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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Musiker und er wird eS in unglaublich kurzer Frist, ohne innere
Mühe, blos durch körperliche Bearbeitung: ein russischer Leib
eigener hat noch nie seinen Beruf verfehlt. Ebenso wenig kennt er die
Qualen der Liebe; sein Herr ist zart genug und wählt für ihn; er
befiehlt ihm zu heirathen und er heirathet. Er befiehlt ihm, sein
Weib zu verlassen, hundert Meilen weit zu gehen und dort Geld zu
verdienen? er thut eS und wird reich, denn ein Segen ruht auf Al¬
lem, was sein Herr befiehlt. Allein er kennt nicht die Sorgen des
Reichthums, nicht die häßliche Leidenschaft des Geizes, da er weiß,
daß der Reichthum nicht ihm gehört. Der Herr befiehlt ihm, nach
Hause zu gehen, ein Kind zu erzeugen und wiederzukommen: er thut
eS, er kennt weder die Pein der Eifersucht, noch die Lasten des Fa¬
milienvaters oder die Bürde der Kindererziehung; alle diese Pflichten
erfüllt sein Herr für ihn. Ja sogar die Pflicht der Selbsterhaltung
und die Furcht vor irdischen Gefahren kann ihm nie das Dasein
verbittern, denn sein Leben geht ihn Nichts an, sein Herr hat dar¬
über zu wachen. So genießt er eines doppelten Glückes; erstens
kann er sich sorglos wie ein Kind seinen Träumen überlassen und
ist also im Besitze der wahren Freiheit, zweitens wird er unwill¬
kürlich ein vollkommener Christ, von Jugend auf werden alle
Leidenschaften in seinem Herzen ausgerottet, und da sein Herr alle
Verantwortlichkeit für ihn auf sich nimmt, so bleibt seine Seele sünden¬
rein und kommt unfehlbar in den Himmel. Mit Recht heißt es da¬
her: Graf Soundso hat zehntausend Seelen auf seinen Gütern; denn
es sind keine sündigen Menschen, diese Leibeigenen, da sie schon hie-
nieden den Leib weggegeben haben; eS sind pure Seelen, die am
jüngsten Tage gewiß nicht unter den Böcken, sondern zur Rechten
des Heilandes unter den unschuldigen Schafen stehen werden.

Müssen eS nicht wahre Ungeheuer, oder von ausländischer Teu¬
felei verführte Seelen sein, welche dieses süße Joch der Geistesfrei-
heit abschütteln und dafür die zügellose Knechtschaft des bürgerlichen
Lebens auf sich nehmen wollen? Die sich durchaus loskaufen d. h.
durch schnödes Geld die gemüthlichen Bande zerreißen wollen, mit denen
sie an ihren Herrn, Ernährer und Bater geknüpft sind? Und die, weil
ihr Herr sie nicht verstoßen will, sich an ihm vergreifen? -- Die Schul
tigem wurden verhaftet und standrechtlich gerichtet. Hier beachte nur
den Unterschied zwischen Rußland und andern Ländern. Der inssi-


Musiker und er wird eS in unglaublich kurzer Frist, ohne innere
Mühe, blos durch körperliche Bearbeitung: ein russischer Leib
eigener hat noch nie seinen Beruf verfehlt. Ebenso wenig kennt er die
Qualen der Liebe; sein Herr ist zart genug und wählt für ihn; er
befiehlt ihm zu heirathen und er heirathet. Er befiehlt ihm, sein
Weib zu verlassen, hundert Meilen weit zu gehen und dort Geld zu
verdienen? er thut eS und wird reich, denn ein Segen ruht auf Al¬
lem, was sein Herr befiehlt. Allein er kennt nicht die Sorgen des
Reichthums, nicht die häßliche Leidenschaft des Geizes, da er weiß,
daß der Reichthum nicht ihm gehört. Der Herr befiehlt ihm, nach
Hause zu gehen, ein Kind zu erzeugen und wiederzukommen: er thut
eS, er kennt weder die Pein der Eifersucht, noch die Lasten des Fa¬
milienvaters oder die Bürde der Kindererziehung; alle diese Pflichten
erfüllt sein Herr für ihn. Ja sogar die Pflicht der Selbsterhaltung
und die Furcht vor irdischen Gefahren kann ihm nie das Dasein
verbittern, denn sein Leben geht ihn Nichts an, sein Herr hat dar¬
über zu wachen. So genießt er eines doppelten Glückes; erstens
kann er sich sorglos wie ein Kind seinen Träumen überlassen und
ist also im Besitze der wahren Freiheit, zweitens wird er unwill¬
kürlich ein vollkommener Christ, von Jugend auf werden alle
Leidenschaften in seinem Herzen ausgerottet, und da sein Herr alle
Verantwortlichkeit für ihn auf sich nimmt, so bleibt seine Seele sünden¬
rein und kommt unfehlbar in den Himmel. Mit Recht heißt es da¬
her: Graf Soundso hat zehntausend Seelen auf seinen Gütern; denn
es sind keine sündigen Menschen, diese Leibeigenen, da sie schon hie-
nieden den Leib weggegeben haben; eS sind pure Seelen, die am
jüngsten Tage gewiß nicht unter den Böcken, sondern zur Rechten
des Heilandes unter den unschuldigen Schafen stehen werden.

Müssen eS nicht wahre Ungeheuer, oder von ausländischer Teu¬
felei verführte Seelen sein, welche dieses süße Joch der Geistesfrei-
heit abschütteln und dafür die zügellose Knechtschaft des bürgerlichen
Lebens auf sich nehmen wollen? Die sich durchaus loskaufen d. h.
durch schnödes Geld die gemüthlichen Bande zerreißen wollen, mit denen
sie an ihren Herrn, Ernährer und Bater geknüpft sind? Und die, weil
ihr Herr sie nicht verstoßen will, sich an ihm vergreifen? — Die Schul
tigem wurden verhaftet und standrechtlich gerichtet. Hier beachte nur
den Unterschied zwischen Rußland und andern Ländern. Der inssi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/222>, abgerufen am 17.06.2024.