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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Im alten Staatengebäude der Dynastien von Gottes Gnaden und der Unter-
thanenheerden von Gottes Ungnaden, mag jene Lehre von der Nothwendigkeit eines
Herrschaftseinflusses auf andere Nationalitäten noch verzeihlich, gewissermaßen so¬
gar natürlich erscheinen. Im neuen Staate muß diese Lehre geradezu als sinn¬
widrig anerkannt werden.

Der höchste Grad von Freiheit bedingt den höchstmöglichen Grad von Kraft
des Staates. Die Kraft eines Staates beruht aber auf dem innern geistigen
und moralischen Zusammenhange, ans der möglichsten Homogeneität seiner Bestand-
theile, und diese ist nur bei vollkommener Freiwilligkeit, also nur bei gleicher Na¬
tionalität denkbar. Darum ist Frankreich ein unverwüstlich mächtiger Staat,
Rußland nur ein pomphafter Koloß mit thönernen Beinen.

Der Italiener kann in dieser Beziehung niemals ein aufrichtiger und treuer
Gehilfe für Oestreich werden, denn niemals wird er freiwillig ein Unterjocher sein
wollen. Ein mächtiger Unterjochter an einer Flanke ist aber eine wesentliche Läh¬
mung und Minderung der Staatskrast, statt deren Vergrößerung, denn schonen
und hätscheln muß man ihn im Frieden, und in jedem bedenklichen Augenblicke
sein Gebiet besetzen , daß er nicht etwa abfalle. Die Dynastie Oestreichs hat
an Titeln, Nimbus und Glanz durch ihre Herrschaft über Venedig und Lombardei
gewonnen, der Staat Oestreich hat sich damit eine fast ganz nutzlose Last auf¬
gebürdet, wenn auch einige Fabriken und die Agiotage diese Last des Ganzen zu
ihrem besondern Vortheile benutzen konnten.

So lang indessen ganz Italien ein zcrstücktes, willenloses Spielzeug in der
Hand des Despotismus geblieben, so lang mochte auch die altdiplomatische Ma¬
rotte, "daß Oestreich und durch dieses Deutschland seinen Einfluß in Italien be¬
haupten müsse, um Frankreichs Einfluß zu hemmen und zu vernichten," noch einige
Bedeutung haben, weil eine im Finstern schleichende Diplomatie in der That die
Welt regierte. Aber seitdem Italien einstimmig den Absolutismus verdrängt, dem
Jesuitismus den Tod geschworen und durch Einigkeit im Streben die Einheit ei¬
nes neuen Bundesstaates in Europa eingeleitet hat, seitdem ist die Lehre von der
Nothwendigkeit jenes Einflusses eine Chimäre. Denn ein auf Freiheit gegründeter
Bundesstaat von 22 Millionen Seelen ist in sich stark genug und wird eben so
wenig Frankreichs wie Deutschlands Werkzeug sein, sondern seine Unabhängigkeit
und Selbstständigkeit aufrecht erhalten können.

Der östreichische Staat und Deutschland gewinnen daher unverkennbar durch
ein vernünftiges Aufgeben jener italienischen Anhängsel. Oestreich und Deutschland
haben mit ihrer Selbstbefreiung von altem Jammer und alter Sklaverei zugleich
die heilige Pflicht übernommen, Dynastien- wie Volkseitelkeiten einer reinern An¬
sicht vom Staate, der Ruhe und dem Glück der Zukunft zum Opfer zu bringen.
Oestreich und Deutschland üben damit nicht einen Act der Großmuth, wie so viele
Philister sprechen, sondern lediglich eine Pflicht gegen sich selbst und ihre Zukunft.


Im alten Staatengebäude der Dynastien von Gottes Gnaden und der Unter-
thanenheerden von Gottes Ungnaden, mag jene Lehre von der Nothwendigkeit eines
Herrschaftseinflusses auf andere Nationalitäten noch verzeihlich, gewissermaßen so¬
gar natürlich erscheinen. Im neuen Staate muß diese Lehre geradezu als sinn¬
widrig anerkannt werden.

