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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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durch ihr physisches Gewicht eine revolutionäre Centralisation nach Frankfurt
hin unmöglich machten, waren es zwei Umstände, welche jenem Vorhaben wider¬
sprachen.

Einmal bestand ein großer Theil der Versammlung aus Männern , die ganz
und gar nicht revolutionär waren. Eine entschieden radikale Versammlung in
Deutschland zusammen zu fügen, hatte ganz andere Schwierigkeiten, als in
Frankreich. Frankreich ist in Paris vollkommen vereinigt, und Paris wird allen¬
falls durch die Kraft der Fäuste dominirt. Man lese in den Untersuchungen
über deu 10. August 1792, wer waren diese Männer, die dem Volk die Richtung
zur Republik gaben? Von Namen sehr wenige; aber entschlossene Abenteurer,
Polen, Amerikaner, Italiener u. s. w., die Muskeln und Lunge genug hatten,
die Populace zu führen.

Ein solcher Ausschuß war in Deutschland unmöglich. Frankfurt hätte man
schon revolutioniren können, es ist ja schon eine Art Republik, aber damit war
wenig gethan. Wenn die Versammlung auf das übrige Deutschland einen Einfluß
haben wollte, so mußte sie sich auf die Namen der Mitglieder stützen. Deutsch¬
land hat wenig öffentliche Namen; sie beschränken sich auf die ständischen Notabi¬
litäten und die Schriftsteller. Die ersten waren zum Theil sehr liberal, aber
ebenso an die gesetzlichen Formen gewöhnt und zum Theil, wie die Badenschen, in
kleinstädtische Interessen verstrickt. Die letztern sind entweder zünftig oder nn-
züuftig: im ersten Falle haben sie kein revolutionäres Feuer, im zweiten keinen
Credit.

Wenn man sich also von radicaler Seite über die Znsammensetzung des Vor¬
parlamentes beschwert hat, so ist das eine Absurdität, es konnte nicht anders
zusammengesetzt sein, als es war. Entweder es suchte sein Gewicht in seinem
Namen, dann war es nicht revolutionär; oder nicht, dann war es ohne Autorität.

Der radicalen Partei stellte sich also eine "rechte Seite" entgegen, die das
Vorparlament in die Bahn des Gesetzes znrückznlenken strebte. Gesetzlich konnte
man auf keine Weise auf die Völker wirken, denn diese hatten noch gar keine
gesetzliche Existenz; man mußte die Fürsten und ihre Vereinigung, den Bundes¬
tag in's Auge fassen, und diesen durch das moralische Gewicht der Versammlung
zu liberalen Entschlüssen bewegen -- zur Einberufung eines allgemeinen deutschen
Parlaments und zur Verwirklichung der constitutionellen Freiheiten in den ein¬
zelnen Staaten.

Das letztere war geschehen; und ein deutsches Parlament hatte der Bundes¬
tag, auf den Antrag der von der Regierung ihm beigeordneten Vertrauensmän¬
ner, bereits einen Tag vor dem Zusammentritt des Frankfurter
Vorparlaments, auf die nächste Zeit angeordnet, und diese Anordnung den
Fürsten auferlegt.


durch ihr physisches Gewicht eine revolutionäre Centralisation nach Frankfurt
hin unmöglich machten, waren es zwei Umstände, welche jenem Vorhaben wider¬
sprachen.

Einmal bestand ein großer Theil der Versammlung aus Männern , die ganz
und gar nicht revolutionär waren. Eine entschieden radikale Versammlung in
Deutschland zusammen zu fügen, hatte ganz andere Schwierigkeiten, als in
Frankreich. Frankreich ist in Paris vollkommen vereinigt, und Paris wird allen¬
falls durch die Kraft der Fäuste dominirt. Man lese in den Untersuchungen
über deu 10. August 1792, wer waren diese Männer, die dem Volk die Richtung
zur Republik gaben? Von Namen sehr wenige; aber entschlossene Abenteurer,
Polen, Amerikaner, Italiener u. s. w., die Muskeln und Lunge genug hatten,
die Populace zu führen.

Ein solcher Ausschuß war in Deutschland unmöglich. Frankfurt hätte man
schon revolutioniren können, es ist ja schon eine Art Republik, aber damit war
wenig gethan. Wenn die Versammlung auf das übrige Deutschland einen Einfluß
haben wollte, so mußte sie sich auf die Namen der Mitglieder stützen. Deutsch¬
land hat wenig öffentliche Namen; sie beschränken sich auf die ständischen Notabi¬
litäten und die Schriftsteller. Die ersten waren zum Theil sehr liberal, aber
ebenso an die gesetzlichen Formen gewöhnt und zum Theil, wie die Badenschen, in
kleinstädtische Interessen verstrickt. Die letztern sind entweder zünftig oder nn-
züuftig: im ersten Falle haben sie kein revolutionäres Feuer, im zweiten keinen
Credit.

