt und die
amerikanische Heilslehre hat nur im Osten, in Halb-Asien, gün-
stigen Boden gefunden.

Warum dort?

Weil sich auch in dieser Erscheinung wieder einmal die Wahr-
heit des Dichterworts bewährt, daß nicht der Freie zu fürchten ist,
sondern der Sklave, wenn er die Ketten gebrochen, weil auch hier
wieder einmal jener Gegensatz zu Tage tritt, der durch die gesammte
Entwicklungsgeschichte der Menschheit geht; der Gegensatz zwischen
dem "liber" und dem "libertinus", dem Freigeborenen und dem
Freigelassenen. Jn jenen Ländern schmachtete das Weib in der That
unter schlimmstem socialem Drucke, es wurde nicht als denkendes,
fühlendes Wesen behandelt, sondern als Arbeitsthier oder als
Luxuswaare. Die Reaction mußte eintreten, sobald es zum
Bewußtsein seiner Menschenwürde gelangte, und je schlimmer
der Druck gewesen, um so leidenschaftlicher ward diese Reaction;
das Weib will nun nicht blos den Druck abschütteln, sondern
auch naturnothwendige Bande! Und so erklärt es sich auch,
warum Amerika und Rußland die meisten Studentinnen stellen!

Hätten wir es nur mit dieser Kategorie zu thun, wir
würden die ganze Erscheinung nur etwa so betrachten, wie die
neueste Pariser Damensitte, sich das Haar am Scheitel a la
Sarah Bernhardt blau zu färben, also als eine Mode, die um
so rascher vorbeigeht, je excentrischer ihr gefröhnt wird. Wir
würden dann für die Braven unter diesen Studentinnen Jnteresse,
für die Schlimmen Verachtung empfinden, jedoch die ganze Be-
wegung weiter nicht ernsthaft nehmen. Aber es gibt noch eine
Kategorie von Frauen, die nach Selbstständigkeit streben, jene, die
nothgedrungen darauf verzichten müssen, in der Ehe versorgt zu
werden, oder es vorziehen, sich ihr Brod selbst zu erwerben, um
nicht genöthigt zu sein, dereinst vielleicht einem Ungeliebten, ja
Unwürdigen folgen zu müssen, nur um des Stücklein Brodes
willen!...

Auch solche Frauen stellen ihr Contingent zum weiblichen
Studententhum, die Frage des Frauenstudiums ist zugleich
eine der Fragen der zu steigernden Erwerbsfähigkeit des Weibes,
und von diesem Gesichtspunkte aus verlangt sie von uns den
vollen Ernst, die volle, vorurtheilslose Theilnahme, weil sie ein
ethisches Problem und eine Magenfrage zugleich ist!

"Wie kann die Erwerbsfähigkeit des Weibes gesteigert werden?"
Keines der beiden Geschlechter trägt die Schuld daran, daß diese
Frage allmählich leider Gottes eine brennende geworden ist; sie
ist eine natürliche Folge der Verhältnisse, wie sie sich im modernen
Culturstaate herausbilden, jener scharf zugespitzten Verhältnisse,
welche den Kampf um's Dasein für das einzelne Jndividuum
immer mehr erschweren. Wäre also selbst heutzutage die Zahl
der unverheirathet gebliebenen Mädchen und derjenigen Frauen,
welche durch ihren Gatten nicht die nöthige Versorgung finden,
dieselbe, wie vor fünfzig Jahren, so stünden wir heute doch vor[Spaltenumbruch]

Die Gegenwart. Nr. 24.

[Beginn Spaltensatz][irrelevantes Material – 6 Zeilen fehlen]
Weibliche Studenten.

(Fortsetzung.)

Soll das Weib von der Erfüllung seiner natürlichen Mission
befreit werden? Dann müßte das Menschengeschlecht aussterben!
Oder von der Ernährung und ersten Erziehung des Kindes?
Auch das vermögen wir Männer nicht zu leisten! Oder soll es
von den Banden der Ehe principiell emancipirt werden? Das
hieße die Frauenwürde in den Koth treten!

