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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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lich fühlt, verlangt die Proletarierin gleiche Rechte. Um ihrer
Kinder willen
sollte die bürgerliche Frau dasselbe fordern.
Jst es vereinbar mit einer ernsten Auffassung von Mutterpflicht,
daß die Mutter sich um die Gesetze nicht kümmert, nicht kümmern
darf, unter denen ihr Sohn, ihre Tochter zu leiden haben
werden? Eine edle Frau antwortete einmal, als sie gefragt
wurde, warum sie für die Gleichberechtigung der Geschlechter
einträte: "Weil ich eine reine Tochter habe, die einem Wüstling
zum Opfer fallen kann, ohne daß ich die Macht habe, es zu
verhindern, -- weil ich einen Sohn habe, der sich töten lassen muß,
ohne daß ich die Macht habe, grausame Staatsgesetze, die das
befehlen, abzuschaffen."

Aber auch um ihrer selbst willen muß die Frau die Bürger-
rechte fordern. Oder ist es ihrer Würde angemessen, daß sie
mit Kindern, Wahnsinnigen und Verbrechern auf eine Stufe
gestellt wird? Das flammende Rot der Scham, des Zornes
müßte das Antlitz eines jeden weiblichen Wesens färben, sobald
sie diese Thatsache sich vor Augen hält. Jn England, wo das
Wahlrecht mit der Steuerpflicht zusammenhängt, könnte die
rechtlose Frau sich damit trösten, daß auch viele Männer, und
unter ihnen nicht die schlechtesten, rechtlos sind wie sie. Bei
uns aber, wo die deutsche Reichsverfassung jeden zur Wahl zu-
läßt, sofern er ein Mann ist, haben die Frauen gar keine Ent-
schuldigung für den Mangel an Selbstbewußtsein und Gerechtig-
keitsgefühl, der sie verhindert, einmütig für ihre Rechte zu
kämpfen. Jahrhundertelange Unterdrückung, jahrhundertelange
Predigt über das Thema "Weiblichkeit" haben es vermocht,
daß die deutsche Frau von allen Frauen der civili-
sierten Welt am rechtlosesten ist
und am wenigsten Kraft
hat zur Empörung gegen diese Rechtlosigkeit.

Der Durchschnitt der gebildeten wohlsituierten deutschen
Frauen glaubt sehr häufig, das Ewig-Weibliche sei gerade
in ihnen verkörpert. Und die Männer bestärken sie darin,
diese Weiblichkeit zu hüten und nicht durch Einmischung
in "Männerangelegenheiten" zu gefährden. Gegen die Frau
auf dem Throne aber ist noch nie der Vorwurf der Un-

lich fühlt, verlangt die Proletarierin gleiche Rechte. Um ihrer
Kinder willen
sollte die bürgerliche Frau dasselbe fordern.
Jst es vereinbar mit einer ernsten Auffassung von Mutterpflicht,
daß die Mutter sich um die Gesetze nicht kümmert, nicht kümmern
darf, unter denen ihr Sohn, ihre Tochter zu leiden haben
werden? Eine edle Frau antwortete einmal, als sie gefragt
wurde, warum sie für die Gleichberechtigung der Geschlechter
einträte: „Weil ich eine reine Tochter habe, die einem Wüstling
zum Opfer fallen kann, ohne daß ich die Macht habe, es zu
verhindern, — weil ich einen Sohn habe, der sich töten lassen muß,
ohne daß ich die Macht habe, grausame Staatsgesetze, die das
befehlen, abzuschaffen.‟

