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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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ken, wie meine Besitzungen, nach meinem
Tode, unter sie zerfallen und durch sie wieder
lebendig werden würden. Ich sah die Jagd¬
flinten meines Vaters schon wieder auf dem
Rücken des Neffen im Felde herumwandeln,
und aus seiner Jagdtasche schon wieder Hüh¬
ner heraus fallen; ich sah meine sämmtliche
Garderobe bey der Osterconfirmation, lauter
kleinen Mädchen angepaßt, aus der Kirche
herauskommen und mit meinen besten Stof¬
fen ein sittsames Bürgermädchen an ihrem
Brauttage geschmückt; denn zu Ausstattung
solcher Kinder und ehrbarer armer Mädchen
hatte Natalie eine besondere Neigung, ob
sie gleich, wie ich hier bemerken muß, selbst
keine Art von Liebe, und wenn ich so sagen
darf, kein Bedürfniß einer Anhänglichkeit an
ein sichtbares oder unsichtbares Wesen, wie
es sich bey mir in meiner Jugend so lebhaft
gezeigt hatte, auf irgend eine Weise mer¬
ken ließ.

ken, wie meine Beſitzungen, nach meinem
Tode, unter ſie zerfallen und durch ſie wieder
lebendig werden würden. Ich ſah die Jagd¬
flinten meines Vaters ſchon wieder auf dem
Rücken des Neffen im Felde herumwandeln,
und aus ſeiner Jagdtaſche ſchon wieder Hüh¬
ner heraus fallen; ich ſah meine ſämmtliche
Garderobe bey der Oſterconfirmation, lauter
kleinen Mädchen angepaßt, aus der Kirche
herauskommen und mit meinen beſten Stof¬
fen ein ſittſames Bürgermädchen an ihrem
Brauttage geſchmückt; denn zu Ausſtattung
ſolcher Kinder und ehrbarer armer Mädchen
hatte Natalie eine beſondere Neigung, ob
ſie gleich, wie ich hier bemerken muß, ſelbſt
keine Art von Liebe, und wenn ich ſo ſagen
darf, kein Bedürfniß einer Anhänglichkeit an
ein ſichtbares oder unſichtbares Weſen, wie
es ſich bey mir in meiner Jugend ſo lebhaft
gezeigt hatte, auf irgend eine Weiſe mer¬
ken ließ.

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[366/0372] ken, wie meine Beſitzungen, nach meinem Tode, unter ſie zerfallen und durch ſie wieder lebendig werden würden. Ich ſah die Jagd¬ flinten meines Vaters ſchon wieder auf dem Rücken des Neffen im Felde herumwandeln, und aus ſeiner Jagdtaſche ſchon wieder Hüh¬ ner heraus fallen; ich ſah meine ſämmtliche Garderobe bey der Oſterconfirmation, lauter kleinen Mädchen angepaßt, aus der Kirche herauskommen und mit meinen beſten Stof¬ fen ein ſittſames Bürgermädchen an ihrem Brauttage geſchmückt; denn zu Ausſtattung ſolcher Kinder und ehrbarer armer Mädchen hatte Natalie eine beſondere Neigung, ob ſie gleich, wie ich hier bemerken muß, ſelbſt keine Art von Liebe, und wenn ich ſo ſagen darf, kein Bedürfniß einer Anhänglichkeit an ein ſichtbares oder unſichtbares Weſen, wie es ſich bey mir in meiner Jugend ſo lebhaft gezeigt hatte, auf irgend eine Weiſe mer¬ ken ließ.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/372>, abgerufen am 26.04.2024.