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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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aller dieser Publicationen sind, so muß ich Sie auf unseren juri-
disch-politischen Lese-Verein verweisen. Dieser Verein (an des-
sen Spitze der Freiherr von Samaruga, staatsrathlicher Referent n. s. w.,
steht), gedeiht immer mehr und mehr. Alle deutschen Journale, viele
französische und englische liegen in einem prächtigen Locale (in der
Bischofsgasse) auf; es erscheint keine Broschüre in Deutschland, die den
Lesern vorbehalten würde und die Bibliothek des Vereins beginnt sich
zu consolidiren. Wien hat dadurch ein großartiges Institut gewonnen,
da die Regierung in Berücksichtigung der Bildungsstufe der Mitglieder
dieses Vereins, der aus Beamten, Professoren, Künstlern und Schrift-
stellern besteht, die Gedankensperre für denselben aufgehoben hat*). Der
Verein wird immer mehr und mehr Mittelpunkt für die gelehrte und
gebildete Classe Wiens. Dies ist um so nöthiger, denn die sogenann-
ten ästhetischen und gelehrten Salons hören völlig aus Die Baronin
P****a versammelte in früheren Jahren jeden Freitag Maler, Künst-
ler, Musiker, Dichter, beging aber den aristokratischen Fehler, diese im-
mer allein zu laden, ja es geschah, als auf einen Freitag ihr Ge-
burtstag fel, daß sie den Herren absagen ließ, weil sie heute andere
Gesellschaft habe. Bei Professor Endlicher, dessen Frau, eine Tochter
Adam Müller's, durch Liebenswürdigkeit ausgezeichnet ist, wollen die
gelehrten Zusammenkünfte am Montag nicht recht Wurzel fassen.

Die Gesellschaft der Aerzte hält regelmäßig ihre Versammlungen ;
bis jetzt haben sich noch keine bedeutenden Resultate, trotz der gedruck-
ten Verhandlungen, für die Wissenschaft gezeigt. Ein Schauspiel ei-
genthümlicher Art gibt jetzt die in einem Jahre (!) erst Statt habende
Wahl eines Decans der medicinischen Facultät, indem die Competen-
ten - darunter Dr. Ernst Baron Feuchtersleben (der Schriftsteller)
einer der würdigsten - schon jetzt Stimmen sammeln. Ein Dr. Kra-
nichstädter erließ eine von grammaticalischen Schwächen nicht freie li-
thographirte Aufforderung, er wolle dir Halfer des Decanatseinkommens
(das sich während dreier Jahre auf etwa 12,000 si. Mze. beläuft) einem
Unterstützungsfond für verunglückte Aerzte widmen. Die meisten Stim-
men dürfte Feuchtersleben erhalten, der, Secretär der Aerzte, eine ge-
achtete Persönlichkeit ist und jetzt Vorlesungen über Psychiatrik (ein bis
jetzt nicht gepflegter Zweig) an der Universität beginnen wird.



*) unwillkürlich werden wir durch diese Stelle unseres Herrn Correspon-
denten an die Maßregeln entgegengesetzter Art gegen den Leseverein der Ber-
liner Studenten erinn^ert. Die österreichische Regierung hat offenbar dadurch,
daß ein hoher Staatsbeamter an der Spitze und viele zuverlässige Männer
unter den Mitgliedern des ,,juridisch-politischen Lesevereins" sich befinden, eine
Garantie für denselben gefunden. Hätte man nicht in Berlin dadurch, daß
man die Professoren und Privatdocenten aufmunterte, an dem Lesevereine der
Studirenden Theil zu nehmen, eine gleiche Garantie erhalten können? und
D. Red. wie viel Scandal und Erbitterung hätte man dadurch erspart?

aller dieser Publicationen sind, so muß ich Sie auf unseren juri-
disch-politischen Lese-Verein verweisen. Dieser Verein (an des-
sen Spitze der Freiherr von Samaruga, staatsrathlicher Referent n. s. w.,
steht), gedeiht immer mehr und mehr. Alle deutschen Journale, viele
französische und englische liegen in einem prächtigen Locale (in der
Bischofsgasse) auf; es erscheint keine Broschüre in Deutschland, die den
Lesern vorbehalten würde und die Bibliothek des Vereins beginnt sich
zu consolidiren. Wien hat dadurch ein großartiges Institut gewonnen,
da die Regierung in Berücksichtigung der Bildungsstufe der Mitglieder
dieses Vereins, der aus Beamten, Professoren, Künstlern und Schrift-
stellern besteht, die Gedankensperre für denselben aufgehoben hat*). Der
Verein wird immer mehr und mehr Mittelpunkt für die gelehrte und
gebildete Classe Wiens. Dies ist um so nöthiger, denn die sogenann-
ten ästhetischen und gelehrten Salons hören völlig aus Die Baronin
P****a versammelte in früheren Jahren jeden Freitag Maler, Künst-
ler, Musiker, Dichter, beging aber den aristokratischen Fehler, diese im-
mer allein zu laden, ja es geschah, als auf einen Freitag ihr Ge-
burtstag fel, daß sie den Herren absagen ließ, weil sie heute andere
Gesellschaft habe. Bei Professor Endlicher, dessen Frau, eine Tochter
Adam Müller's, durch Liebenswürdigkeit ausgezeichnet ist, wollen die
gelehrten Zusammenkünfte am Montag nicht recht Wurzel fassen.

