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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Macht, einen Staat im Staate bildeten, einen Staat über dem Staate täglich
kühner erstrebten.

Die wechselnden Dynastien der deutschen Kaiserhäuser und der Krone Frank¬
reichs rangen um die Verwirklichung jenes Traumes, so lang keine dritte Macht
in Europa mit ihnen sich vergleichen konnte. Sie setzten dieses Ringen auch dann
noch fort, nachdem andere Mächte gleicher oder momentan überwiegender Kraft
neben ihnen erstände" waren. Drei Mal schien sich dieser Traum verwirklichen zu
wollen: ein Mal für Deutschland unter Karl V., zwei Mal für Frankreich unter
Ludwig XIV. und unter Napoleon.

Beide Dynastien suchten beharrlich die Verwirklichung ihres Traumes vor
Allem in Italien. In Italien thronte der geistliche Autokrat einer Welt und eine
Suprematie über ihn mußte wohl die würdigste Aufgabe des dynastischen Stolzes
und Herrschermahnes sein. Italien ist, gleich Deutschland, in viele Länder und
Herrschaften zerstückt, war es früher ja noch vielfältiger als jetzt, bildete mithin
keine concentrirte Einheit, bot von allen Seite" Blößen und Lücken und Schwä¬
chen, willkommen dem Herrschergelüste, der Diplomatie und ihren Ränken, welchen
nur die wachsende Anmaßung der Päpste seit Gregor VII. an Macht und Schlauheit
und Gewissenlosigkeit, mit wechselndem Glücke die Wage halten konnte. Schwert und
Dolch und Gift und Heirathen und Corruption und offener Verrath wurden vou den
Wahlkaisern Deutschlands, von der Dynastie Habsburg, von den frauzöstschen Valvi"
und Bourbonen für gleichtreffliche Mittel zu dem Zwecke gehalten: Beide wollten
ja nur herrschen, herrschen um jeden Preis. Und Millionen um Millionen der
Völker von Frankreich, Spanien und Deutschland wanderten nach Italien, und
Hunderttausende aus den Völkern von Frankreich und Deutschland wurden auf
italienischem Boden geschlachtet, lediglich um der zur Jdivstnkrasie gesteigerten
Herrschlust der Dynastien dort Flustenfltze und Einfluß zu verschaffen. Frankreich
und Deutschland wurden unter diesen wiederholte" Anstrengungen oftmals erschöpft,
Italien selbst vou dem höchsten Flore des Wohlstandes und geistigen Schwunges
in Wissenschaft und Kunst, allmälig zu dem bedauerlichsten Zustande intellectueller,
moralischer und materieller Unkraft herabgestimmt, welcher jeden Gedanken an
Selbstständigkeit, jedes Gefühl nationaler Würde vernichten mußte, dafür glei¬
chen Grimm und Haß gegen Franzosen und Deutsche in den Herzen nährte. Aber
in Deutschland und Frankreich schrieb man Geschichte und publicistische Betrach¬
tungen, welche nichts anderes lehrten, als tiefste Verachtung der italienischen In¬
telligenz und des italienischen Charakters, und welche eiuer ganzen Reibe vou
französischen und deutschen Geschlechtern den sinnlosen und unglückseligen Aber¬
glauben, "Frankreich oder Deutschland müsse um jeden Preis seinen politischen
Einfluß in Italien, die Hegemonie in Italien erkämpfen und erhalten," so tief
einprägten, daß dieser Aberglaube sogar jetzt noch als heilige Lehre gepredigt wird.


Macht, einen Staat im Staate bildeten, einen Staat über dem Staate täglich
kühner erstrebten.

Die wechselnden Dynastien der deutschen Kaiserhäuser und der Krone Frank¬
reichs rangen um die Verwirklichung jenes Traumes, so lang keine dritte Macht
in Europa mit ihnen sich vergleichen konnte. Sie setzten dieses Ringen auch dann
noch fort, nachdem andere Mächte gleicher oder momentan überwiegender Kraft
neben ihnen erstände» waren. Drei Mal schien sich dieser Traum verwirklichen zu
wollen: ein Mal für Deutschland unter Karl V., zwei Mal für Frankreich unter
Ludwig XIV. und unter Napoleon.

