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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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deSstrecke, eine Art dynastischen Feudaleigenthums. Aber nach dem, auch vom
östreichischen Staate angenommenen Revolutiousprineipe, kann die Dynastie Oestreich
ebenfalls nicht mehr als Obereigenthümer und Herr eines Landes und Volkes
betrachtet werden, beide können auch nicht mehr zum Privatvermögen einer Dy
nastie gehören, weil das neue Princip weder Hörige noch Unterthanen mehr
kennt, sondern nur Staatsbürger. Erklären mithin Venedig und Lombardei
bestimmt und feierlich, daß sie weder Eigenthum der Dynastie Oestreich, noch
Staatsbürger des neuen Staates Oestreich und Deutschland sein, sondern der
Nationalität Italiens angehören wollen, so handeln Oestreich und Deutschland
schnurgerade ihrem neuen Staatsgrnndprincip entgegen, wenn sie Venedig und
die Lombardei zwingen wollen, bei Oestreich zu bleiben. Die Macht zu solchem
Zwange haben sie vielleicht, aber nach ihren eigenen Grundsätzen gewiß kein Recht.

Aber, ganz abgesehen von dem Rechtspunkte, entsteht die Frage: ist es po¬
litisch und vernünftig, die italienischen Länder Venedig und Lombardei zu zwingen,
daß sie Provinzen, Staaten von Oestreich oder Domänen von dessen Dynastie
bleiben?

Seit tausend Jahren beschäftigt die Frage über Italien die deutschen Politiker
unablässig; sie auf dem Wege der Gewalt zu lösen, vergeudete das deutsche Reich
Milliarden an Geld und das Leben von Hunderttausenden seiner Söhne. Nicht
aus schnöder Eroberungslust oder aus blindem Hasse führte Deutschland diesen
Kampf so beharrlich durch Jahrhunderte fort, sondern lediglich kraft der Allgewalt
eines Verhängnisses, begeistert von einem Traume, gebannt von einem Aberglauben,
hingerissen von einem Dynastienwahne, später gezwungen durch alle hieraus ent-
sprungenen Folgen einer verkehrten, verderbten, der Vernunft und der Menschheit
Hohn sprechenden Politik.

Karl der Große hatte neben vielen schönen Träumen auch den einer Welt¬
herrschaft geträumt und dessen Verwirklichung bis an sein Ende beharrlich erstrebt.
Karl der Große war dahin und seine Nachfolger in dem getheilten Reiche, der
Kaiser von Deutschland und der König von Frankreich erbten zwar nicht seinen
Geist und seine Macht, aber seinen Traum. Dieser Traum eiuer Weltherrschaft,
auf zwei im Herzen von Europa neben einander wohnende Dynastien vererbt und
von beiden verfolgt, wurde zu einem Verhängnisse für Europa, von dessen Zauber
eigentlich erst die Revolution von 1848 uns ganz befreien kann.

Dieser Traum wurde zu einem Verhängnisse für Europa und mußte es wer¬
den, weil lediglich die Dynastien die Herren der Staaten, die einzigen Träger
und Inhaber der Geschichte waren, der Geist und Wille der Dynastie herrschte
und regierte, die Unterthanen gehorchten als Vasallen (Adel, Freie) oft mit ge¬
heimem Sträuben, als Aftervasallen blind und stumm, während Clerus und Mönch-
thum immer mächtiger zwischen Dynastie und Volk sich eindrängten, eine neue


deSstrecke, eine Art dynastischen Feudaleigenthums. Aber nach dem, auch vom
östreichischen Staate angenommenen Revolutiousprineipe, kann die Dynastie Oestreich
ebenfalls nicht mehr als Obereigenthümer und Herr eines Landes und Volkes
betrachtet werden, beide können auch nicht mehr zum Privatvermögen einer Dy
nastie gehören, weil das neue Princip weder Hörige noch Unterthanen mehr
kennt, sondern nur Staatsbürger. Erklären mithin Venedig und Lombardei
bestimmt und feierlich, daß sie weder Eigenthum der Dynastie Oestreich, noch
Staatsbürger des neuen Staates Oestreich und Deutschland sein, sondern der
Nationalität Italiens angehören wollen, so handeln Oestreich und Deutschland
schnurgerade ihrem neuen Staatsgrnndprincip entgegen, wenn sie Venedig und
die Lombardei zwingen wollen, bei Oestreich zu bleiben. Die Macht zu solchem
Zwange haben sie vielleicht, aber nach ihren eigenen Grundsätzen gewiß kein Recht.

Aber, ganz abgesehen von dem Rechtspunkte, entsteht die Frage: ist es po¬
litisch und vernünftig, die italienischen Länder Venedig und Lombardei zu zwingen,
daß sie Provinzen, Staaten von Oestreich oder Domänen von dessen Dynastie
bleiben?

