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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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manu Chateaubriand zu thun. Die Werke der Dichtkunst unterliegen
dem Urtheil des Geschmackes und Gefühls, die Ideen des Politikers
werden von dem Verstande gerichtet. Wir haben die ersten bewun-
dert, und werden über die letztern unser Urtheil kalt und unpar-
teiisch abgeben.

Chateaubriand's erste That aus dem politischen Kampfplatz war
die berühmte Brochüre ,,Bonaparte und die Bourbons," LudwigXVIII.
sagtevon diesem Buche daß es für ihn den Werth einer Armee habe;
wir haben es gelesen, ehe wir diese Zeilen niederschrieben, und können
nur beklagen, daß eine große Seele nur einen Augenblick so weit sich
herablassen konnte, seine Beredsamkeit dem Haß und der Verleum-
dung zu weihen. Aus jeder Seite ist der Wahrheit .Gewalt ange-
than, sind die Personen und Ereignisse entstellt; es ist das heftigste
Libell, das es gibt, eine Ausschweifung des Genies.

Während dex hundert Tage befand sich Chateaubriand bei Lud-
wig XVIII. in Gent, als dessen Staatsminister. Dort schrieb er
seinen Bericht an den König über den Zustand Frankreichs, der zu
poetisch ist, um wahr zu sein.

Nach der Schlacht von Waterloo behielt Chateaubriand seinen
Titel, weigerte sich aber, zugleich mit Fouche im Ministerrath zu sitzen.
Von diesem Zeitpunkt an beginnt seine politische Laufbahn als Mit-
glied der Pairskammer und vor Allem als Publizist.

Um die eigenthümliche Lage des Dichters der Märtyrer ganz zu
begreifen, muß man steh in die Zeit der Aufregung und des Par-
teienkampfes, welche den hundert Tagen folgte, versetzen. Drei Par-
teien kämpften um ihr Bestehen. Die Ultraroyalisten wollten den
König ohne die Charte; die Liberalen die Charte ohne den König;
die Gemäßigten König und Charte. Durch Ueberzeugung und in-
neren Trieb seines Genies gehörte Chateaubriand dex letzten Partei
an; und doch sah er sich durch seinen Haß gegen den Kaiser, durch
die Heftigkeit feiner letzten Schriften und durch persönliche Sympathie
bald unter der Fahne der heftigsten Vertheidiger des Throns und
des Altars. Aber trotz dieser schiefen Stellung ist sich Chateaubriand
fast nie untreu geworden. Zwei große Principien haben stets sein
politisches Leben erhellt und ihm eine Popularität erzeugt, welche nie
vergehen wird. Ueberall und immer hat Chateaubriand mit Wort


manu Chateaubriand zu thun. Die Werke der Dichtkunst unterliegen
dem Urtheil des Geschmackes und Gefühls, die Ideen des Politikers
werden von dem Verstande gerichtet. Wir haben die ersten bewun-
dert, und werden über die letztern unser Urtheil kalt und unpar-
teiisch abgeben.

Chateaubriand's erste That aus dem politischen Kampfplatz war
die berühmte Brochüre ,,Bonaparte und die Bourbons," LudwigXVIII.
sagtevon diesem Buche daß es für ihn den Werth einer Armee habe;
wir haben es gelesen, ehe wir diese Zeilen niederschrieben, und können
nur beklagen, daß eine große Seele nur einen Augenblick so weit sich
herablassen konnte, seine Beredsamkeit dem Haß und der Verleum-
dung zu weihen. Aus jeder Seite ist der Wahrheit .Gewalt ange-
than, sind die Personen und Ereignisse entstellt; es ist das heftigste
Libell, das es gibt, eine Ausschweifung des Genies.

Während dex hundert Tage befand sich Chateaubriand bei Lud-
wig XVIII. in Gent, als dessen Staatsminister. Dort schrieb er
seinen Bericht an den König über den Zustand Frankreichs, der zu
poetisch ist, um wahr zu sein.

