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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Brillianten besetzte Portrait ihres Gemahls
gewaltsam wider die Brust. Sie empfindet
einen heftigen Schmerz, der nach und nach
vergeht, erst eine kleine Röthe und dann
keine Spur zurück läßt. Ich bin als Mensch
überzeugt, daß sie sich nichts weiter vorzu¬
werfen hat, ich bin als Arzt gewiß, daß die¬
ser Druck keine üblen Folgen haben werde,
aber sie läßt sich nicht ausreden, es sey eine
Verhärtung da, und wenn man ihr durch
das Gefühl den Wahn benehmen will, so
behauptet sie, nur in diesem Augenblick sey
nichts zu fühlen; sie hat sich fest eingedruckt,
es werde dieses Übel mit einem Krebsschaden
sich endigen, und so ist ihre Jugend, ihre
Liebenswürdigkeit für sie und andere völlig
verlohren.

Ich unglückseliger! rief Wilhelm, indem
er sich vor die Stirne schlug und aus der
Gesellschaft ins Feld lief. Er hatte sich noch
nie in einem solchen Zustande befunden.

Brillianten beſetzte Portrait ihres Gemahls
gewaltſam wider die Bruſt. Sie empfindet
einen heftigen Schmerz, der nach und nach
vergeht, erſt eine kleine Röthe und dann
keine Spur zurück läßt. Ich bin als Menſch
überzeugt, daß ſie ſich nichts weiter vorzu¬
werfen hat, ich bin als Arzt gewiß, daß die¬
ſer Druck keine üblen Folgen haben werde,
aber ſie läßt ſich nicht ausreden, es ſey eine
Verhärtung da, und wenn man ihr durch
das Gefühl den Wahn benehmen will, ſo
behauptet ſie, nur in dieſem Augenblick ſey
nichts zu fühlen; ſie hat ſich feſt eingedruckt,
es werde dieſes Übel mit einem Krebsſchaden
ſich endigen, und ſo iſt ihre Jugend, ihre
Liebenswürdigkeit für ſie und andere völlig
verlohren.

Ich unglückſeliger! rief Wilhelm, indem
er ſich vor die Stirne ſchlug und aus der
Geſellſchaft ins Feld lief. Er hatte ſich noch
nie in einem ſolchen Zuſtande befunden.

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[183/0189] Brillianten beſetzte Portrait ihres Gemahls gewaltſam wider die Bruſt. Sie empfindet einen heftigen Schmerz, der nach und nach vergeht, erſt eine kleine Röthe und dann keine Spur zurück läßt. Ich bin als Menſch überzeugt, daß ſie ſich nichts weiter vorzu¬ werfen hat, ich bin als Arzt gewiß, daß die¬ ſer Druck keine üblen Folgen haben werde, aber ſie läßt ſich nicht ausreden, es ſey eine Verhärtung da, und wenn man ihr durch das Gefühl den Wahn benehmen will, ſo behauptet ſie, nur in dieſem Augenblick ſey nichts zu fühlen; ſie hat ſich feſt eingedruckt, es werde dieſes Übel mit einem Krebsſchaden ſich endigen, und ſo iſt ihre Jugend, ihre Liebenswürdigkeit für ſie und andere völlig verlohren. Ich unglückſeliger! rief Wilhelm, indem er ſich vor die Stirne ſchlug und aus der Geſellſchaft ins Feld lief. Er hatte ſich noch nie in einem ſolchen Zuſtande befunden.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/189>, abgerufen am 29.04.2024.