Aber auch um ihrer selbst willen muß die Frau die Bürger-
rechte fordern. Oder ist es ihrer Würde angemessen, daß sie
mit Kindern, Wahnsinnigen und Verbrechern auf eine Stufe
gestellt wird? Das flammende Rot der Scham, des Zornes
müßte das Antlitz eines jeden weiblichen Wesens färben, sobald
sie diese Thatsache sich vor Augen hält. Jn England, wo das
Wahlrecht mit der Steuerpflicht zusammenhängt, könnte die
rechtlose Frau sich damit trösten, daß auch viele Männer, und
unter ihnen nicht die schlechtesten, rechtlos sind wie sie. Bei
uns aber, wo die deutsche Reichsverfassung jeden zur Wahl zu-
läßt, sofern er ein Mann ist, haben die Frauen gar keine Ent-
schuldigung für den Mangel an Selbstbewußtsein und Gerechtig-
keitsgefühl, der sie verhindert, einmütig für ihre Rechte zu
kämpfen. Jahrhundertelange Unterdrückung, jahrhundertelange
Predigt über das Thema „Weiblichkeit‟ haben es vermocht,
daß die deutsche Frau von allen Frauen der civili-
sierten Welt am rechtlosesten ist
und am wenigsten Kraft
hat zur Empörung gegen diese Rechtlosigkeit.

Der Durchschnitt der gebildeten wohlsituierten deutschen
Frauen glaubt sehr häufig, das Ewig-Weibliche sei gerade
in ihnen verkörpert. Und die Männer bestärken sie darin,
diese Weiblichkeit zu hüten und nicht durch Einmischung
in „Männerangelegenheiten‟ zu gefährden. Gegen die Frau
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[18/0019] lich fühlt, verlangt die Proletarierin gleiche Rechte. Um ihrer Kinder willen sollte die bürgerliche Frau dasselbe fordern. Jst es vereinbar mit einer ernsten Auffassung von Mutterpflicht, daß die Mutter sich um die Gesetze nicht kümmert, nicht kümmern darf, unter denen ihr Sohn, ihre Tochter zu leiden haben werden? Eine edle Frau antwortete einmal, als sie gefragt wurde, warum sie für die Gleichberechtigung der Geschlechter einträte: „Weil ich eine reine Tochter habe, die einem Wüstling zum Opfer fallen kann, ohne daß ich die Macht habe, es zu verhindern, — weil ich einen Sohn habe, der sich töten lassen muß, ohne daß ich die Macht habe, grausame Staatsgesetze, die das befehlen, abzuschaffen.‟ Aber auch um ihrer selbst willen muß die Frau die Bürger- rechte fordern. Oder ist es ihrer Würde angemessen, daß sie mit Kindern, Wahnsinnigen und Verbrechern auf eine Stufe gestellt wird? Das flammende Rot der Scham, des Zornes müßte das Antlitz eines jeden weiblichen Wesens färben, sobald sie diese Thatsache sich vor Augen hält. Jn England, wo das Wahlrecht mit der Steuerpflicht zusammenhängt, könnte die rechtlose Frau sich damit trösten, daß auch viele Männer, und unter ihnen nicht die schlechtesten, rechtlos sind wie sie. Bei uns aber, wo die deutsche Reichsverfassung jeden zur Wahl zu- läßt, sofern er ein Mann ist, haben die Frauen gar keine Ent- schuldigung für den Mangel an Selbstbewußtsein und Gerechtig- keitsgefühl, der sie verhindert, einmütig für ihre Rechte zu kämpfen. Jahrhundertelange Unterdrückung, jahrhundertelange Predigt über das Thema „Weiblichkeit‟ haben es vermocht, daß die deutsche Frau von allen Frauen der civili- sierten Welt am rechtlosesten ist und am wenigsten Kraft hat zur Empörung gegen diese Rechtlosigkeit. Der Durchschnitt der gebildeten wohlsituierten deutschen Frauen glaubt sehr häufig, das Ewig-Weibliche sei gerade in ihnen verkörpert. Und die Männer bestärken sie darin, diese Weiblichkeit zu hüten und nicht durch Einmischung in „Männerangelegenheiten‟ zu gefährden. Gegen die Frau auf dem Throne aber ist noch nie der Vorwurf der Un-

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/19>, abgerufen am 26.04.2024.