Es kann sich also nur um eine Emancipation innerhalb
der Ehe, innerhalb der Familie handeln, aber worin soll diese
bestehen? Soll die Frau davon befreit werden, daß der Mann
sie beschütze und ernähre? Das wäre allerdings auch eine Eman-
cipation, der Männer nämlich, aber sie wäre erstens höchst
ungerecht, weil ja die häuslichen Pflichten gerade genügend groß
sind, und zweitens nicht durchführbar, denn das Gedeihen des
einzelnen Haushalts, und damit der Gesammtheit, ist ja nur
durch Arbeitstheilung möglich. Oder soll das Weib von der
unwürdigen Behandlung des Mannes befreit werden? Aber
unsere Frauen haben ja im Allgemeinen als Gattinnen, als
Mütter, genau jene Stellung in Haus und Gesellschaft, die ihnen
gebührt, und gegen die Rohheit des Einzelnen schützt das Gesetz
hinlänglich.

Was also heißt Emancipation und wer ist eine Emancipirte?
Dem Sprachgebrauch dürfen wir nicht folgen, denn er ist sehr
trügerisch. So versicherte mich z. B. erst vor Kurzem eine
wackere Frau in Stettin, die eine große Haube trug: „Die
Wienerinnen sind sehr emancipirt!“ und als ich erstaunt um
den Grund fragte, erwiederte sie: „Die beiden Wienerinnen, die
ich kenne, tragen immer runde Hüte und bringen zum Kaffee
nie den Strickstrumpf mit!“ Erzählt man hingegen in der guten
Wiener Gesellschaft, daß die norddeutschen Fräulein allein aus-
gehen, so hört man wieder: „Ah! – die sind emancipirt!“ und
damit geschieht diesen blonden, so tugendhaft durch die Welt
schreitenden Damen sicherlich schweres Unrecht!

So bleibt uns denn nur übrig, die Vorkämpferinnen jener
Richtung selbst zu fragen und sie antworten: „Vollständige Gleich-[Spaltenumbruch] berechtigung mit den Männern in jeder, auch in social-politischer
Beziehung!“

Aber ist dies auch durchführbar? Jst es im Jnteresse fort-
schreitender Cultur und Sitte wünschenswerth? Jst es überhaupt
nur denkbar?

Jenes „Nein“, welches jeder Wohlmeinende, ja noch mehr:
jeder Vernünftige auf diese Fragen bereit hat, bedarf an dieser
Stelle sicherlich nicht erst der Begründung. Das hieße dem
Bildungsgrade jener Leser, an welche sich diese Zeilen wenden,
Unrecht thun!

So ist es denn auch durchaus nicht etwa pathetisch ge-
meint, wenn wir an das Schlagwort von den gleichen Rechten
die Frage knüpfen: Können denn aber die Frauen auch gleiche
Pflichten erfüllen, können sie etwa Kriegsdienste thun? Der
Sultan von Dahomey hält sich zu seinem Schutze ein Amazonen-
corps; europäischen Fürsten wäre dies kaum anzurathen – und
ein weiblicher Moltke ist undenkbar, selbst wenn wir von seiner
Eigenschaft als „großer Schweiger“ absehen. Aber ernsthaft
gesprochen, nimmt man das Wort in seinem radicalen Sinne,
dann bedeutet die „Emancipation“ der Frauen – es klingt un-
galant, aber es ist wahr – die Emancipation von der Vernunft.

Das haben die Frauen in Europa nie verkannt und die
amerikanische Heilslehre hat nur im Osten, in Halb-Asien, gün-
stigen Boden gefunden.

Warum dort?

Weil sich auch in dieser Erscheinung wieder einmal die Wahr-
heit des Dichterworts bewährt, daß nicht der Freie zu fürchten ist,
sondern der Sklave, wenn er die Ketten gebrochen, weil auch hier
wieder einmal jener Gegensatz zu Tage tritt, der durch die gesammte
Entwicklungsgeschichte der Menschheit geht; der Gegensatz zwischen
dem „liber“ und dem „libertinus“, dem Freigeborenen und dem
Freigelassenen. Jn jenen Ländern schmachtete das Weib in der That
unter schlimmstem socialem Drucke, es wurde nicht als denkendes,
fühlendes Wesen behandelt, sondern als Arbeitsthier oder als
Luxuswaare. Die Reaction mußte eintreten, sobald es zum
Bewußtsein seiner Menschenwürde gelangte, und je schlimmer
der Druck gewesen, um so leidenschaftlicher ward diese Reaction;
das Weib will nun nicht blos den Druck abschütteln, sondern
auch naturnothwendige Bande! Und so erklärt es sich auch,
warum Amerika und Rußland die meisten Studentinnen stellen!

