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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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i.
Briefe über Wiener Kunstzustände.
(Bon einem Maler.)

Techniker und Künstler. -- Kabul. -- Die Klosterkünstler und die Moder¬
nen. -- Keine Geschichte. -- Raphael ein "Schaam!" -- Wiener Kunstkri¬
tik. -- Geiger, Hayez. --

Die gewöhnliche Meinung, die man in der Welt von der Wie¬
ner Kunst hat, ist die, daß Wien wohl mehrere ausgezeichnete Techniker
z. B. Ammcrling, Gaucrniann, Krichnbcr, Nanftl, Waldmüller u. s. w.,
allein keinen einzigen Künstler besitze, der durch daS von Gott ihm an
die Stirne geschriebene Wort "Genie" Respect einzujagen vermöchte,
und das ist auch so ziemlich die Wahrheit. Als den Mittelpunkt des
Kunstzustandcs einer großen Stadt darf man, wenn sonst keine zweite
Partei von einiger Bedeutung da ist, Wohl mit Recht ihre Kunst¬
schule und deren Richtung betrachten. Und das ist hier der Fall.
Der erste und vielleicht einzige Künstler (Hut ab vor dem Worte), den
Oesterreich bis jetzt auszuweisen hat, ist "och immer Heinrich Fug er.
Unter diesem tiefdenkenden, gcnievollc" und wissenschaftlich gebildeten
Manne nahm die Wiener Kunstschule vor fünfzig Jahren einen sehr
ernstlichen Anlauf. Er starb. Was ist daraus hervorgegangen? Die
neuere Wiener Genre-Malerei; eine Malerei, die wohl viele recht hüb"
sehe Bilderchen zur Welt bringt, allein die bei Leibe nicht im Stande
ist, sich das Prädicat: Kunst im höheren Sinne deS Wortes zu erobern.
Anstatt Fügcr's Geistesrichtung zu verfolgen, Meß man sich an seine
kleinen technischen Fehler und glaubte dnrch Ausbildung der schöne"
Form in Zeichnung und Farbe allein der Kunst einen Gefallen zu
thun. Die historische Makart'unse wird gegenwärtig in Wien fast
durchgängig durch Männer vertreten, die entweder aus der Wiener oder
Präger Akademie hervorgingen. Was die Schule Kabul'ö in Prag
sür die neuere historische Kunst gethan hat, kann Jedermann begreifen,
der da weiß, mit welcher Wuth dieser Mann gegen Stiles, was nicht


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i.
Briefe über Wiener Kunstzustände.
(Bon einem Maler.)

Techniker und Künstler. — Kabul. — Die Klosterkünstler und die Moder¬
nen. — Keine Geschichte. — Raphael ein „Schaam!" — Wiener Kunstkri¬
tik. — Geiger, Hayez. —

Die gewöhnliche Meinung, die man in der Welt von der Wie¬
ner Kunst hat, ist die, daß Wien wohl mehrere ausgezeichnete Techniker
z. B. Ammcrling, Gaucrniann, Krichnbcr, Nanftl, Waldmüller u. s. w.,
allein keinen einzigen Künstler besitze, der durch daS von Gott ihm an
die Stirne geschriebene Wort „Genie" Respect einzujagen vermöchte,
und das ist auch so ziemlich die Wahrheit. Als den Mittelpunkt des
Kunstzustandcs einer großen Stadt darf man, wenn sonst keine zweite
Partei von einiger Bedeutung da ist, Wohl mit Recht ihre Kunst¬
schule und deren Richtung betrachten. Und das ist hier der Fall.
Der erste und vielleicht einzige Künstler (Hut ab vor dem Worte), den
Oesterreich bis jetzt auszuweisen hat, ist »och immer Heinrich Fug er.
Unter diesem tiefdenkenden, gcnievollc» und wissenschaftlich gebildeten
Manne nahm die Wiener Kunstschule vor fünfzig Jahren einen sehr
ernstlichen Anlauf. Er starb. Was ist daraus hervorgegangen? Die
neuere Wiener Genre-Malerei; eine Malerei, die wohl viele recht hüb»
sehe Bilderchen zur Welt bringt, allein die bei Leibe nicht im Stande
ist, sich das Prädicat: Kunst im höheren Sinne deS Wortes zu erobern.
Anstatt Fügcr's Geistesrichtung zu verfolgen, Meß man sich an seine
kleinen technischen Fehler und glaubte dnrch Ausbildung der schöne»
Form in Zeichnung und Farbe allein der Kunst einen Gefallen zu
thun. Die historische Makart'unse wird gegenwärtig in Wien fast
durchgängig durch Männer vertreten, die entweder aus der Wiener oder
Präger Akademie hervorgingen. Was die Schule Kabul'ö in Prag
sür die neuere historische Kunst gethan hat, kann Jedermann begreifen,
der da weiß, mit welcher Wuth dieser Mann gegen Stiles, was nicht


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[0227] T a g e b u clz. i. Briefe über Wiener Kunstzustände. (Bon einem Maler.) Techniker und Künstler. — Kabul. — Die Klosterkünstler und die Moder¬ nen. — Keine Geschichte. — Raphael ein „Schaam!" — Wiener Kunstkri¬ tik. — Geiger, Hayez. — Die gewöhnliche Meinung, die man in der Welt von der Wie¬ ner Kunst hat, ist die, daß Wien wohl mehrere ausgezeichnete Techniker z. B. Ammcrling, Gaucrniann, Krichnbcr, Nanftl, Waldmüller u. s. w., allein keinen einzigen Künstler besitze, der durch daS von Gott ihm an die Stirne geschriebene Wort „Genie" Respect einzujagen vermöchte, und das ist auch so ziemlich die Wahrheit. Als den Mittelpunkt des Kunstzustandcs einer großen Stadt darf man, wenn sonst keine zweite Partei von einiger Bedeutung da ist, Wohl mit Recht ihre Kunst¬ schule und deren Richtung betrachten. Und das ist hier der Fall. Der erste und vielleicht einzige Künstler (Hut ab vor dem Worte), den Oesterreich bis jetzt auszuweisen hat, ist »och immer Heinrich Fug er. Unter diesem tiefdenkenden, gcnievollc» und wissenschaftlich gebildeten Manne nahm die Wiener Kunstschule vor fünfzig Jahren einen sehr ernstlichen Anlauf. Er starb. Was ist daraus hervorgegangen? Die neuere Wiener Genre-Malerei; eine Malerei, die wohl viele recht hüb» sehe Bilderchen zur Welt bringt, allein die bei Leibe nicht im Stande ist, sich das Prädicat: Kunst im höheren Sinne deS Wortes zu erobern. Anstatt Fügcr's Geistesrichtung zu verfolgen, Meß man sich an seine kleinen technischen Fehler und glaubte dnrch Ausbildung der schöne» Form in Zeichnung und Farbe allein der Kunst einen Gefallen zu thun. Die historische Makart'unse wird gegenwärtig in Wien fast durchgängig durch Männer vertreten, die entweder aus der Wiener oder Präger Akademie hervorgingen. Was die Schule Kabul'ö in Prag sür die neuere historische Kunst gethan hat, kann Jedermann begreifen, der da weiß, mit welcher Wuth dieser Mann gegen Stiles, was nicht 29»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/227>, abgerufen am 17.06.2024.