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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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nach Rom, wo er von alter Berühmtheit umgeben war und über
die Hinfälligkeit irdischer Größe nachdachte, benutzte. Als das Mi¬
nisterium Polignac an die Spitze der Geschäfte trat, reichte er aber¬
mals seine Entlassung ein; der Kampf begann von Neuem und
man weiß, wie er geendigt hat.

Die Juliordonnanz fanden Chateaubriand in Dieppe; er
eilte nach Paris, aber er kam zu spät. Als er über, die Barricaden
stieg, um sich in die Pairskammer zu verfügen, wurde er erkannt und
umringt, und dieselben Menschen, welche die Bourbons vertrieben
hatten, trugen ihren alten, nur zu sehr gerächten Diener, der jetzt
einen letzten und unnützen Versuch für sie wagen wollte, im Triumph
durch die Straßen.

Seit der Julirevolution hat sich Chateaubriand der Vertheidigung
der vertriebenen Dynastie gewidmet; jede seiner Brochure war ein
Ereignis;. Seine frühere Opposition hat er durch Verfolgungen und
Gefängniß abgebüßt, und man sah den Dichter der Märtyrer zwischen
zwei Gensd'armen auf der Bank der Angesagten vor den Assisen sitzen.

Außer seinen Gelegenheitsschriften hat Chateaubriand das Pu-
blicum mit den "historischen Studien" beschenkt, deren Vorrede schon
ein Meisterwerk des Styles und der Gelehrsamkeit ist; mit Moses,
einer Nachschöpfung der antiken Tragödie; mit dem Versuch über die
englische Dichtkunst, und der Uebersetzung des Milton; und endlich
mit dem Congreß von Verona, einem Werk, welches bestimmt war, die
vielverbreiteten Irrthümer über die spanische Invasion von 1823. zu
widerlegen. Von da an umgab sich der berühmte Greis mit
einem dichten Schleier der Einsamkeit und des Schweigens und
verfaßte sein Schwanenlied, die Memoiren seines Lebens am Rande
des Grabes. Er hat den Tod gebeten, zu warten, bis er sie vol¬
lendet habe, und der Tod hat seine Bitte erhört.

Wenn wir die politische Laufbahn Chateaubriands in wenigen
Worten zusammenfassen, so finden wir, daß er von 1814 -- 1825
für die Vergangenheit gegen die Zukunft kämpfte; von 1825 --
1830 unter die Falme der Zukunft trat und mit der Vergangenheit
brach; und nach 1830 auf seine Weise die Vergangenheit und die
Zukunft, einen bombonischen Zweig mit einem demokratischen Stamm
zu verbinden suchte. -- Ist diese Verbindung möglich? Wir ant-


nach Rom, wo er von alter Berühmtheit umgeben war und über
die Hinfälligkeit irdischer Größe nachdachte, benutzte. Als das Mi¬
nisterium Polignac an die Spitze der Geschäfte trat, reichte er aber¬
mals seine Entlassung ein; der Kampf begann von Neuem und
man weiß, wie er geendigt hat.

Die Juliordonnanz fanden Chateaubriand in Dieppe; er
eilte nach Paris, aber er kam zu spät. Als er über, die Barricaden
stieg, um sich in die Pairskammer zu verfügen, wurde er erkannt und
umringt, und dieselben Menschen, welche die Bourbons vertrieben
hatten, trugen ihren alten, nur zu sehr gerächten Diener, der jetzt
einen letzten und unnützen Versuch für sie wagen wollte, im Triumph
durch die Straßen.

Seit der Julirevolution hat sich Chateaubriand der Vertheidigung
der vertriebenen Dynastie gewidmet; jede seiner Brochure war ein
Ereignis;. Seine frühere Opposition hat er durch Verfolgungen und
Gefängniß abgebüßt, und man sah den Dichter der Märtyrer zwischen
zwei Gensd'armen auf der Bank der Angesagten vor den Assisen sitzen.