Beide Dynastien suchten beharrlich die Verwirklichung ihres Traumes vor
Allem in Italien. In Italien thronte der geistliche Autokrat einer Welt und eine
Suprematie über ihn mußte wohl die würdigste Aufgabe des dynastischen Stolzes
und Herrschermahnes sein. Italien ist, gleich Deutschland, in viele Länder und
Herrschaften zerstückt, war es früher ja noch vielfältiger als jetzt, bildete mithin
keine concentrirte Einheit, bot von allen Seite» Blößen und Lücken und Schwä¬
chen, willkommen dem Herrschergelüste, der Diplomatie und ihren Ränken, welchen
nur die wachsende Anmaßung der Päpste seit Gregor VII. an Macht und Schlauheit
und Gewissenlosigkeit, mit wechselndem Glücke die Wage halten konnte. Schwert und
Dolch und Gift und Heirathen und Corruption und offener Verrath wurden vou den
Wahlkaisern Deutschlands, von der Dynastie Habsburg, von den frauzöstschen Valvi«
und Bourbonen für gleichtreffliche Mittel zu dem Zwecke gehalten: Beide wollten
ja nur herrschen, herrschen um jeden Preis. Und Millionen um Millionen der
Völker von Frankreich, Spanien und Deutschland wanderten nach Italien, und
Hunderttausende aus den Völkern von Frankreich und Deutschland wurden auf
italienischem Boden geschlachtet, lediglich um der zur Jdivstnkrasie gesteigerten
Herrschlust der Dynastien dort Flustenfltze und Einfluß zu verschaffen. Frankreich
und Deutschland wurden unter diesen wiederholte» Anstrengungen oftmals erschöpft,
Italien selbst vou dem höchsten Flore des Wohlstandes und geistigen Schwunges
in Wissenschaft und Kunst, allmälig zu dem bedauerlichsten Zustande intellectueller,
moralischer und materieller Unkraft herabgestimmt, welcher jeden Gedanken an
Selbstständigkeit, jedes Gefühl nationaler Würde vernichten mußte, dafür glei¬
chen Grimm und Haß gegen Franzosen und Deutsche in den Herzen nährte. Aber
in Deutschland und Frankreich schrieb man Geschichte und publicistische Betrach¬
tungen, welche nichts anderes lehrten, als tiefste Verachtung der italienischen In¬
telligenz und des italienischen Charakters, und welche eiuer ganzen Reibe vou
französischen und deutschen Geschlechtern den sinnlosen und unglückseligen Aber¬
glauben, „Frankreich oder Deutschland müsse um jeden Preis seinen politischen
Einfluß in Italien, die Hegemonie in Italien erkämpfen und erhalten," so tief
einprägten, daß dieser Aberglaube sogar jetzt noch als heilige Lehre gepredigt wird.


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[0215] Macht, einen Staat im Staate bildeten, einen Staat über dem Staate täglich kühner erstrebten. Die wechselnden Dynastien der deutschen Kaiserhäuser und der Krone Frank¬ reichs rangen um die Verwirklichung jenes Traumes, so lang keine dritte Macht in Europa mit ihnen sich vergleichen konnte. Sie setzten dieses Ringen auch dann noch fort, nachdem andere Mächte gleicher oder momentan überwiegender Kraft neben ihnen erstände» waren. Drei Mal schien sich dieser Traum verwirklichen zu wollen: ein Mal für Deutschland unter Karl V., zwei Mal für Frankreich unter Ludwig XIV. und unter Napoleon. Beide Dynastien suchten beharrlich die Verwirklichung ihres Traumes vor Allem in Italien. In Italien thronte der geistliche Autokrat einer Welt und eine Suprematie über ihn mußte wohl die würdigste Aufgabe des dynastischen Stolzes und Herrschermahnes sein. Italien ist, gleich Deutschland, in viele Länder und Herrschaften zerstückt, war es früher ja noch vielfältiger als jetzt, bildete mithin keine concentrirte Einheit, bot von allen Seite» Blößen und Lücken und Schwä¬ chen, willkommen dem Herrschergelüste, der Diplomatie und ihren Ränken, welchen nur die wachsende Anmaßung der Päpste seit Gregor VII. an Macht und Schlauheit und Gewissenlosigkeit, mit wechselndem Glücke die Wage halten konnte. Schwert und Dolch und Gift und Heirathen und Corruption und offener Verrath wurden vou den Wahlkaisern Deutschlands, von der Dynastie Habsburg, von den frauzöstschen Valvi« und Bourbonen für gleichtreffliche Mittel zu dem Zwecke gehalten: Beide wollten ja nur herrschen, herrschen um jeden Preis. Und Millionen um Millionen der Völker von Frankreich, Spanien und Deutschland wanderten nach Italien, und Hunderttausende aus den Völkern von Frankreich und Deutschland wurden auf italienischem Boden geschlachtet, lediglich um der zur Jdivstnkrasie gesteigerten Herrschlust der Dynastien dort Flustenfltze und Einfluß zu verschaffen. Frankreich und Deutschland wurden unter diesen wiederholte» Anstrengungen oftmals erschöpft, Italien selbst vou dem höchsten Flore des Wohlstandes und geistigen Schwunges in Wissenschaft und Kunst, allmälig zu dem bedauerlichsten Zustande intellectueller, moralischer und materieller Unkraft herabgestimmt, welcher jeden Gedanken an Selbstständigkeit, jedes Gefühl nationaler Würde vernichten mußte, dafür glei¬ chen Grimm und Haß gegen Franzosen und Deutsche in den Herzen nährte. Aber in Deutschland und Frankreich schrieb man Geschichte und publicistische Betrach¬ tungen, welche nichts anderes lehrten, als tiefste Verachtung der italienischen In¬ telligenz und des italienischen Charakters, und welche eiuer ganzen Reibe vou französischen und deutschen Geschlechtern den sinnlosen und unglückseligen Aber¬ glauben, „Frankreich oder Deutschland müsse um jeden Preis seinen politischen Einfluß in Italien, die Hegemonie in Italien erkämpfen und erhalten," so tief einprägten, daß dieser Aberglaube sogar jetzt noch als heilige Lehre gepredigt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/215>, abgerufen am 17.06.2024.