Hätten wir es nur mit dieser Kategorie zu thun, wir
würden die ganze Erscheinung nur etwa so betrachten, wie die
neueste Pariser Damensitte, sich das Haar am Scheitel à la
Sarah Bernhardt blau zu färben, also als eine Mode, die um
so rascher vorbeigeht, je excentrischer ihr gefröhnt wird. Wir
würden dann für die Braven unter diesen Studentinnen Jnteresse,
für die Schlimmen Verachtung empfinden, jedoch die ganze Be-
wegung weiter nicht ernsthaft nehmen. Aber es gibt noch eine
Kategorie von Frauen, die nach Selbstständigkeit streben, jene, die
nothgedrungen darauf verzichten müssen, in der Ehe versorgt zu
werden, oder es vorziehen, sich ihr Brod selbst zu erwerben, um
nicht genöthigt zu sein, dereinst vielleicht einem Ungeliebten, ja
Unwürdigen folgen zu müssen, nur um des Stücklein Brodes
willen!…

Auch solche Frauen stellen ihr Contingent zum weiblichen
Studententhum, die Frage des Frauenstudiums ist zugleich
eine der Fragen der zu steigernden Erwerbsfähigkeit des Weibes,
und von diesem Gesichtspunkte aus verlangt sie von uns den
vollen Ernst, die volle, vorurtheilslose Theilnahme, weil sie ein
ethisches Problem und eine Magenfrage zugleich ist!

„Wie kann die Erwerbsfähigkeit des Weibes gesteigert werden?“
Keines der beiden Geschlechter trägt die Schuld daran, daß diese
Frage allmählich leider Gottes eine brennende geworden ist; sie
ist eine natürliche Folge der Verhältnisse, wie sie sich im modernen
Culturstaate herausbilden, jener scharf zugespitzten Verhältnisse,
welche den Kampf um's Dasein für das einzelne Jndividuum
immer mehr erschweren. Wäre also selbst heutzutage die Zahl
der unverheirathet gebliebenen Mädchen und derjenigen Frauen,
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dieselbe, wie vor fünfzig Jahren, so stünden wir heute doch vor[Spaltenumbruch]

