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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
ander zu setzen, wo die natürliche Verbindlichkeit nach
der Vorschrift des Civilrechts gänzlich wegfällt. Hier-
her gehört einmahl, wenn die positiven Gesetze ge-
wisse natürlich erlaubte und verbindliche Handlungen aus
besondern Ursachen durchaus verbieten, und dergestalt
für ungültig erklären, daß gleich Anfangs keine Ver-
bindlichkeit daraus im Staat entstehen kann. Die
Gründe, wodurch bürgerliche Gesezgeber veranlasset wer-
den können, natürlich erlaubte Handlungen zu verbie-
ten, und die daher entstehende mancherley Classen der
verbietenden Positivgesetze haben wir oben schon erör-
tert. (§. 14. S. 99.) Zweitens: wenn der bisheri-
ge gerichtliche Effect einer natürlichen Verbindlichkeit
zur Strafe des Gläubigers wegen Uebertretung verbie-
tender oder gebietender Gesetze dergestalt aufgehoben
wird, daß die Gesetze dem Gläubiger nicht blos rich-
terliche Hülfe versagen, sondern ihre Absicht dahin ge-
het, ihm eine sonst auch gegründete Forderung selbst
abzusprechen, also nicht blos die Ausübung seiner Be-
fugnis einzuschränken, sondern ihn seines ganzen
Rechts an sich verlustig zu erklären
. Wir
finden dieses in folgenden Fällen: a) wenn die Abtretung
einer Schuldforderung an einen Mächtigern geschie-
het 99). b) Wenn der Gläubiger, um seine Befriedi-
gung zu erhalten, sich der verbotenen Selbsthülfe be-
dient 100). In beyden Fällen ist nicht blos Verlust
der Klage, sondern des ganzen Rechts an sich
zur Strafe geordnet, und daher fällt auch nothwendig
die natürliche Zwangspflicht gänzlich weg. Denn ist
es gewiß, daß die Gesetze gewisse Handlungen des
Gläubigers mit dem ganzen Verluste seines Rechts be-
ahnden können, was nicht leicht jemand leugnen wird;

So
99) L. 2. C. ne liceat potentior.
100) L. 13. D. quod metus causa.

1. Buch. 1. Tit.
ander zu ſetzen, wo die natuͤrliche Verbindlichkeit nach
der Vorſchrift des Civilrechts gaͤnzlich wegfaͤllt. Hier-
her gehoͤrt einmahl, wenn die poſitiven Geſetze ge-
wiſſe natuͤrlich erlaubte und verbindliche Handlungen aus
beſondern Urſachen durchaus verbieten, und dergeſtalt
fuͤr unguͤltig erklaͤren, daß gleich Anfangs keine Ver-
bindlichkeit daraus im Staat entſtehen kann. Die
Gruͤnde, wodurch buͤrgerliche Geſezgeber veranlaſſet wer-
den koͤnnen, natuͤrlich erlaubte Handlungen zu verbie-
ten, und die daher entſtehende mancherley Claſſen der
verbietenden Poſitivgeſetze haben wir oben ſchon eroͤr-
tert. (§. 14. S. 99.) Zweitens: wenn der bisheri-
ge gerichtliche Effect einer natuͤrlichen Verbindlichkeit
zur Strafe des Glaͤubigers wegen Uebertretung verbie-
tender oder gebietender Geſetze dergeſtalt aufgehoben
wird, daß die Geſetze dem Glaͤubiger nicht blos rich-
terliche Huͤlfe verſagen, ſondern ihre Abſicht dahin ge-
het, ihm eine ſonſt auch gegruͤndete Forderung ſelbſt
abzuſprechen, alſo nicht blos die Ausuͤbung ſeiner Be-
fugnis einzuſchraͤnken, ſondern ihn ſeines ganzen
Rechts an ſich verluſtig zu erklaͤren
. Wir
finden dieſes in folgenden Faͤllen: a) wenn die Abtretung
einer Schuldforderung an einen Maͤchtigern geſchie-
het 99). b) Wenn der Glaͤubiger, um ſeine Befriedi-
gung zu erhalten, ſich der verbotenen Selbſthuͤlfe be-
dient 100). In beyden Faͤllen iſt nicht blos Verluſt
der Klage, ſondern des ganzen Rechts an ſich
zur Strafe geordnet, und daher faͤllt auch nothwendig
die natuͤrliche Zwangspflicht gaͤnzlich weg. Denn iſt
es gewiß, daß die Geſetze gewiſſe Handlungen des
Glaͤubigers mit dem ganzen Verluſte ſeines Rechts be-
ahnden koͤnnen, was nicht leicht jemand leugnen wird;

So
99) L. 2. C. ne liceat potentior.
100) L. 13. D. quod metus cauſa.
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[178/0198] 1. Buch. 1. Tit. ander zu ſetzen, wo die natuͤrliche Verbindlichkeit nach der Vorſchrift des Civilrechts gaͤnzlich wegfaͤllt. Hier- her gehoͤrt einmahl, wenn die poſitiven Geſetze ge- wiſſe natuͤrlich erlaubte und verbindliche Handlungen aus beſondern Urſachen durchaus verbieten, und dergeſtalt fuͤr unguͤltig erklaͤren, daß gleich Anfangs keine Ver- bindlichkeit daraus im Staat entſtehen kann. Die Gruͤnde, wodurch buͤrgerliche Geſezgeber veranlaſſet wer- den koͤnnen, natuͤrlich erlaubte Handlungen zu verbie- ten, und die daher entſtehende mancherley Claſſen der verbietenden Poſitivgeſetze haben wir oben ſchon eroͤr- tert. (§. 14. S. 99.) Zweitens: wenn der bisheri- ge gerichtliche Effect einer natuͤrlichen Verbindlichkeit zur Strafe des Glaͤubigers wegen Uebertretung verbie- tender oder gebietender Geſetze dergeſtalt aufgehoben wird, daß die Geſetze dem Glaͤubiger nicht blos rich- terliche Huͤlfe verſagen, ſondern ihre Abſicht dahin ge- het, ihm eine ſonſt auch gegruͤndete Forderung ſelbſt abzuſprechen, alſo nicht blos die Ausuͤbung ſeiner Be- fugnis einzuſchraͤnken, ſondern ihn ſeines ganzen Rechts an ſich verluſtig zu erklaͤren. Wir finden dieſes in folgenden Faͤllen: a) wenn die Abtretung einer Schuldforderung an einen Maͤchtigern geſchie- het 99). b) Wenn der Glaͤubiger, um ſeine Befriedi- gung zu erhalten, ſich der verbotenen Selbſthuͤlfe be- dient 100). In beyden Faͤllen iſt nicht blos Verluſt der Klage, ſondern des ganzen Rechts an ſich zur Strafe geordnet, und daher faͤllt auch nothwendig die natuͤrliche Zwangspflicht gaͤnzlich weg. Denn iſt es gewiß, daß die Geſetze gewiſſe Handlungen des Glaͤubigers mit dem ganzen Verluſte ſeines Rechts be- ahnden koͤnnen, was nicht leicht jemand leugnen wird; So 99) L. 2. C. ne liceat potentior. 100) L. 13. D. quod metus cauſa.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/198>, abgerufen am 28.04.2024.