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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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abseits führen. Was der belgische Clerus durch die Revolution eroberte,
wie er durch Trennung des Staats von der Kirche, durch das Prinzip
der Unterrichtsfreiheit und durch andere Punkte der Konstitution seine
Macht verzehnfachte, dies soll später an geeignetem Orte seine Be¬
leuchtung finden; hier bei der Metromvpole der belgischen Hierarchie
will ich blos mit der numerischen Stärke derselben bekannt machen,
wie sie die officiellen Aktenstücke nachweisen. In sechs großen und sechs
kleinen Seminarien werden die dem geistlichen Stande sich widmen¬
den jungen Leute herangebildet. Jedes kleine Seminarium bat außerdem
noch eine Mustcrschule, von welcher jede jährlich zwischen fünfzig und
hundert Schullehrer im geistlichen Sinne ausstellt. Was die Klöster
betrifft, so hat daS belgische Episcopat, ausgerüstet mit jener eisernen
Conscauenz, welche der römischen Kirche eigen, von dem Augenblicke
an, wo ihm der Unterricht frei gegeben wurde, die meisten Klöster
zu seinem Zwecke zu reorganisuen gewußt. Früher war der glößte
Theil derselben dem sogenannten beschaulichen Leben gewidmet. Aber
der dirigirende Clerus sah ein, daß solche müßiggängerische Institute
mit den Ideen von Thätigkeit, welche der modernen Zeit eigen sind,
sich nicht mehr vereinigen lassen. In Mitte eines so activen indu¬
striellen Volkes mußte der mönchische Müßiggang zum Spott werden,
ja Gehässigkeit erregen. Zudem ist er auch der Hierarchie halb ein
unnützes Element, zumal jetzt, wo einem energischen Eingreifen in
die Volkserziehung ein sowcitesFeld gewonnen worden. Die beschauliche
Klostergeiftlichkcit wurde daher in eine lehrende, Unterricht ertheilende
umgewandelt. Die müßigen Klöster haben um die Hälfte sich ver¬
mindert, dagegen sind die, welche zu gleicher Zeit Erziehungsangele¬
genheiten sich widmen, im Verhältniß von 2t) zu I angewachsen.
In jeder Stadt, ja fast in jeder Dorfgemeinde hat die Geistlichkeit
Schulen für den Elementar- und mittlern Unterricht begründet, in
welchem die Jugend unter ihrer ausschließlichen Leitung steht. Diese
Schulen sind so reich dotirt und werden durch die Hingebung des
Volks so stark besucht, daß die Schulen der Negierung kaum den
Wettstreit mit ihnen aushalten können. Um aber ihrem Werke
die Krone aufzusetzen, hat die Hierarchie für den Univcrsitätsunter-
ttcht die altberühmte Universität von Löwen auf eigene Kosten über¬
nommen, neu organisirt und ihr den Titel: "katholische Universität"
gegeben, um den Geist ihrer Leitung zu bezeichnen. Durch die un-


abseits führen. Was der belgische Clerus durch die Revolution eroberte,
wie er durch Trennung des Staats von der Kirche, durch das Prinzip
der Unterrichtsfreiheit und durch andere Punkte der Konstitution seine
Macht verzehnfachte, dies soll später an geeignetem Orte seine Be¬
leuchtung finden; hier bei der Metromvpole der belgischen Hierarchie
will ich blos mit der numerischen Stärke derselben bekannt machen,
wie sie die officiellen Aktenstücke nachweisen. In sechs großen und sechs
kleinen Seminarien werden die dem geistlichen Stande sich widmen¬
den jungen Leute herangebildet. Jedes kleine Seminarium bat außerdem
noch eine Mustcrschule, von welcher jede jährlich zwischen fünfzig und
hundert Schullehrer im geistlichen Sinne ausstellt. Was die Klöster
betrifft, so hat daS belgische Episcopat, ausgerüstet mit jener eisernen
Conscauenz, welche der römischen Kirche eigen, von dem Augenblicke
an, wo ihm der Unterricht frei gegeben wurde, die meisten Klöster
zu seinem Zwecke zu reorganisuen gewußt. Früher war der glößte
Theil derselben dem sogenannten beschaulichen Leben gewidmet. Aber
der dirigirende Clerus sah ein, daß solche müßiggängerische Institute
mit den Ideen von Thätigkeit, welche der modernen Zeit eigen sind,
sich nicht mehr vereinigen lassen. In Mitte eines so activen indu¬
striellen Volkes mußte der mönchische Müßiggang zum Spott werden,
ja Gehässigkeit erregen. Zudem ist er auch der Hierarchie halb ein
unnützes Element, zumal jetzt, wo einem energischen Eingreifen in
die Volkserziehung ein sowcitesFeld gewonnen worden. Die beschauliche
Klostergeiftlichkcit wurde daher in eine lehrende, Unterricht ertheilende
umgewandelt. Die müßigen Klöster haben um die Hälfte sich ver¬
mindert, dagegen sind die, welche zu gleicher Zeit Erziehungsangele¬
genheiten sich widmen, im Verhältniß von 2t) zu I angewachsen.