Wenn man sich also von radicaler Seite über die Znsammensetzung des Vor¬
parlamentes beschwert hat, so ist das eine Absurdität, es konnte nicht anders
zusammengesetzt sein, als es war. Entweder es suchte sein Gewicht in seinem
Namen, dann war es nicht revolutionär; oder nicht, dann war es ohne Autorität.

Der radicalen Partei stellte sich also eine „rechte Seite" entgegen, die das
Vorparlament in die Bahn des Gesetzes znrückznlenken strebte. Gesetzlich konnte
man auf keine Weise auf die Völker wirken, denn diese hatten noch gar keine
gesetzliche Existenz; man mußte die Fürsten und ihre Vereinigung, den Bundes¬
tag in's Auge fassen, und diesen durch das moralische Gewicht der Versammlung
zu liberalen Entschlüssen bewegen — zur Einberufung eines allgemeinen deutschen
Parlaments und zur Verwirklichung der constitutionellen Freiheiten in den ein¬
zelnen Staaten.

Das letztere war geschehen; und ein deutsches Parlament hatte der Bundes¬
tag, auf den Antrag der von der Regierung ihm beigeordneten Vertrauensmän¬
ner, bereits einen Tag vor dem Zusammentritt des Frankfurter
Vorparlaments, auf die nächste Zeit angeordnet, und diese Anordnung den
Fürsten auferlegt.


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[0204] durch ihr physisches Gewicht eine revolutionäre Centralisation nach Frankfurt hin unmöglich machten, waren es zwei Umstände, welche jenem Vorhaben wider¬ sprachen. Einmal bestand ein großer Theil der Versammlung aus Männern , die ganz und gar nicht revolutionär waren. Eine entschieden radikale Versammlung in Deutschland zusammen zu fügen, hatte ganz andere Schwierigkeiten, als in Frankreich. Frankreich ist in Paris vollkommen vereinigt, und Paris wird allen¬ falls durch die Kraft der Fäuste dominirt. Man lese in den Untersuchungen über deu 10. August 1792, wer waren diese Männer, die dem Volk die Richtung zur Republik gaben? Von Namen sehr wenige; aber entschlossene Abenteurer, Polen, Amerikaner, Italiener u. s. w., die Muskeln und Lunge genug hatten, die Populace zu führen. Ein solcher Ausschuß war in Deutschland unmöglich. Frankfurt hätte man schon revolutioniren können, es ist ja schon eine Art Republik, aber damit war wenig gethan. Wenn die Versammlung auf das übrige Deutschland einen Einfluß haben wollte, so mußte sie sich auf die Namen der Mitglieder stützen. Deutsch¬ land hat wenig öffentliche Namen; sie beschränken sich auf die ständischen Notabi¬ litäten und die Schriftsteller. Die ersten waren zum Theil sehr liberal, aber ebenso an die gesetzlichen Formen gewöhnt und zum Theil, wie die Badenschen, in kleinstädtische Interessen verstrickt. Die letztern sind entweder zünftig oder nn- züuftig: im ersten Falle haben sie kein revolutionäres Feuer, im zweiten keinen Credit. Wenn man sich also von radicaler Seite über die Znsammensetzung des Vor¬ parlamentes beschwert hat, so ist das eine Absurdität, es konnte nicht anders zusammengesetzt sein, als es war. Entweder es suchte sein Gewicht in seinem Namen, dann war es nicht revolutionär; oder nicht, dann war es ohne Autorität. Der radicalen Partei stellte sich also eine „rechte Seite" entgegen, die das Vorparlament in die Bahn des Gesetzes znrückznlenken strebte. Gesetzlich konnte man auf keine Weise auf die Völker wirken, denn diese hatten noch gar keine gesetzliche Existenz; man mußte die Fürsten und ihre Vereinigung, den Bundes¬ tag in's Auge fassen, und diesen durch das moralische Gewicht der Versammlung zu liberalen Entschlüssen bewegen — zur Einberufung eines allgemeinen deutschen Parlaments und zur Verwirklichung der constitutionellen Freiheiten in den ein¬ zelnen Staaten. Das letztere war geschehen; und ein deutsches Parlament hatte der Bundes¬ tag, auf den Antrag der von der Regierung ihm beigeordneten Vertrauensmän¬ ner, bereits einen Tag vor dem Zusammentritt des Frankfurter Vorparlaments, auf die nächste Zeit angeordnet, und diese Anordnung den Fürsten auferlegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/204>, abgerufen am 17.06.2024.