Außer seinen Gelegenheitsschriften hat Chateaubriand das Pu-
blicum mit den „historischen Studien" beschenkt, deren Vorrede schon
ein Meisterwerk des Styles und der Gelehrsamkeit ist; mit Moses,
einer Nachschöpfung der antiken Tragödie; mit dem Versuch über die
englische Dichtkunst, und der Uebersetzung des Milton; und endlich
mit dem Congreß von Verona, einem Werk, welches bestimmt war, die
vielverbreiteten Irrthümer über die spanische Invasion von 1823. zu
widerlegen. Von da an umgab sich der berühmte Greis mit
einem dichten Schleier der Einsamkeit und des Schweigens und
verfaßte sein Schwanenlied, die Memoiren seines Lebens am Rande
des Grabes. Er hat den Tod gebeten, zu warten, bis er sie vol¬
lendet habe, und der Tod hat seine Bitte erhört.

Wenn wir die politische Laufbahn Chateaubriands in wenigen
Worten zusammenfassen, so finden wir, daß er von 1814 — 1825
für die Vergangenheit gegen die Zukunft kämpfte; von 1825 —
1830 unter die Falme der Zukunft trat und mit der Vergangenheit
brach; und nach 1830 auf seine Weise die Vergangenheit und die
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zu verbinden suchte. — Ist diese Verbindung möglich? Wir ant-


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[0067] nach Rom, wo er von alter Berühmtheit umgeben war und über die Hinfälligkeit irdischer Größe nachdachte, benutzte. Als das Mi¬ nisterium Polignac an die Spitze der Geschäfte trat, reichte er aber¬ mals seine Entlassung ein; der Kampf begann von Neuem und man weiß, wie er geendigt hat. Die Juliordonnanz fanden Chateaubriand in Dieppe; er eilte nach Paris, aber er kam zu spät. Als er über, die Barricaden stieg, um sich in die Pairskammer zu verfügen, wurde er erkannt und umringt, und dieselben Menschen, welche die Bourbons vertrieben hatten, trugen ihren alten, nur zu sehr gerächten Diener, der jetzt einen letzten und unnützen Versuch für sie wagen wollte, im Triumph durch die Straßen. Seit der Julirevolution hat sich Chateaubriand der Vertheidigung der vertriebenen Dynastie gewidmet; jede seiner Brochure war ein Ereignis;. Seine frühere Opposition hat er durch Verfolgungen und Gefängniß abgebüßt, und man sah den Dichter der Märtyrer zwischen zwei Gensd'armen auf der Bank der Angesagten vor den Assisen sitzen. Außer seinen Gelegenheitsschriften hat Chateaubriand das Pu- blicum mit den „historischen Studien" beschenkt, deren Vorrede schon ein Meisterwerk des Styles und der Gelehrsamkeit ist; mit Moses, einer Nachschöpfung der antiken Tragödie; mit dem Versuch über die englische Dichtkunst, und der Uebersetzung des Milton; und endlich mit dem Congreß von Verona, einem Werk, welches bestimmt war, die vielverbreiteten Irrthümer über die spanische Invasion von 1823. zu widerlegen. Von da an umgab sich der berühmte Greis mit einem dichten Schleier der Einsamkeit und des Schweigens und verfaßte sein Schwanenlied, die Memoiren seines Lebens am Rande des Grabes. Er hat den Tod gebeten, zu warten, bis er sie vol¬ lendet habe, und der Tod hat seine Bitte erhört. Wenn wir die politische Laufbahn Chateaubriands in wenigen Worten zusammenfassen, so finden wir, daß er von 1814 — 1825 für die Vergangenheit gegen die Zukunft kämpfte; von 1825 — 1830 unter die Falme der Zukunft trat und mit der Vergangenheit brach; und nach 1830 auf seine Weise die Vergangenheit und die Zukunft, einen bombonischen Zweig mit einem demokratischen Stamm zu verbinden suchte. — Ist diese Verbindung möglich? Wir ant-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/67>, abgerufen am 17.06.2024.