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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Deutschlands Pflicht gegen Italien
und gegen sich selbst.



"Der deutsche Geist hat eine Umwandlung erlebt!" sprechen viele Leute,
andre sagen: "Deutschland hat sich ans den Weg zu politischen Reformen bege¬
ben!" Nein, meine Herren, "Deutschland hat eine Revolution be¬
gonnen und die ersten Acte dieses welterschütternden Dramas
vortrefflich gespielt!" Die Todesangst der altverknoteten Kanzleiperücken,
die Hohlköpfigkeit des Schranzenwescns und die Herzlosigkeit des Spießbüraerthums
von einem halben Hundert Residenzen erzittern vor dem Gedanken, dem Kinde
seinen rechten Namen zu geben. Das Reactionsgelüste des unsterbliche" Jesuitis-
mus in allerlei Uniformen windet sich wie eine Schlange über den vom Welt¬
kampfe dröhnenden Boden und versucht alle deutbaren Ränke, um wenigstens es
dahin zu bringen, daß in Deutschland das große, verhäugnißreiche, patriotische
Drama in seinen folgenden Acten nicht in Schiller's Geist und Schwung einem
Wilhelm Tell ähnlich, sondern wie Kotzebue's deutsche Kleinstädter fortgespielt
werde und mit einer lustigen Hochzeit schließe. Durch Wortverdrehung und Sinn¬
entstellung will man den Herzensdrang beschwichtigen, den Verstand einlullen, den
Gedanken an das, was geschehen und was bezweckt ist, dem Volke abgewöhnen;
dem furchtbar erwachten Löwen will man begreiflich machen, daß er eigentlich nur
ein wohlerzogener Hofhund sei, der den Anstand nicht so sehr verletzen dürfe, ohne
Kette und Halsband herumzulaufen. Deu schöne" praktischen Stolz des erwachten
Selbstbewußtseins will man mit Redensarten von angeborner Weisheit, deutscher
Mäßigung, deutschem Edelmuth, deutscher Oberhoheit, Verachtung aller andern
Nationalitäten ze. betäuben, benebeln, in einen unfruchtbaren, unpraktischen Hoch¬
muth verwandeln, weil man weiß, wie schwer wahrer Stolz, wie leicht täppi¬
scher Hochmuth sich gängeln läßt.

Nein, meine Herren! Lassen Sie immerhin das Volt klar einsehen, was es
gewollt und was es gethan hat, sagen Sie ehrlich gerade heraus: das deutsche
Volt bedürfte einer Revolution und hat wirklich eine Revolution tüchtig begonnen,.


Grenzboten. II. 1845.
Deutschlands Pflicht gegen Italien
und gegen sich selbst.



„Der deutsche Geist hat eine Umwandlung erlebt!" sprechen viele Leute,
andre sagen: „Deutschland hat sich ans den Weg zu politischen Reformen bege¬
ben!" Nein, meine Herren, „Deutschland hat eine Revolution be¬
gonnen und die ersten Acte dieses welterschütternden Dramas
vortrefflich gespielt!" Die Todesangst der altverknoteten Kanzleiperücken,
die Hohlköpfigkeit des Schranzenwescns und die Herzlosigkeit des Spießbüraerthums
von einem halben Hundert Residenzen erzittern vor dem Gedanken, dem Kinde
seinen rechten Namen zu geben. Das Reactionsgelüste des unsterbliche» Jesuitis-
mus in allerlei Uniformen windet sich wie eine Schlange über den vom Welt¬
kampfe dröhnenden Boden und versucht alle deutbaren Ränke, um wenigstens es
dahin zu bringen, daß in Deutschland das große, verhäugnißreiche, patriotische
Drama in seinen folgenden Acten nicht in Schiller's Geist und Schwung einem
Wilhelm Tell ähnlich, sondern wie Kotzebue's deutsche Kleinstädter fortgespielt
werde und mit einer lustigen Hochzeit schließe. Durch Wortverdrehung und Sinn¬
entstellung will man den Herzensdrang beschwichtigen, den Verstand einlullen, den
Gedanken an das, was geschehen und was bezweckt ist, dem Volke abgewöhnen;
dem furchtbar erwachten Löwen will man begreiflich machen, daß er eigentlich nur
ein wohlerzogener Hofhund sei, der den Anstand nicht so sehr verletzen dürfe, ohne
Kette und Halsband herumzulaufen. Deu schöne» praktischen Stolz des erwachten
Selbstbewußtseins will man mit Redensarten von angeborner Weisheit, deutscher
Mäßigung, deutschem Edelmuth, deutscher Oberhoheit, Verachtung aller andern
Nationalitäten ze. betäuben, benebeln, in einen unfruchtbaren, unpraktischen Hoch¬
muth verwandeln, weil man weiß, wie schwer wahrer Stolz, wie leicht täppi¬
scher Hochmuth sich gängeln läßt.

