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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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heiliges, unfruchtbares und anarchisirendes Princip, selbst in einer Republik erkannt.
So schuf der moderne Radikalismus das neue monarchische Princip, wonach
Dynastie und Volk beide durch das Staatsgrundgesetz coordinirte, gleich berech¬
tigte und gleich verpflichtete Staatsgewalten sind, die Majestät und Souveränität
weder jener uoch dieser inwohnt, sondern lediglich dem Staate als Inbegriff von
beiden ertheilt wird. Weder angemaßte, irrationelle Gewalt der Dynastie, noch
anerkannte, irrationelle Uebermacht des Volkes herrscht oder regiert fortan, son¬
dern lediglich das von der rationellen Staatsmajestät ausgehende Grundgesetz.

Die Aufstellung und Durchführung dieses Grundprincips war der Zweck und
das Resultat der deutschen Revolution von 1848. Wer zu diesem Werke der
Noth und der Nothwendigkeit aufgefordert hat, wer an dessen Durchführung auf
irgend eine Weise lebendigen Antheil nimmt, der muß sich auch allen daraus ent¬
springenden Folgen und Folgerungen unterziehen, für sie ringen mit Wort und
That, mit Blut und Leben.

Von allen natürlichen Folgen dieses Grundpriucipö Deutschlands seit dem
Februar 1848, muß ich hier nur einige erwähnen, weil sie unmittelbar unsern
Gegenstand berühren.

Das neue deutsche Staatsgruudprincip kann den Besitz durch Eroberung nicht
mehr als ein Recht heilig achten, sondern mir als ein historisches Ergebniß der
Uebermacht und Gewalt betrachten. Denn man kann einer Dynastie nicht mehr
ein Land abnehmen, weil keine Dynastie ein Land mehr hat. Eben so wenig
kann eine Dynastie mehr ein Land auf irgend eine Weise veräußern, noch an"
demselben Grunde ein Land zum Geschenk erhalten, weil sie nicht Obereigenthümer
und Herr, sondern nur ein mitberechtigter Theil des Staates ist. Die republika¬
nische Regierung steht diesem Grundprincipe gemäß unter demselben Verhältnisse,
wie die monarchische Dynastie. Wenn daher heute die deutschen Stämme von
Elsaß und Lothringen ihren festen Willen erklären, nicht mehr zu Frankreich, son¬
dern zu ihrem Mutterstaate Deutschland halten zu wollen, so muß morgen ganz
Deutschland nnter Waffen stehen und sür die deutsche Nationalität beider Stämme
den letzten Blutstropfen einsetzen. Will der schweizer Canton Neuenburg heute ernstlich
nichts mehr von einem König von Preußen wissen, sondern fest an seine helvetische
Nationalität sich anschließen, so muß der deutsche Staat ihn losgeben, und das
preußische Volk übt eine arge Inconsequenz gegen sein eigenes Revolntionsprincip,
wenn es seinem Könige gegen Neuenburg beistehen will.

Venedig und die Lombardei sind der Boden und der Wohnsitz zweier italie¬
nischer Stämme. Sie waren nicht von dem Staate Oestreich, sondern von der
Dynastie Oestreich erobert oder als erobertes Land erworben. Sie bildeten
bisher keinen eigentlich integrirenden Theil des Staates Oestreich, noch weniger
des Staates Deutschland, sondern eine der Dynastie Oestreich zugemessene Lar-


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heiliges, unfruchtbares und anarchisirendes Princip, selbst in einer Republik erkannt.
So schuf der moderne Radikalismus das neue monarchische Princip, wonach
Dynastie und Volk beide durch das Staatsgrundgesetz coordinirte, gleich berech¬
tigte und gleich verpflichtete Staatsgewalten sind, die Majestät und Souveränität
weder jener uoch dieser inwohnt, sondern lediglich dem Staate als Inbegriff von
beiden ertheilt wird. Weder angemaßte, irrationelle Gewalt der Dynastie, noch
anerkannte, irrationelle Uebermacht des Volkes herrscht oder regiert fortan, son¬
dern lediglich das von der rationellen Staatsmajestät ausgehende Grundgesetz.

Die Aufstellung und Durchführung dieses Grundprincips war der Zweck und
das Resultat der deutschen Revolution von 1848. Wer zu diesem Werke der
Noth und der Nothwendigkeit aufgefordert hat, wer an dessen Durchführung auf
irgend eine Weise lebendigen Antheil nimmt, der muß sich auch allen daraus ent¬
springenden Folgen und Folgerungen unterziehen, für sie ringen mit Wort und
That, mit Blut und Leben.

Von allen natürlichen Folgen dieses Grundpriucipö Deutschlands seit dem
Februar 1848, muß ich hier nur einige erwähnen, weil sie unmittelbar unsern
Gegenstand berühren.

