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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Mißgeburten der negativen Poesie und der atheistischen Theologie
würden von selbst verschwinden, unsere Literatur, unsere Philosophie,
unsere Philologie würde dann zur vollkommenen Reinheit gelangen.
Jeder Deutsche würde ein Gelehrter, und zum tiefsinnigen Weltverbessern
hätten wir alle die gehörige Ruhe und Muße. Die Freiheit des deutschen
Geistes wird dabei nicht leiden. Die Romanows sind ja selbst deutschen
Geblüts und haben das große Slavenreich nur uns zu Ehren gestiftet;
wie die Heroen einst zur Bekämpfung von fabelhaften Ungeheuern,
so zogen sie zur Civilisirung der barbarischen Slavenstämme aus.
Noch jetzt thun sie dies mit unseren Waffen; die wesentlich deutschen,
altheiliger Errungenschaften, das, "was uns bleibt, wenn Alles schwin¬
det", Censur, Geheimpolizei u. s. w. sind von uns entlehnt; die besten
Censoren in Warschau, die intelligentesten Polizeiagenten und Diplo¬
maten in Rußland sind Deutsche. Wir werden dann erst recht zur
Weltherrschaft kommen. Die Slaven sind bekanntlich bloßer Erdstoss,
weich, bildsam, anschmiegend; sie werden sich an uns erwärmen und
durchgeistigen, also unbewußt verdeutschen. Sie werden uns alle
niedere materielle Arbeit abnehmen, zu der wir ohnedies nicht taugen,
damit der deutsche Geist sich freier und idealischer entwickele. Man
wird nicht sagen können, ob Nußland, ob Deutschland herrsche; auf
den Namen kommt es ja nicht an. Rußland wird uns hüten als die
ewige Flamme, die den Erdkreis erleuchtet; und wie jetzt Einzelne als
Hofmeister nach Petersburg kommen, so wird Deutschland als Imso"
mator des Menschengeschlechts in russische Dienste treten; Nußland wird
unsere Ideen ausführen, es wird unser Harnisch und Schwert, unser
Bakel und Korporalstock sein. Wenn es erst festen Fuß an der Nordsee
gefaßt hat, wird es gewiß den Traum von der deutschen Flotte ver¬
wirklichen. Seine Geschwader werden den Erdball umkreisen und
von fernen Küsten uns seltene Conchilien, Mammuths, alte Hand¬
schriften, Antiquitäten aller Art heimbringen; das Cotta'sche "Aus-
land" wird wöchentlich dreimal so viel Tert enthalten, unsere Mu¬
seen und Naturaliencabinette werden sich füllen. Rußland wird uns
Asien aufschließen, unsere Gelehrten werden in Sibirien botanisiren
und auf dem Kaukasus -- halt, da fällt mir ein, wie kurzsichtig
unsere Freiheitssänger sind, die sich für die Tscherkessen begeistern.
Auf dem Kaukasus wohnen eine Masse kleiner Völker, die Nichts
lernen wollen. Sie möchten nur bequem ihr freies Bergleder fort-