Nein, meine Herren! Lassen Sie immerhin das Volt klar einsehen, was es
gewollt und was es gethan hat, sagen Sie ehrlich gerade heraus: das deutsche
Volt bedürfte einer Revolution und hat wirklich eine Revolution tüchtig begonnen,.


Grenzboten. II. 1845.
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[0211] Deutschlands Pflicht gegen Italien und gegen sich selbst. „Der deutsche Geist hat eine Umwandlung erlebt!" sprechen viele Leute, andre sagen: „Deutschland hat sich ans den Weg zu politischen Reformen bege¬ ben!" Nein, meine Herren, „Deutschland hat eine Revolution be¬ gonnen und die ersten Acte dieses welterschütternden Dramas vortrefflich gespielt!" Die Todesangst der altverknoteten Kanzleiperücken, die Hohlköpfigkeit des Schranzenwescns und die Herzlosigkeit des Spießbüraerthums von einem halben Hundert Residenzen erzittern vor dem Gedanken, dem Kinde seinen rechten Namen zu geben. Das Reactionsgelüste des unsterbliche» Jesuitis- mus in allerlei Uniformen windet sich wie eine Schlange über den vom Welt¬ kampfe dröhnenden Boden und versucht alle deutbaren Ränke, um wenigstens es dahin zu bringen, daß in Deutschland das große, verhäugnißreiche, patriotische Drama in seinen folgenden Acten nicht in Schiller's Geist und Schwung einem Wilhelm Tell ähnlich, sondern wie Kotzebue's deutsche Kleinstädter fortgespielt werde und mit einer lustigen Hochzeit schließe. Durch Wortverdrehung und Sinn¬ entstellung will man den Herzensdrang beschwichtigen, den Verstand einlullen, den Gedanken an das, was geschehen und was bezweckt ist, dem Volke abgewöhnen; dem furchtbar erwachten Löwen will man begreiflich machen, daß er eigentlich nur ein wohlerzogener Hofhund sei, der den Anstand nicht so sehr verletzen dürfe, ohne Kette und Halsband herumzulaufen. Deu schöne» praktischen Stolz des erwachten Selbstbewußtseins will man mit Redensarten von angeborner Weisheit, deutscher Mäßigung, deutschem Edelmuth, deutscher Oberhoheit, Verachtung aller andern Nationalitäten ze. betäuben, benebeln, in einen unfruchtbaren, unpraktischen Hoch¬ muth verwandeln, weil man weiß, wie schwer wahrer Stolz, wie leicht täppi¬ scher Hochmuth sich gängeln läßt. Nein, meine Herren! Lassen Sie immerhin das Volt klar einsehen, was es gewollt und was es gethan hat, sagen Sie ehrlich gerade heraus: das deutsche Volt bedürfte einer Revolution und hat wirklich eine Revolution tüchtig begonnen,. Grenzboten. II. 1845.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/211>, abgerufen am 17.06.2024.