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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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es beinahe Anno 1831 geschehen wäre? Wär' eS nicht möglich, daß
Polen wieder einen unserer Fürsten auf seinen gleißenden Thron ver¬
lockte? Und wenn z. B. der Herrscher Preußens, Oesterreichs oder
Sachsens die dornenvolle Königskrone Polens tragen müßte, wie wollte
er dabei die Regierungöpflichten im eigenen Lande erfüllen? -- Die
Journalistik, dieser blinde Maulwurf, wühlt ebenso ungeduldig und,
glücklicherweise, ohnmächtig im Boden des Vaterlandes, so oft eine
russische Prinzessin ein deutsches Fürstenkind heimführt. Man denkt
nur an die Ansprüche, die Nußland einst bei uns geltend machen
dürste. Als ob dem Weltherrscher daran liegen könnte, einen Brocken
Dänemark oder ein ärmliches Stück Hessen zu erwerben. Man
vergißt, daß der Czar dadurch auch Pflichten auf sich nimmt; denn
man kann erwarten, daß er als unparteiischer, weil ganz unbe-
theiligter Schiedsrichter, unsere kleinlichen Uneinigkeiten schlichten,
daß er jedes Land, und sei es noch so klein, gegen ausländischen
Einfluß oder Angriff in Schutz nehmen werde. Die russische Ge¬
schichte ist uns eine Bürgschaft dafür; der Czar hat selbst die rohe
Walachei, das unbedeutende Serbien, das undankbare Polen, die un¬
gelehrige Türkei und das junge Griechenland nie im Stich gelassen.
Die deutschen Völker aber mit dem tiefen Gemüth und dem friedli¬
chen Sinn erregen seine besondere Theilnahme; er ist zärtlich besorgt
um sie, wie um die Zukunft eines Kindes, das zu gut ist für diese
schlechte Welt. Und Deutschland ist wirklich zu harmlos ehrlich, um
allein der wälschen Perfidie und dem englischen Egoismus zu trotzen;
es bedarf eines so klugen und mächtigen Urwalds; es ist ein Glück,
wenn Deutschland, die idealische Zauberinsel unter den Ländern, mit
so vielen Ketten als möglich an den festländischen Koloß sich fest¬
klammert, um nicht von den Sturmwogen der Weltgeschichte hinweg¬
gerissen und verschleudert zu werden. Wollte Gott, man machte eS
jedem deutschen Fürsten zur Pflicht, durch eine verwandtschaftliche
Allianz mit den Romanows seinem Lande den Frieden zu sichern.
Denn wenn wir einmal Rußland angehören und diesem die ganze
Welt gehorcht, so sind wir ja gegen die ganze Welt geschützt. Dann
würde der deutsche Bund nicht nöthig haben, Festungen zu bauen
und stehende Heere zu erhalten; der Ueberschuß an Geld- und Men¬
schenkräften könnte auf Wissenschaft und Kunst verwendet werden;
wir brauchten uns auch nicht so viel mit Politik zu beschäftigen; die


es beinahe Anno 1831 geschehen wäre? Wär' eS nicht möglich, daß
Polen wieder einen unserer Fürsten auf seinen gleißenden Thron ver¬
lockte? Und wenn z. B. der Herrscher Preußens, Oesterreichs oder
Sachsens die dornenvolle Königskrone Polens tragen müßte, wie wollte
er dabei die Regierungöpflichten im eigenen Lande erfüllen? — Die
Journalistik, dieser blinde Maulwurf, wühlt ebenso ungeduldig und,
glücklicherweise, ohnmächtig im Boden des Vaterlandes, so oft eine
russische Prinzessin ein deutsches Fürstenkind heimführt. Man denkt
nur an die Ansprüche, die Nußland einst bei uns geltend machen
dürste. Als ob dem Weltherrscher daran liegen könnte, einen Brocken
Dänemark oder ein ärmliches Stück Hessen zu erwerben. Man
vergißt, daß der Czar dadurch auch Pflichten auf sich nimmt; denn
man kann erwarten, daß er als unparteiischer, weil ganz unbe-
theiligter Schiedsrichter, unsere kleinlichen Uneinigkeiten schlichten,
daß er jedes Land, und sei es noch so klein, gegen ausländischen
Einfluß oder Angriff in Schutz nehmen werde. Die russische Ge¬
schichte ist uns eine Bürgschaft dafür; der Czar hat selbst die rohe
Walachei, das unbedeutende Serbien, das undankbare Polen, die un¬
gelehrige Türkei und das junge Griechenland nie im Stich gelassen.
Die deutschen Völker aber mit dem tiefen Gemüth und dem friedli¬
chen Sinn erregen seine besondere Theilnahme; er ist zärtlich besorgt
um sie, wie um die Zukunft eines Kindes, das zu gut ist für diese
schlechte Welt. Und Deutschland ist wirklich zu harmlos ehrlich, um
allein der wälschen Perfidie und dem englischen Egoismus zu trotzen;
es bedarf eines so klugen und mächtigen Urwalds; es ist ein Glück,
wenn Deutschland, die idealische Zauberinsel unter den Ländern, mit
so vielen Ketten als möglich an den festländischen Koloß sich fest¬
klammert, um nicht von den Sturmwogen der Weltgeschichte hinweg¬
gerissen und verschleudert zu werden. Wollte Gott, man machte eS
jedem deutschen Fürsten zur Pflicht, durch eine verwandtschaftliche
Allianz mit den Romanows seinem Lande den Frieden zu sichern.
Denn wenn wir einmal Rußland angehören und diesem die ganze
Welt gehorcht, so sind wir ja gegen die ganze Welt geschützt. Dann
würde der deutsche Bund nicht nöthig haben, Festungen zu bauen
und stehende Heere zu erhalten; der Ueberschuß an Geld- und Men¬
schenkräften könnte auf Wissenschaft und Kunst verwendet werden;
wir brauchten uns auch nicht so viel mit Politik zu beschäftigen; die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/224>, abgerufen am 17.06.2024.