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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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bestimmt sei. Wir können diesem Gerücht keinen Glauben schenken;
vielleicht rührt es daher, daß Rußland, Unterhandlungen angeknüpft
hat, die, wie man hört, abgebrochen worden sind. Mögen sie ab¬
gebrochen bleiben und die heirathslustige Diplomatie von Se. Peters¬
burg ihren Korb behalten.

-- In Augsburg hat wieder ein deutscher Mann vor dem O e l-
bilde des Königs von Baiern knieend Abbitte thun müssen und ist
dann aus die Frchnveste geführt worden. "Das haben wir auch einem
Preußen (Feuerbach) zu verdanken," sagte ein Baier, als er mir mit
echt deutscher Seelenruhe umständlich den ganzen Hergang dieser Ab¬
bitte schilderte. Ich hatte es, aufrichtig gesagt, bis dahin stets für
eine Fabel, eine böswillige Erfindung gehalten, die, einmal von eine"!
schwarzgallige" Pessimisten ausgesprengt, im Munde des Volks geblie¬
ben sei und wie die große Seeschlange, als periodische ZeitungStradilivu,
dann und wann umgehe. Zwar erwähnt Börne einmal, in nicht sehr
glimpflichen Ausdrücken, einer solchen Abbitte, allein, dachte ich, das
wird eins von jenen politischen Gerüchten gewesen sein, die in jenen
aufgeregten Zeiten auf dem Wege von Baiern bis an das Ohr eines
deutschen Flüchtlings in Paris ins Brobdignagsche vergrößert wurden;
vielleicht war'S auch ein AnsnahmSfall. Jetzt weiß ich eS besser; es
ist ein Strafgesetz. Wer aber ist im Stande/Sinn, Zweck oder Be¬
deutung dieses Gesetzes einzusehen? Ist die Majestätsbeleidigung
(wofür jene Abbitte dictirt wird) ein Vergehen gegen den Staat,
nämlich nicht gegen den König als Person, sondern gegen die politi¬
sche Idee, welche der König vertritt, gegen die Würde, die Majestät
seiner Stellung, so muß der Staat sie strafen, aber des Königs Per¬
son darf dabei nicht ins Spiel kommen und beim Gericht auftreten;
noch weniger der Schatten von des Königs Person: sein Porträt.
Vielleicht wird man dies als der poetischen, pcrsonnifieircnden Phantasie
des katholischen Landes angemessen erklären wollen. Der Katholik
verehrt freilich das Bild seines Heiligen, indem er beim Anblick des
Bildes an die Tugenden und den frommen Lebenswandel dessen den¬
ken soll, den es ihm vorstellt. Aber gewiß thut er dies nur, weil
der Heilige nicht mehr auf Erden ist; sonst würde er gewiß lieber zu
dem lebendigen Heiligen gehen, um sich von ihm belehren, strafen
oder trösten zu lassen. Doch, das versteht sich von selbst. Die Ab-
bitte überhaupt ist unbegreiflich. Abbitte ist Neue. Kann ein Gesetz
Neue befehlen, oder gar als Strafe dictiren? Hat befohlene, gezwung¬
ene Neue einen Werth !! Ist sie nicht mehr als eine moralische De¬
müthigung, nämlich eine unmoralische, weil sie zur Heuchelei zwingt?
-- Nehmen wir aber an, daß das Majestätsverbrechen für eine B"
lcidigung des Königs als Menschen angesehen wird, so wird er sich
doch nicht eine Beleidigung abbilde" lassen, wenn er sie nicht ver-


bestimmt sei. Wir können diesem Gerücht keinen Glauben schenken;
vielleicht rührt es daher, daß Rußland, Unterhandlungen angeknüpft
hat, die, wie man hört, abgebrochen worden sind. Mögen sie ab¬
gebrochen bleiben und die heirathslustige Diplomatie von Se. Peters¬
burg ihren Korb behalten.

— In Augsburg hat wieder ein deutscher Mann vor dem O e l-
bilde des Königs von Baiern knieend Abbitte thun müssen und ist
dann aus die Frchnveste geführt worden. „Das haben wir auch einem
Preußen (Feuerbach) zu verdanken," sagte ein Baier, als er mir mit
echt deutscher Seelenruhe umständlich den ganzen Hergang dieser Ab¬
bitte schilderte. Ich hatte es, aufrichtig gesagt, bis dahin stets für
eine Fabel, eine böswillige Erfindung gehalten, die, einmal von eine»!
schwarzgallige» Pessimisten ausgesprengt, im Munde des Volks geblie¬
ben sei und wie die große Seeschlange, als periodische ZeitungStradilivu,
dann und wann umgehe. Zwar erwähnt Börne einmal, in nicht sehr
glimpflichen Ausdrücken, einer solchen Abbitte, allein, dachte ich, das
wird eins von jenen politischen Gerüchten gewesen sein, die in jenen
aufgeregten Zeiten auf dem Wege von Baiern bis an das Ohr eines
deutschen Flüchtlings in Paris ins Brobdignagsche vergrößert wurden;
vielleicht war'S auch ein AnsnahmSfall. Jetzt weiß ich eS besser; es
ist ein Strafgesetz. Wer aber ist im Stande/Sinn, Zweck oder Be¬
deutung dieses Gesetzes einzusehen? Ist die Majestätsbeleidigung
(wofür jene Abbitte dictirt wird) ein Vergehen gegen den Staat,
nämlich nicht gegen den König als Person, sondern gegen die politi¬
sche Idee, welche der König vertritt, gegen die Würde, die Majestät
seiner Stellung, so muß der Staat sie strafen, aber des Königs Per¬
son darf dabei nicht ins Spiel kommen und beim Gericht auftreten;
noch weniger der Schatten von des Königs Person: sein Porträt.
Vielleicht wird man dies als der poetischen, pcrsonnifieircnden Phantasie
des katholischen Landes angemessen erklären wollen. Der Katholik
verehrt freilich das Bild seines Heiligen, indem er beim Anblick des
Bildes an die Tugenden und den frommen Lebenswandel dessen den¬
ken soll, den es ihm vorstellt. Aber gewiß thut er dies nur, weil
der Heilige nicht mehr auf Erden ist; sonst würde er gewiß lieber zu
dem lebendigen Heiligen gehen, um sich von ihm belehren, strafen
oder trösten zu lassen. Doch, das versteht sich von selbst. Die Ab-
bitte überhaupt ist unbegreiflich. Abbitte ist Neue. Kann ein Gesetz
Neue befehlen, oder gar als Strafe dictiren? Hat befohlene, gezwung¬
ene Neue einen Werth !! Ist sie nicht mehr als eine moralische De¬
müthigung, nämlich eine unmoralische, weil sie zur Heuchelei zwingt?
— Nehmen wir aber an, daß das Majestätsverbrechen für eine B»
lcidigung des Königs als Menschen angesehen wird, so wird er sich
doch nicht eine Beleidigung abbilde» lassen, wenn er sie nicht ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/234>, abgerufen am 17.06.2024.