Seit tausend Jahren beschäftigt die Frage über Italien die deutschen Politiker
unablässig; sie auf dem Wege der Gewalt zu lösen, vergeudete das deutsche Reich
Milliarden an Geld und das Leben von Hunderttausenden seiner Söhne. Nicht
aus schnöder Eroberungslust oder aus blindem Hasse führte Deutschland diesen
Kampf so beharrlich durch Jahrhunderte fort, sondern lediglich kraft der Allgewalt
eines Verhängnisses, begeistert von einem Traume, gebannt von einem Aberglauben,
hingerissen von einem Dynastienwahne, später gezwungen durch alle hieraus ent-
sprungenen Folgen einer verkehrten, verderbten, der Vernunft und der Menschheit
Hohn sprechenden Politik.

Karl der Große hatte neben vielen schönen Träumen auch den einer Welt¬
herrschaft geträumt und dessen Verwirklichung bis an sein Ende beharrlich erstrebt.
Karl der Große war dahin und seine Nachfolger in dem getheilten Reiche, der
Kaiser von Deutschland und der König von Frankreich erbten zwar nicht seinen
Geist und seine Macht, aber seinen Traum. Dieser Traum eiuer Weltherrschaft,
auf zwei im Herzen von Europa neben einander wohnende Dynastien vererbt und
von beiden verfolgt, wurde zu einem Verhängnisse für Europa, von dessen Zauber
eigentlich erst die Revolution von 1848 uns ganz befreien kann.

Dieser Traum wurde zu einem Verhängnisse für Europa und mußte es wer¬
den, weil lediglich die Dynastien die Herren der Staaten, die einzigen Träger
und Inhaber der Geschichte waren, der Geist und Wille der Dynastie herrschte
und regierte, die Unterthanen gehorchten als Vasallen (Adel, Freie) oft mit ge¬
heimem Sträuben, als Aftervasallen blind und stumm, während Clerus und Mönch-
thum immer mächtiger zwischen Dynastie und Volk sich eindrängten, eine neue


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[0214] deSstrecke, eine Art dynastischen Feudaleigenthums. Aber nach dem, auch vom östreichischen Staate angenommenen Revolutiousprineipe, kann die Dynastie Oestreich ebenfalls nicht mehr als Obereigenthümer und Herr eines Landes und Volkes betrachtet werden, beide können auch nicht mehr zum Privatvermögen einer Dy nastie gehören, weil das neue Princip weder Hörige noch Unterthanen mehr kennt, sondern nur Staatsbürger. Erklären mithin Venedig und Lombardei bestimmt und feierlich, daß sie weder Eigenthum der Dynastie Oestreich, noch Staatsbürger des neuen Staates Oestreich und Deutschland sein, sondern der Nationalität Italiens angehören wollen, so handeln Oestreich und Deutschland schnurgerade ihrem neuen Staatsgrnndprincip entgegen, wenn sie Venedig und die Lombardei zwingen wollen, bei Oestreich zu bleiben. Die Macht zu solchem Zwange haben sie vielleicht, aber nach ihren eigenen Grundsätzen gewiß kein Recht. Aber, ganz abgesehen von dem Rechtspunkte, entsteht die Frage: ist es po¬ litisch und vernünftig, die italienischen Länder Venedig und Lombardei zu zwingen, daß sie Provinzen, Staaten von Oestreich oder Domänen von dessen Dynastie bleiben? Seit tausend Jahren beschäftigt die Frage über Italien die deutschen Politiker unablässig; sie auf dem Wege der Gewalt zu lösen, vergeudete das deutsche Reich Milliarden an Geld und das Leben von Hunderttausenden seiner Söhne. Nicht aus schnöder Eroberungslust oder aus blindem Hasse führte Deutschland diesen Kampf so beharrlich durch Jahrhunderte fort, sondern lediglich kraft der Allgewalt eines Verhängnisses, begeistert von einem Traume, gebannt von einem Aberglauben, hingerissen von einem Dynastienwahne, später gezwungen durch alle hieraus ent- sprungenen Folgen einer verkehrten, verderbten, der Vernunft und der Menschheit Hohn sprechenden Politik. Karl der Große hatte neben vielen schönen Träumen auch den einer Welt¬ herrschaft geträumt und dessen Verwirklichung bis an sein Ende beharrlich erstrebt. Karl der Große war dahin und seine Nachfolger in dem getheilten Reiche, der Kaiser von Deutschland und der König von Frankreich erbten zwar nicht seinen Geist und seine Macht, aber seinen Traum. Dieser Traum eiuer Weltherrschaft, auf zwei im Herzen von Europa neben einander wohnende Dynastien vererbt und von beiden verfolgt, wurde zu einem Verhängnisse für Europa, von dessen Zauber eigentlich erst die Revolution von 1848 uns ganz befreien kann. Dieser Traum wurde zu einem Verhängnisse für Europa und mußte es wer¬ den, weil lediglich die Dynastien die Herren der Staaten, die einzigen Träger und Inhaber der Geschichte waren, der Geist und Wille der Dynastie herrschte und regierte, die Unterthanen gehorchten als Vasallen (Adel, Freie) oft mit ge¬ heimem Sträuben, als Aftervasallen blind und stumm, während Clerus und Mönch- thum immer mächtiger zwischen Dynastie und Volk sich eindrängten, eine neue

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/214>, abgerufen am 17.06.2024.