Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sigen, der vornehme nie. Dieser ist wie ein
sehr wohlgekleideter Mann, er wird sich nir¬
gends anlehnen, und jedermann wird sich hü¬
ten an ihn zu streichen; er unterscheidet sich
vor andern, und doch darf er nicht allein
stehen bleiben; denn wie in jeder Kunst also
auch in dieser, soll zuletzt das schwerste mit
Leichtigkeit ausgeführt werden, so soll der
Vornehme, ohngeachtet aller Absonderung,
immer mit andern verbunden scheinen, nir¬
gends steif, überall gewandt seyn, immer als
der erste erscheinen und sich nie als ein sol¬
cher aufdringen.

Man sieht also, daß man, um vornehm
zu scheinen, wirklich vornehm seyn müsse;
man sieht warum Frauen im Durchschnitt
sich eher dieses Ansehen geben können als
Männer, warum Hofleute und Soldaten am
schnellsten zu diesem Anstande gelangen.

Wilhelm verzweifelte nun fast an seiner

ſigen, der vornehme nie. Dieſer iſt wie ein
ſehr wohlgekleideter Mann, er wird ſich nir¬
gends anlehnen, und jedermann wird ſich hü¬
ten an ihn zu ſtreichen; er unterſcheidet ſich
vor andern, und doch darf er nicht allein
ſtehen bleiben; denn wie in jeder Kunſt alſo
auch in dieſer, ſoll zuletzt das ſchwerſte mit
Leichtigkeit ausgeführt werden, ſo ſoll der
Vornehme, ohngeachtet aller Abſonderung,
immer mit andern verbunden ſcheinen, nir¬
gends ſteif, überall gewandt ſeyn, immer als
der erſte erſcheinen und ſich nie als ein ſol¬
cher aufdringen.

Man ſieht alſo, daß man, um vornehm
zu ſcheinen, wirklich vornehm ſeyn müſſe;
man ſieht warum Frauen im Durchſchnitt
ſich eher dieſes Anſehen geben können als
Männer, warum Hofleute und Soldaten am
ſchnellſten zu dieſem Anſtande gelangen.

Wilhelm verzweifelte nun faſt an ſeiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0200" n="194"/>
&#x017F;igen, der vornehme nie. Die&#x017F;er i&#x017F;t wie ein<lb/>
&#x017F;ehr wohlgekleideter Mann, er wird &#x017F;ich nir¬<lb/>
gends anlehnen, und jedermann wird &#x017F;ich hü¬<lb/>
ten an ihn zu &#x017F;treichen; er unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich<lb/>
vor andern, und doch darf er nicht allein<lb/>
&#x017F;tehen bleiben; denn wie in jeder Kun&#x017F;t al&#x017F;o<lb/>
auch in die&#x017F;er, &#x017F;oll zuletzt das &#x017F;chwer&#x017F;te mit<lb/>
Leichtigkeit ausgeführt werden, &#x017F;o &#x017F;oll der<lb/>
Vornehme, ohngeachtet aller Ab&#x017F;onderung,<lb/>
immer mit andern verbunden &#x017F;cheinen, nir¬<lb/>
gends &#x017F;teif, überall gewandt &#x017F;eyn, immer als<lb/>
der er&#x017F;te er&#x017F;cheinen und &#x017F;ich nie als ein &#x017F;ol¬<lb/>
cher aufdringen.</p><lb/>
            <p>Man &#x017F;ieht al&#x017F;o, daß man, um vornehm<lb/>
zu &#x017F;cheinen, wirklich vornehm &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;e;<lb/>
man &#x017F;ieht warum Frauen im Durch&#x017F;chnitt<lb/>
&#x017F;ich eher die&#x017F;es An&#x017F;ehen geben können als<lb/>
Männer, warum Hofleute und Soldaten am<lb/>
&#x017F;chnell&#x017F;ten zu die&#x017F;em An&#x017F;tande gelangen.</p><lb/>
            <p>Wilhelm verzweifelte nun fa&#x017F;t an &#x017F;einer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0200] ſigen, der vornehme nie. Dieſer iſt wie ein ſehr wohlgekleideter Mann, er wird ſich nir¬ gends anlehnen, und jedermann wird ſich hü¬ ten an ihn zu ſtreichen; er unterſcheidet ſich vor andern, und doch darf er nicht allein ſtehen bleiben; denn wie in jeder Kunſt alſo auch in dieſer, ſoll zuletzt das ſchwerſte mit Leichtigkeit ausgeführt werden, ſo ſoll der Vornehme, ohngeachtet aller Abſonderung, immer mit andern verbunden ſcheinen, nir¬ gends ſteif, überall gewandt ſeyn, immer als der erſte erſcheinen und ſich nie als ein ſol¬ cher aufdringen. Man ſieht alſo, daß man, um vornehm zu ſcheinen, wirklich vornehm ſeyn müſſe; man ſieht warum Frauen im Durchſchnitt ſich eher dieſes Anſehen geben können als Männer, warum Hofleute und Soldaten am ſchnellſten zu dieſem Anſtande gelangen. Wilhelm verzweifelte nun faſt an ſeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/200
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/200>, abgerufen am 29.04.2024.