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Oder soll das Weib von der unwürdigen Behandlung des Mannes befreit werden? Aber unsere Frauen haben ja im Allgemeinen als Gattinnen, als Mütter, genau jene Stellung in Haus und Gesellschaft, die ihnen gebührt, und gegen die Rohheit des Einzelnen schützt das Gesetz hinlänglich. Was also heißt Emancipation und wer ist eine Emancipirte? Dem Sprachgebrauch dürfen wir nicht folgen, denn er ist sehr trügerisch. So versicherte mich z. B. erst vor Kurzem eine wackere Frau in Stettin, die eine große Haube trug: „Die Wienerinnen sind sehr emancipirt!“ und als ich erstaunt um den Grund fragte, erwiederte sie: „Die beiden Wienerinnen, die ich kenne, tragen immer runde Hüte und bringen zum Kaffee nie den Strickstrumpf mit!“ Erzählt man hingegen in der guten Wiener Gesellschaft, daß die norddeutschen Fräulein allein aus- gehen, so hört man wieder: „Ah! – die sind emancipirt!“ und damit geschieht diesen blonden, so tugendhaft durch die Welt schreitenden Damen sicherlich schweres Unrecht! So bleibt uns denn nur übrig, die Vorkämpferinnen jener Richtung selbst zu fragen und sie antworten: „Vollständige Gleich- berechtigung mit den Männern in jeder, auch in social-politischer Beziehung!“ Aber ist dies auch durchführbar? Jst es im Jnteresse fort- schreitender Cultur und Sitte wünschenswerth? Jst es überhaupt nur denkbar? Jenes „Nein“, welches jeder Wohlmeinende, ja noch mehr: jeder Vernünftige auf diese Fragen bereit hat, bedarf an dieser Stelle sicherlich nicht erst der Begründung. Das hieße dem Bildungsgrade jener Leser, an welche sich diese Zeilen wenden, Unrecht thun! So ist es denn auch durchaus nicht etwa pathetisch ge- meint, wenn wir an das Schlagwort von den gleichen Rechten die Frage knüpfen: Können denn aber die Frauen auch gleiche Pflichten erfüllen, können sie etwa Kriegsdienste thun? Der Sultan von Dahomey hält sich zu seinem Schutze ein Amazonen- corps; europäischen Fürsten wäre dies kaum anzurathen – und ein weiblicher Moltke ist undenkbar, selbst wenn wir von seiner Eigenschaft als „großer Schweiger“ absehen. Aber ernsthaft gesprochen, nimmt man das Wort in seinem radicalen Sinne, dann bedeutet die „Emancipation“ der Frauen – es klingt un- galant, aber es ist wahr – die Emancipation von der Vernunft. Das haben die Frauen in Europa nie verkannt und die amerikanische Heilslehre hat nur im Osten, in Halb-Asien, gün- stigen Boden gefunden. Warum dort? Weil sich auch in dieser Erscheinung wieder einmal die Wahr- heit des Dichterworts bewährt, daß nicht der Freie zu fürchten ist, sondern der Sklave, wenn er die Ketten gebrochen, weil auch hier wieder einmal jener Gegensatz zu Tage tritt, der durch die gesammte Entwicklungsgeschichte der Menschheit geht; der Gegensatz zwischen dem „liber“ und dem „libertinus“, dem Freigeborenen und dem Freigelassenen. Jn jenen Ländern schmachtete das Weib in der That unter schlimmstem socialem Drucke, es wurde nicht als denkendes, fühlendes Wesen behandelt, sondern als Arbeitsthier oder als Luxuswaare. Die Reaction mußte eintreten, sobald es zum Bewußtsein seiner Menschenwürde gelangte, und je schlimmer der Druck gewesen, um so leidenschaftlicher ward diese Reaction; das Weib will nun nicht blos den Druck abschütteln, sondern auch naturnothwendige Bande! Und so erklärt es sich auch, warum Amerika und Rußland die meisten Studentinnen stellen! Hätten wir es nur mit dieser Kategorie zu thun, wir würden die ganze Erscheinung nur etwa so betrachten, wie die neueste Pariser Damensitte, sich das Haar am Scheitel à la Sarah Bernhardt blau zu färben, also als eine Mode, die um so rascher vorbeigeht, je excentrischer ihr gefröhnt wird. Wir würden dann für die Braven unter diesen Studentinnen Jnteresse, für die Schlimmen Verachtung empfinden, jedoch die ganze Be- wegung weiter nicht ernsthaft nehmen. Aber es gibt noch eine Kategorie von Frauen, die nach Selbstständigkeit streben, jene, die nothgedrungen darauf verzichten müssen, in der Ehe versorgt zu werden, oder es vorziehen, sich ihr Brod selbst zu erwerben, um nicht genöthigt zu sein, dereinst vielleicht einem Ungeliebten, ja Unwürdigen folgen zu müssen, nur um des Stücklein Brodes willen!… Auch solche Frauen stellen ihr Contingent zum weiblichen Studententhum, die Frage des Frauenstudiums ist zugleich eine der Fragen der zu steigernden Erwerbsfähigkeit des Weibes, und von diesem Gesichtspunkte aus verlangt sie von uns den vollen Ernst, die volle, vorurtheilslose Theilnahme, weil sie ein ethisches Problem und eine Magenfrage zugleich ist! „Wie kann die Erwerbsfähigkeit des Weibes gesteigert werden?“ Keines der beiden Geschlechter trägt die Schuld daran, daß diese Frage allmählich leider Gottes eine brennende geworden ist; sie ist eine natürliche Folge der Verhältnisse, wie sie sich im modernen Culturstaate herausbilden, jener scharf zugespitzten Verhältnisse, welche den Kampf um's Dasein für das einzelne Jndividuum immer mehr erschweren. Wäre also selbst heutzutage die Zahl der unverheirathet gebliebenen Mädchen und derjenigen Frauen, welche durch ihren Gatten nicht die nöthige Versorgung finden, dieselbe, wie vor fünfzig Jahren, so stünden wir heute doch vor

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-09-22T15:58:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Franzos, Karl Emil: Weibliche Studenten. In: Die Gegenwart 23 (1881), S. 358–361; 24 (1881) S. 380–382; 25 (1881), S. 393–395, hier S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/franzos_studenten_1881/5>, abgerufen am 19.04.2024.