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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Serlo konnte ohne eine kleine Liebschaft
nicht leben. Elmire, die in weniger Zeit
herangewachsen und man könnte beynahe
sagen schön geworden war, hatte schon lange
seine Aufmerksamkeit erregt, und Philine
war klug genug, diese Leidenschaft, die sie
merkte, zu begünstigen. Man muß sich,
pflegte sie zu sagen, bey Zeiten aufs Kuppeln
legen, es bleibt uns doch weiter nichts übrig
wenn wir alt werden. Dadurch hatten sich
Serlo und Elmire dergestalt genähert, daß
sie nach Philinens Abschiede bald einig wur¬
den, und der kleine Roman interessirte sie
beyde um so mehr, als sie ihn vor dem Al¬
ten, der über eine solche Unregelmäßigkeit
keinen Scherz verstanden hätte, geheim zu
halten alle Ursache hatten. Eimirens Schwe¬
ster war mit im Verständniß, und Serlo
mußte beyden Mädchen daher vieles nachse¬
hen. Eine ihrer größten Untugenden war

Serlo konnte ohne eine kleine Liebſchaft
nicht leben. Elmire, die in weniger Zeit
herangewachſen und man könnte beynahe
ſagen ſchön geworden war, hatte ſchon lange
ſeine Aufmerkſamkeit erregt, und Philine
war klug genug, dieſe Leidenſchaft, die ſie
merkte, zu begünſtigen. Man muß ſich,
pflegte ſie zu ſagen, bey Zeiten aufs Kuppeln
legen, es bleibt uns doch weiter nichts übrig
wenn wir alt werden. Dadurch hatten ſich
Serlo und Elmire dergeſtalt genähert, daß
ſie nach Philinens Abſchiede bald einig wur¬
den, und der kleine Roman intereſſirte ſie
beyde um ſo mehr, als ſie ihn vor dem Al¬
ten, der über eine ſolche Unregelmäßigkeit
keinen Scherz verſtanden hätte, geheim zu
halten alle Urſache hatten. Eimirens Schwe¬
ſter war mit im Verſtändniß, und Serlo
mußte beyden Mädchen daher vieles nachſe¬
hen. Eine ihrer größten Untugenden war

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[170/0176] Serlo konnte ohne eine kleine Liebſchaft nicht leben. Elmire, die in weniger Zeit herangewachſen und man könnte beynahe ſagen ſchön geworden war, hatte ſchon lange ſeine Aufmerkſamkeit erregt, und Philine war klug genug, dieſe Leidenſchaft, die ſie merkte, zu begünſtigen. Man muß ſich, pflegte ſie zu ſagen, bey Zeiten aufs Kuppeln legen, es bleibt uns doch weiter nichts übrig wenn wir alt werden. Dadurch hatten ſich Serlo und Elmire dergeſtalt genähert, daß ſie nach Philinens Abſchiede bald einig wur¬ den, und der kleine Roman intereſſirte ſie beyde um ſo mehr, als ſie ihn vor dem Al¬ ten, der über eine ſolche Unregelmäßigkeit keinen Scherz verſtanden hätte, geheim zu halten alle Urſache hatten. Eimirens Schwe¬ ſter war mit im Verſtändniß, und Serlo mußte beyden Mädchen daher vieles nachſe¬ hen. Eine ihrer größten Untugenden war

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/176>, abgerufen am 29.04.2024.