Die Gesellschaft der Aerzte hält regelmäßig ihre Versammlungen ;
bis jetzt haben sich noch keine bedeutenden Resultate, trotz der gedruck-
ten Verhandlungen, für die Wissenschaft gezeigt. Ein Schauspiel ei-
genthümlicher Art gibt jetzt die in einem Jahre (!) erst Statt habende
Wahl eines Decans der medicinischen Facultät, indem die Competen-
ten - darunter Dr. Ernst Baron Feuchtersleben (der Schriftsteller)
einer der würdigsten - schon jetzt Stimmen sammeln. Ein Dr. Kra-
nichstädter erließ eine von grammaticalischen Schwächen nicht freie li-
thographirte Aufforderung, er wolle dir Halfer des Decanatseinkommens
(das sich während dreier Jahre auf etwa 12,000 si. Mze. beläuft) einem
Unterstützungsfond für verunglückte Aerzte widmen. Die meisten Stim-
men dürfte Feuchtersleben erhalten, der, Secretär der Aerzte, eine ge-
achtete Persönlichkeit ist und jetzt Vorlesungen über Psychiatrik (ein bis
jetzt nicht gepflegter Zweig) an der Universität beginnen wird.



*) unwillkürlich werden wir durch diese Stelle unseres Herrn Correspon-
denten an die Maßregeln entgegengesetzter Art gegen den Leseverein der Ber-
liner Studenten erinn^ert. Die österreichische Regierung hat offenbar dadurch,
daß ein hoher Staatsbeamter an der Spitze und viele zuverlässige Männer
unter den Mitgliedern des ,,juridisch-politischen Lesevereins" sich befinden, eine
Garantie für denselben gefunden. Hätte man nicht in Berlin dadurch, daß
man die Professoren und Privatdocenten aufmunterte, an dem Lesevereine der
Studirenden Theil zu nehmen, eine gleiche Garantie erhalten können? und
D. Red. wie viel Scandal und Erbitterung hätte man dadurch erspart?
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[0078] aller dieser Publicationen sind, so muß ich Sie auf unseren juri- disch-politischen Lese-Verein verweisen. Dieser Verein (an des- sen Spitze der Freiherr von Samaruga, staatsrathlicher Referent n. s. w., steht), gedeiht immer mehr und mehr. Alle deutschen Journale, viele französische und englische liegen in einem prächtigen Locale (in der Bischofsgasse) auf; es erscheint keine Broschüre in Deutschland, die den Lesern vorbehalten würde und die Bibliothek des Vereins beginnt sich zu consolidiren. Wien hat dadurch ein großartiges Institut gewonnen, da die Regierung in Berücksichtigung der Bildungsstufe der Mitglieder dieses Vereins, der aus Beamten, Professoren, Künstlern und Schrift- stellern besteht, die Gedankensperre für denselben aufgehoben hat*). Der Verein wird immer mehr und mehr Mittelpunkt für die gelehrte und gebildete Classe Wiens. Dies ist um so nöthiger, denn die sogenann- ten ästhetischen und gelehrten Salons hören völlig aus Die Baronin P****a versammelte in früheren Jahren jeden Freitag Maler, Künst- ler, Musiker, Dichter, beging aber den aristokratischen Fehler, diese im- mer allein zu laden, ja es geschah, als auf einen Freitag ihr Ge- burtstag fel, daß sie den Herren absagen ließ, weil sie heute andere Gesellschaft habe. Bei Professor Endlicher, dessen Frau, eine Tochter Adam Müller's, durch Liebenswürdigkeit ausgezeichnet ist, wollen die gelehrten Zusammenkünfte am Montag nicht recht Wurzel fassen. Die Gesellschaft der Aerzte hält regelmäßig ihre Versammlungen ; bis jetzt haben sich noch keine bedeutenden Resultate, trotz der gedruck- ten Verhandlungen, für die Wissenschaft gezeigt. Ein Schauspiel ei- genthümlicher Art gibt jetzt die in einem Jahre (!) erst Statt habende Wahl eines Decans der medicinischen Facultät, indem die Competen- ten - darunter Dr. Ernst Baron Feuchtersleben (der Schriftsteller) einer der würdigsten - schon jetzt Stimmen sammeln. Ein Dr. Kra- nichstädter erließ eine von grammaticalischen Schwächen nicht freie li- thographirte Aufforderung, er wolle dir Halfer des Decanatseinkommens (das sich während dreier Jahre auf etwa 12,000 si. Mze. beläuft) einem Unterstützungsfond für verunglückte Aerzte widmen. Die meisten Stim- men dürfte Feuchtersleben erhalten, der, Secretär der Aerzte, eine ge- achtete Persönlichkeit ist und jetzt Vorlesungen über Psychiatrik (ein bis jetzt nicht gepflegter Zweig) an der Universität beginnen wird. *) unwillkürlich werden wir durch diese Stelle unseres Herrn Correspon- denten an die Maßregeln entgegengesetzter Art gegen den Leseverein der Ber- liner Studenten erinn^ert. Die österreichische Regierung hat offenbar dadurch, daß ein hoher Staatsbeamter an der Spitze und viele zuverlässige Männer unter den Mitgliedern des ,,juridisch-politischen Lesevereins" sich befinden, eine Garantie für denselben gefunden. Hätte man nicht in Berlin dadurch, daß man die Professoren und Privatdocenten aufmunterte, an dem Lesevereine der Studirenden Theil zu nehmen, eine gleiche Garantie erhalten können? und D. Red. wie viel Scandal und Erbitterung hätte man dadurch erspart?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/78>, abgerufen am 17.06.2024.