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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Diejenigen Männer, von denen die Einberufung des Vorparlaments ausge¬
gangen war, hatten aus ihrer Mitte eine "Sielmer Commission" erwählt, die
Grundzüge der neuen constituirenden Versammlung vorzubereiten, und sie zuerst
dem Vorparlament, dann, auf die Autorität der ganzen Versammlung gestützt,
dem Bundestag zur Beschlußnahme vorzulegen. Hier war also durchaus gesetzlicher
Weg; es kam noch dazu, daß mehrere von den neuen Bundestagsgesandter, so
wie mehrere der Siebzehner, sämmtlich politische Freunde der sichrer, an der
Versammlung Theil nahmen.

Was halte also die Versammlung nach der Ansicht der sichrer für eine
Aufgabe?

Lediglich diese: die von ihnen entworfenen Grundzüge, die sich zum Theil
auf den materiellen Inhalt der neuen Verfassung selbst bezogen, etwa durch Accla-
mation, oder doch mit unwesentlichen Modifikationen, anzunehmen, und dann
auseinander zu gehen, nachdem sie die Ausführung ihrer Beschlüsse in die Hände
des Bundestags niedergelegt.

Diese Männer hatten sich in Bezug auf die Versammlung, und gewissermaßen
auch auf den Bundestag, verrechnet. Der letztere, dem der ungesetzliche Einfluß
einer großen Versammlung denn doch bedenklich vorkommen mochte, war ihr,
wie schon gesagt, zuvorgekommen; er hatte den Inhalt der sichrer Beschlüsse zu
den seinigen gemacht, und war dadurch mit dem "Vorparlament" in Concurrenz
getreten. Ein heilsamer Entschluß, wenn er die Kraft hatte, ihn durchzuführen;
ein sehr bedenklicher, wenn er später sich genöthigt sah, ihn zurückzunehmen.
Denn wenn nun die Versammlung zusammenkam, und in Erfahrung brachte, sie sei
unter den obwaltenden Umständen überflüssig, so war es höchst natürlich, daß sie
sich -- in in^iun viiinü -- gegen das Siebuerprogramm als Constituante gerirte.

Man denke nur! eine aufgeregte Versammlung von mehrern hundert -- be¬
deutenden und unbedeutenden, jedenfalls aber von ihrer Wichtigkeit innig durch¬
drungenen Männern -- soll zusammentreten, und ohne Weiteres erklären: unser
Zusammentritt ist nun überflüssig, und wir gehn nach Hause.

Das konnte nicht geschehn. Es ist gegen die menschliche Natur überhaupt,
am meisten aber gegen die Natur einer aufgeregten Zeit.

Die Versammlung fing damit an, das sichrer Programm abzuweisen, und
-- mit Ausschluß aller materiellen Fragen -- über die Art der Einberufung der
constituirenden Versammlung selbstständig zu berathen.

Eben so aber verwarf sie den Vorschlag der radicalen Partei, sich für per¬
manent zu erklären; nicht weniger den Vorschlag, den Bundestag nicht eher mit
der Ausführung ihrer Beschlüsse -- eben jener Briefträgern --- zu bevoll¬
mächtigen, bevor diese von den anrüchigen Mitgliedern, den Unterzeichnern und
Helfershelfern der Wiener und Karlsbader Beschlüsse purificirt worden sei.


Diejenigen Männer, von denen die Einberufung des Vorparlaments ausge¬
gangen war, hatten aus ihrer Mitte eine „Sielmer Commission" erwählt, die
Grundzüge der neuen constituirenden Versammlung vorzubereiten, und sie zuerst
dem Vorparlament, dann, auf die Autorität der ganzen Versammlung gestützt,
dem Bundestag zur Beschlußnahme vorzulegen. Hier war also durchaus gesetzlicher
Weg; es kam noch dazu, daß mehrere von den neuen Bundestagsgesandter, so
wie mehrere der Siebzehner, sämmtlich politische Freunde der sichrer, an der
Versammlung Theil nahmen.

Was halte also die Versammlung nach der Ansicht der sichrer für eine
Aufgabe?

Lediglich diese: die von ihnen entworfenen Grundzüge, die sich zum Theil
auf den materiellen Inhalt der neuen Verfassung selbst bezogen, etwa durch Accla-
mation, oder doch mit unwesentlichen Modifikationen, anzunehmen, und dann
auseinander zu gehen, nachdem sie die Ausführung ihrer Beschlüsse in die Hände
des Bundestags niedergelegt.