Mrenzbotc" I. 29

Mißgeburten der negativen Poesie und der atheistischen Theologie
würden von selbst verschwinden, unsere Literatur, unsere Philosophie,
unsere Philologie würde dann zur vollkommenen Reinheit gelangen.
Jeder Deutsche würde ein Gelehrter, und zum tiefsinnigen Weltverbessern
hätten wir alle die gehörige Ruhe und Muße. Die Freiheit des deutschen
Geistes wird dabei nicht leiden. Die Romanows sind ja selbst deutschen
Geblüts und haben das große Slavenreich nur uns zu Ehren gestiftet;
wie die Heroen einst zur Bekämpfung von fabelhaften Ungeheuern,
so zogen sie zur Civilisirung der barbarischen Slavenstämme aus.
Noch jetzt thun sie dies mit unseren Waffen; die wesentlich deutschen,
altheiliger Errungenschaften, das, „was uns bleibt, wenn Alles schwin¬
det", Censur, Geheimpolizei u. s. w. sind von uns entlehnt; die besten
Censoren in Warschau, die intelligentesten Polizeiagenten und Diplo¬
maten in Rußland sind Deutsche. Wir werden dann erst recht zur
Weltherrschaft kommen. Die Slaven sind bekanntlich bloßer Erdstoss,
weich, bildsam, anschmiegend; sie werden sich an uns erwärmen und
durchgeistigen, also unbewußt verdeutschen. Sie werden uns alle
niedere materielle Arbeit abnehmen, zu der wir ohnedies nicht taugen,
damit der deutsche Geist sich freier und idealischer entwickele. Man
wird nicht sagen können, ob Nußland, ob Deutschland herrsche; auf
den Namen kommt es ja nicht an. Rußland wird uns hüten als die
ewige Flamme, die den Erdkreis erleuchtet; und wie jetzt Einzelne als
Hofmeister nach Petersburg kommen, so wird Deutschland als Imso»
mator des Menschengeschlechts in russische Dienste treten; Nußland wird
unsere Ideen ausführen, es wird unser Harnisch und Schwert, unser
Bakel und Korporalstock sein. Wenn es erst festen Fuß an der Nordsee
gefaßt hat, wird es gewiß den Traum von der deutschen Flotte ver¬
wirklichen. Seine Geschwader werden den Erdball umkreisen und
von fernen Küsten uns seltene Conchilien, Mammuths, alte Hand¬
schriften, Antiquitäten aller Art heimbringen; das Cotta'sche „Aus-
land" wird wöchentlich dreimal so viel Tert enthalten, unsere Mu¬
seen und Naturaliencabinette werden sich füllen. Rußland wird uns
Asien aufschließen, unsere Gelehrten werden in Sibirien botanisiren
und auf dem Kaukasus — halt, da fällt mir ein, wie kurzsichtig
unsere Freiheitssänger sind, die sich für die Tscherkessen begeistern.
Auf dem Kaukasus wohnen eine Masse kleiner Völker, die Nichts
lernen wollen. Sie möchten nur bequem ihr freies Bergleder fort-


Mrenzbotc» I. 29
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[0225] Mißgeburten der negativen Poesie und der atheistischen Theologie würden von selbst verschwinden, unsere Literatur, unsere Philosophie, unsere Philologie würde dann zur vollkommenen Reinheit gelangen. Jeder Deutsche würde ein Gelehrter, und zum tiefsinnigen Weltverbessern hätten wir alle die gehörige Ruhe und Muße. Die Freiheit des deutschen Geistes wird dabei nicht leiden. Die Romanows sind ja selbst deutschen Geblüts und haben das große Slavenreich nur uns zu Ehren gestiftet; wie die Heroen einst zur Bekämpfung von fabelhaften Ungeheuern, so zogen sie zur Civilisirung der barbarischen Slavenstämme aus. Noch jetzt thun sie dies mit unseren Waffen; die wesentlich deutschen, altheiliger Errungenschaften, das, „was uns bleibt, wenn Alles schwin¬ det", Censur, Geheimpolizei u. s. w. sind von uns entlehnt; die besten Censoren in Warschau, die intelligentesten Polizeiagenten und Diplo¬ maten in Rußland sind Deutsche. Wir werden dann erst recht zur Weltherrschaft kommen. Die Slaven sind bekanntlich bloßer Erdstoss, weich, bildsam, anschmiegend; sie werden sich an uns erwärmen und durchgeistigen, also unbewußt verdeutschen. Sie werden uns alle niedere materielle Arbeit abnehmen, zu der wir ohnedies nicht taugen, damit der deutsche Geist sich freier und idealischer entwickele. Man wird nicht sagen können, ob Nußland, ob Deutschland herrsche; auf den Namen kommt es ja nicht an. Rußland wird uns hüten als die ewige Flamme, die den Erdkreis erleuchtet; und wie jetzt Einzelne als Hofmeister nach Petersburg kommen, so wird Deutschland als Imso» mator des Menschengeschlechts in russische Dienste treten; Nußland wird unsere Ideen ausführen, es wird unser Harnisch und Schwert, unser Bakel und Korporalstock sein. Wenn es erst festen Fuß an der Nordsee gefaßt hat, wird es gewiß den Traum von der deutschen Flotte ver¬ wirklichen. Seine Geschwader werden den Erdball umkreisen und von fernen Küsten uns seltene Conchilien, Mammuths, alte Hand¬ schriften, Antiquitäten aller Art heimbringen; das Cotta'sche „Aus- land" wird wöchentlich dreimal so viel Tert enthalten, unsere Mu¬ seen und Naturaliencabinette werden sich füllen. Rußland wird uns Asien aufschließen, unsere Gelehrten werden in Sibirien botanisiren und auf dem Kaukasus — halt, da fällt mir ein, wie kurzsichtig unsere Freiheitssänger sind, die sich für die Tscherkessen begeistern. Auf dem Kaukasus wohnen eine Masse kleiner Völker, die Nichts lernen wollen. Sie möchten nur bequem ihr freies Bergleder fort- Mrenzbotc» I. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/225>, abgerufen am 17.06.2024.