In jeder Stadt, ja fast in jeder Dorfgemeinde hat die Geistlichkeit
Schulen für den Elementar- und mittlern Unterricht begründet, in
welchem die Jugend unter ihrer ausschließlichen Leitung steht. Diese
Schulen sind so reich dotirt und werden durch die Hingebung des
Volks so stark besucht, daß die Schulen der Negierung kaum den
Wettstreit mit ihnen aushalten können. Um aber ihrem Werke
die Krone aufzusetzen, hat die Hierarchie für den Univcrsitätsunter-
ttcht die altberühmte Universität von Löwen auf eigene Kosten über¬
nommen, neu organisirt und ihr den Titel: „katholische Universität"
gegeben, um den Geist ihrer Leitung zu bezeichnen. Durch die un-


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[0012] abseits führen. Was der belgische Clerus durch die Revolution eroberte, wie er durch Trennung des Staats von der Kirche, durch das Prinzip der Unterrichtsfreiheit und durch andere Punkte der Konstitution seine Macht verzehnfachte, dies soll später an geeignetem Orte seine Be¬ leuchtung finden; hier bei der Metromvpole der belgischen Hierarchie will ich blos mit der numerischen Stärke derselben bekannt machen, wie sie die officiellen Aktenstücke nachweisen. In sechs großen und sechs kleinen Seminarien werden die dem geistlichen Stande sich widmen¬ den jungen Leute herangebildet. Jedes kleine Seminarium bat außerdem noch eine Mustcrschule, von welcher jede jährlich zwischen fünfzig und hundert Schullehrer im geistlichen Sinne ausstellt. Was die Klöster betrifft, so hat daS belgische Episcopat, ausgerüstet mit jener eisernen Conscauenz, welche der römischen Kirche eigen, von dem Augenblicke an, wo ihm der Unterricht frei gegeben wurde, die meisten Klöster zu seinem Zwecke zu reorganisuen gewußt. Früher war der glößte Theil derselben dem sogenannten beschaulichen Leben gewidmet. Aber der dirigirende Clerus sah ein, daß solche müßiggängerische Institute mit den Ideen von Thätigkeit, welche der modernen Zeit eigen sind, sich nicht mehr vereinigen lassen. In Mitte eines so activen indu¬ striellen Volkes mußte der mönchische Müßiggang zum Spott werden, ja Gehässigkeit erregen. Zudem ist er auch der Hierarchie halb ein unnützes Element, zumal jetzt, wo einem energischen Eingreifen in die Volkserziehung ein sowcitesFeld gewonnen worden. Die beschauliche Klostergeiftlichkcit wurde daher in eine lehrende, Unterricht ertheilende umgewandelt. Die müßigen Klöster haben um die Hälfte sich ver¬ mindert, dagegen sind die, welche zu gleicher Zeit Erziehungsangele¬ genheiten sich widmen, im Verhältniß von 2t) zu I angewachsen. In jeder Stadt, ja fast in jeder Dorfgemeinde hat die Geistlichkeit Schulen für den Elementar- und mittlern Unterricht begründet, in welchem die Jugend unter ihrer ausschließlichen Leitung steht. Diese Schulen sind so reich dotirt und werden durch die Hingebung des Volks so stark besucht, daß die Schulen der Negierung kaum den Wettstreit mit ihnen aushalten können. Um aber ihrem Werke die Krone aufzusetzen, hat die Hierarchie für den Univcrsitätsunter- ttcht die altberühmte Universität von Löwen auf eigene Kosten über¬ nommen, neu organisirt und ihr den Titel: „katholische Universität" gegeben, um den Geist ihrer Leitung zu bezeichnen. Durch die un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/12>, abgerufen am 09.05.2024.