Diese Männer hatten sich in Bezug auf die Versammlung, und gewissermaßen
auch auf den Bundestag, verrechnet. Der letztere, dem der ungesetzliche Einfluß
einer großen Versammlung denn doch bedenklich vorkommen mochte, war ihr,
wie schon gesagt, zuvorgekommen; er hatte den Inhalt der sichrer Beschlüsse zu
den seinigen gemacht, und war dadurch mit dem „Vorparlament" in Concurrenz
getreten. Ein heilsamer Entschluß, wenn er die Kraft hatte, ihn durchzuführen;
ein sehr bedenklicher, wenn er später sich genöthigt sah, ihn zurückzunehmen.
Denn wenn nun die Versammlung zusammenkam, und in Erfahrung brachte, sie sei
unter den obwaltenden Umständen überflüssig, so war es höchst natürlich, daß sie
sich — in in^iun viiinü — gegen das Siebuerprogramm als Constituante gerirte.

Man denke nur! eine aufgeregte Versammlung von mehrern hundert — be¬
deutenden und unbedeutenden, jedenfalls aber von ihrer Wichtigkeit innig durch¬
drungenen Männern — soll zusammentreten, und ohne Weiteres erklären: unser
Zusammentritt ist nun überflüssig, und wir gehn nach Hause.

Das konnte nicht geschehn. Es ist gegen die menschliche Natur überhaupt,
am meisten aber gegen die Natur einer aufgeregten Zeit.

Die Versammlung fing damit an, das sichrer Programm abzuweisen, und
— mit Ausschluß aller materiellen Fragen — über die Art der Einberufung der
constituirenden Versammlung selbstständig zu berathen.

Eben so aber verwarf sie den Vorschlag der radicalen Partei, sich für per¬
manent zu erklären; nicht weniger den Vorschlag, den Bundestag nicht eher mit
der Ausführung ihrer Beschlüsse — eben jener Briefträgern -— zu bevoll¬
mächtigen, bevor diese von den anrüchigen Mitgliedern, den Unterzeichnern und
Helfershelfern der Wiener und Karlsbader Beschlüsse purificirt worden sei.


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[0205] Diejenigen Männer, von denen die Einberufung des Vorparlaments ausge¬ gangen war, hatten aus ihrer Mitte eine „Sielmer Commission" erwählt, die Grundzüge der neuen constituirenden Versammlung vorzubereiten, und sie zuerst dem Vorparlament, dann, auf die Autorität der ganzen Versammlung gestützt, dem Bundestag zur Beschlußnahme vorzulegen. Hier war also durchaus gesetzlicher Weg; es kam noch dazu, daß mehrere von den neuen Bundestagsgesandter, so wie mehrere der Siebzehner, sämmtlich politische Freunde der sichrer, an der Versammlung Theil nahmen. Was halte also die Versammlung nach der Ansicht der sichrer für eine Aufgabe? Lediglich diese: die von ihnen entworfenen Grundzüge, die sich zum Theil auf den materiellen Inhalt der neuen Verfassung selbst bezogen, etwa durch Accla- mation, oder doch mit unwesentlichen Modifikationen, anzunehmen, und dann auseinander zu gehen, nachdem sie die Ausführung ihrer Beschlüsse in die Hände des Bundestags niedergelegt. Diese Männer hatten sich in Bezug auf die Versammlung, und gewissermaßen auch auf den Bundestag, verrechnet. Der letztere, dem der ungesetzliche Einfluß einer großen Versammlung denn doch bedenklich vorkommen mochte, war ihr, wie schon gesagt, zuvorgekommen; er hatte den Inhalt der sichrer Beschlüsse zu den seinigen gemacht, und war dadurch mit dem „Vorparlament" in Concurrenz getreten. Ein heilsamer Entschluß, wenn er die Kraft hatte, ihn durchzuführen; ein sehr bedenklicher, wenn er später sich genöthigt sah, ihn zurückzunehmen. Denn wenn nun die Versammlung zusammenkam, und in Erfahrung brachte, sie sei unter den obwaltenden Umständen überflüssig, so war es höchst natürlich, daß sie sich — in in^iun viiinü — gegen das Siebuerprogramm als Constituante gerirte. Man denke nur! eine aufgeregte Versammlung von mehrern hundert — be¬ deutenden und unbedeutenden, jedenfalls aber von ihrer Wichtigkeit innig durch¬ drungenen Männern — soll zusammentreten, und ohne Weiteres erklären: unser Zusammentritt ist nun überflüssig, und wir gehn nach Hause. Das konnte nicht geschehn. Es ist gegen die menschliche Natur überhaupt, am meisten aber gegen die Natur einer aufgeregten Zeit. Die Versammlung fing damit an, das sichrer Programm abzuweisen, und — mit Ausschluß aller materiellen Fragen — über die Art der Einberufung der constituirenden Versammlung selbstständig zu berathen. Eben so aber verwarf sie den Vorschlag der radicalen Partei, sich für per¬ manent zu erklären; nicht weniger den Vorschlag, den Bundestag nicht eher mit der Ausführung ihrer Beschlüsse — eben jener Briefträgern -— zu bevoll¬ mächtigen, bevor diese von den anrüchigen Mitgliedern, den Unterzeichnern und Helfershelfern der Wiener und Karlsbader Beschlüsse purificirt worden sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/205>, abgerufen am 17.06.2024.