Das neue deutsche Staatsgruudprincip kann den Besitz durch Eroberung nicht
mehr als ein Recht heilig achten, sondern mir als ein historisches Ergebniß der
Uebermacht und Gewalt betrachten. Denn man kann einer Dynastie nicht mehr
ein Land abnehmen, weil keine Dynastie ein Land mehr hat. Eben so wenig
kann eine Dynastie mehr ein Land auf irgend eine Weise veräußern, noch an«
demselben Grunde ein Land zum Geschenk erhalten, weil sie nicht Obereigenthümer
und Herr, sondern nur ein mitberechtigter Theil des Staates ist. Die republika¬
nische Regierung steht diesem Grundprincipe gemäß unter demselben Verhältnisse,
wie die monarchische Dynastie. Wenn daher heute die deutschen Stämme von
Elsaß und Lothringen ihren festen Willen erklären, nicht mehr zu Frankreich, son¬
dern zu ihrem Mutterstaate Deutschland halten zu wollen, so muß morgen ganz
Deutschland nnter Waffen stehen und sür die deutsche Nationalität beider Stämme
den letzten Blutstropfen einsetzen. Will der schweizer Canton Neuenburg heute ernstlich
nichts mehr von einem König von Preußen wissen, sondern fest an seine helvetische
Nationalität sich anschließen, so muß der deutsche Staat ihn losgeben, und das
preußische Volk übt eine arge Inconsequenz gegen sein eigenes Revolntionsprincip,
wenn es seinem Könige gegen Neuenburg beistehen will.

Venedig und die Lombardei sind der Boden und der Wohnsitz zweier italie¬
nischer Stämme. Sie waren nicht von dem Staate Oestreich, sondern von der
Dynastie Oestreich erobert oder als erobertes Land erworben. Sie bildeten
bisher keinen eigentlich integrirenden Theil des Staates Oestreich, noch weniger
des Staates Deutschland, sondern eine der Dynastie Oestreich zugemessene Lar-


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[0213] heiliges, unfruchtbares und anarchisirendes Princip, selbst in einer Republik erkannt. So schuf der moderne Radikalismus das neue monarchische Princip, wonach Dynastie und Volk beide durch das Staatsgrundgesetz coordinirte, gleich berech¬ tigte und gleich verpflichtete Staatsgewalten sind, die Majestät und Souveränität weder jener uoch dieser inwohnt, sondern lediglich dem Staate als Inbegriff von beiden ertheilt wird. Weder angemaßte, irrationelle Gewalt der Dynastie, noch anerkannte, irrationelle Uebermacht des Volkes herrscht oder regiert fortan, son¬ dern lediglich das von der rationellen Staatsmajestät ausgehende Grundgesetz. Die Aufstellung und Durchführung dieses Grundprincips war der Zweck und das Resultat der deutschen Revolution von 1848. Wer zu diesem Werke der Noth und der Nothwendigkeit aufgefordert hat, wer an dessen Durchführung auf irgend eine Weise lebendigen Antheil nimmt, der muß sich auch allen daraus ent¬ springenden Folgen und Folgerungen unterziehen, für sie ringen mit Wort und That, mit Blut und Leben. Von allen natürlichen Folgen dieses Grundpriucipö Deutschlands seit dem Februar 1848, muß ich hier nur einige erwähnen, weil sie unmittelbar unsern Gegenstand berühren. Das neue deutsche Staatsgruudprincip kann den Besitz durch Eroberung nicht mehr als ein Recht heilig achten, sondern mir als ein historisches Ergebniß der Uebermacht und Gewalt betrachten. Denn man kann einer Dynastie nicht mehr ein Land abnehmen, weil keine Dynastie ein Land mehr hat. Eben so wenig kann eine Dynastie mehr ein Land auf irgend eine Weise veräußern, noch an« demselben Grunde ein Land zum Geschenk erhalten, weil sie nicht Obereigenthümer und Herr, sondern nur ein mitberechtigter Theil des Staates ist. Die republika¬ nische Regierung steht diesem Grundprincipe gemäß unter demselben Verhältnisse, wie die monarchische Dynastie. Wenn daher heute die deutschen Stämme von Elsaß und Lothringen ihren festen Willen erklären, nicht mehr zu Frankreich, son¬ dern zu ihrem Mutterstaate Deutschland halten zu wollen, so muß morgen ganz Deutschland nnter Waffen stehen und sür die deutsche Nationalität beider Stämme den letzten Blutstropfen einsetzen. Will der schweizer Canton Neuenburg heute ernstlich nichts mehr von einem König von Preußen wissen, sondern fest an seine helvetische Nationalität sich anschließen, so muß der deutsche Staat ihn losgeben, und das preußische Volk übt eine arge Inconsequenz gegen sein eigenes Revolntionsprincip, wenn es seinem Könige gegen Neuenburg beistehen will. Venedig und die Lombardei sind der Boden und der Wohnsitz zweier italie¬ nischer Stämme. Sie waren nicht von dem Staate Oestreich, sondern von der Dynastie Oestreich erobert oder als erobertes Land erworben. Sie bildeten bisher keinen eigentlich integrirenden Theil des Staates Oestreich, noch weniger des Staates Deutschland, sondern eine der Dynastie Oestreich zugemessene Lar- 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/213>, abgerufen am 17.06.2024.