Nach der Schlacht von Waterloo behielt Chateaubriand seinen
Titel, weigerte sich aber, zugleich mit Fouche im Ministerrath zu sitzen.
Von diesem Zeitpunkt an beginnt seine politische Laufbahn als Mit-
glied der Pairskammer und vor Allem als Publizist.

Um die eigenthümliche Lage des Dichters der Märtyrer ganz zu
begreifen, muß man steh in die Zeit der Aufregung und des Par-
teienkampfes, welche den hundert Tagen folgte, versetzen. Drei Par-
teien kämpften um ihr Bestehen. Die Ultraroyalisten wollten den
König ohne die Charte; die Liberalen die Charte ohne den König;
die Gemäßigten König und Charte. Durch Ueberzeugung und in-
neren Trieb seines Genies gehörte Chateaubriand dex letzten Partei
an; und doch sah er sich durch seinen Haß gegen den Kaiser, durch
die Heftigkeit feiner letzten Schriften und durch persönliche Sympathie
bald unter der Fahne der heftigsten Vertheidiger des Throns und
des Altars. Aber trotz dieser schiefen Stellung ist sich Chateaubriand
fast nie untreu geworden. Zwei große Principien haben stets sein
politisches Leben erhellt und ihm eine Popularität erzeugt, welche nie
vergehen wird. Ueberall und immer hat Chateaubriand mit Wort


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[0064] manu Chateaubriand zu thun. Die Werke der Dichtkunst unterliegen dem Urtheil des Geschmackes und Gefühls, die Ideen des Politikers werden von dem Verstande gerichtet. Wir haben die ersten bewun- dert, und werden über die letztern unser Urtheil kalt und unpar- teiisch abgeben. Chateaubriand's erste That aus dem politischen Kampfplatz war die berühmte Brochüre ,,Bonaparte und die Bourbons," LudwigXVIII. sagtevon diesem Buche daß es für ihn den Werth einer Armee habe; wir haben es gelesen, ehe wir diese Zeilen niederschrieben, und können nur beklagen, daß eine große Seele nur einen Augenblick so weit sich herablassen konnte, seine Beredsamkeit dem Haß und der Verleum- dung zu weihen. Aus jeder Seite ist der Wahrheit .Gewalt ange- than, sind die Personen und Ereignisse entstellt; es ist das heftigste Libell, das es gibt, eine Ausschweifung des Genies. Während dex hundert Tage befand sich Chateaubriand bei Lud- wig XVIII. in Gent, als dessen Staatsminister. Dort schrieb er seinen Bericht an den König über den Zustand Frankreichs, der zu poetisch ist, um wahr zu sein. Nach der Schlacht von Waterloo behielt Chateaubriand seinen Titel, weigerte sich aber, zugleich mit Fouche im Ministerrath zu sitzen. Von diesem Zeitpunkt an beginnt seine politische Laufbahn als Mit- glied der Pairskammer und vor Allem als Publizist. Um die eigenthümliche Lage des Dichters der Märtyrer ganz zu begreifen, muß man steh in die Zeit der Aufregung und des Par- teienkampfes, welche den hundert Tagen folgte, versetzen. Drei Par- teien kämpften um ihr Bestehen. Die Ultraroyalisten wollten den König ohne die Charte; die Liberalen die Charte ohne den König; die Gemäßigten König und Charte. Durch Ueberzeugung und in- neren Trieb seines Genies gehörte Chateaubriand dex letzten Partei an; und doch sah er sich durch seinen Haß gegen den Kaiser, durch die Heftigkeit feiner letzten Schriften und durch persönliche Sympathie bald unter der Fahne der heftigsten Vertheidiger des Throns und des Altars. Aber trotz dieser schiefen Stellung ist sich Chateaubriand fast nie untreu geworden. Zwei große Principien haben stets sein politisches Leben erhellt und ihm eine Popularität erzeugt, welche nie vergehen wird. Ueberall und immer hat Chateaubriand mit Wort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/64>, abgerufen am 17.06.2024.