Der höchste Grad von Freiheit bedingt den höchstmöglichen Grad von Kraft
des Staates. Die Kraft eines Staates beruht aber auf dem innern geistigen
und moralischen Zusammenhange, ans der möglichsten Homogeneität seiner Bestand-
theile, und diese ist nur bei vollkommener Freiwilligkeit, also nur bei gleicher Na¬
tionalität denkbar. Darum ist Frankreich ein unverwüstlich mächtiger Staat,
Rußland nur ein pomphafter Koloß mit thönernen Beinen.

Der Italiener kann in dieser Beziehung niemals ein aufrichtiger und treuer
Gehilfe für Oestreich werden, denn niemals wird er freiwillig ein Unterjocher sein
wollen. Ein mächtiger Unterjochter an einer Flanke ist aber eine wesentliche Läh¬
mung und Minderung der Staatskrast, statt deren Vergrößerung, denn schonen
und hätscheln muß man ihn im Frieden, und in jedem bedenklichen Augenblicke
sein Gebiet besetzen , daß er nicht etwa abfalle. Die Dynastie Oestreichs hat
an Titeln, Nimbus und Glanz durch ihre Herrschaft über Venedig und Lombardei
gewonnen, der Staat Oestreich hat sich damit eine fast ganz nutzlose Last auf¬
gebürdet, wenn auch einige Fabriken und die Agiotage diese Last des Ganzen zu
ihrem besondern Vortheile benutzen konnten.

So lang indessen ganz Italien ein zcrstücktes, willenloses Spielzeug in der
Hand des Despotismus geblieben, so lang mochte auch die altdiplomatische Ma¬
rotte, „daß Oestreich und durch dieses Deutschland seinen Einfluß in Italien be¬
haupten müsse, um Frankreichs Einfluß zu hemmen und zu vernichten," noch einige
Bedeutung haben, weil eine im Finstern schleichende Diplomatie in der That die
Welt regierte. Aber seitdem Italien einstimmig den Absolutismus verdrängt, dem
Jesuitismus den Tod geschworen und durch Einigkeit im Streben die Einheit ei¬
nes neuen Bundesstaates in Europa eingeleitet hat, seitdem ist die Lehre von der
Nothwendigkeit jenes Einflusses eine Chimäre. Denn ein auf Freiheit gegründeter
Bundesstaat von 22 Millionen Seelen ist in sich stark genug und wird eben so
wenig Frankreichs wie Deutschlands Werkzeug sein, sondern seine Unabhängigkeit
und Selbstständigkeit aufrecht erhalten können.

Der östreichische Staat und Deutschland gewinnen daher unverkennbar durch
ein vernünftiges Aufgeben jener italienischen Anhängsel. Oestreich und Deutschland
haben mit ihrer Selbstbefreiung von altem Jammer und alter Sklaverei zugleich
die heilige Pflicht übernommen, Dynastien- wie Volkseitelkeiten einer reinern An¬
sicht vom Staate, der Ruhe und dem Glück der Zukunft zum Opfer zu bringen.
Oestreich und Deutschland üben damit nicht einen Act der Großmuth, wie so viele
Philister sprechen, sondern lediglich eine Pflicht gegen sich selbst und ihre Zukunft.


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[0216] Im alten Staatengebäude der Dynastien von Gottes Gnaden und der Unter- thanenheerden von Gottes Ungnaden, mag jene Lehre von der Nothwendigkeit eines Herrschaftseinflusses auf andere Nationalitäten noch verzeihlich, gewissermaßen so¬ gar natürlich erscheinen. Im neuen Staate muß diese Lehre geradezu als sinn¬ widrig anerkannt werden. Der höchste Grad von Freiheit bedingt den höchstmöglichen Grad von Kraft des Staates. Die Kraft eines Staates beruht aber auf dem innern geistigen und moralischen Zusammenhange, ans der möglichsten Homogeneität seiner Bestand- theile, und diese ist nur bei vollkommener Freiwilligkeit, also nur bei gleicher Na¬ tionalität denkbar. Darum ist Frankreich ein unverwüstlich mächtiger Staat, Rußland nur ein pomphafter Koloß mit thönernen Beinen. Der Italiener kann in dieser Beziehung niemals ein aufrichtiger und treuer Gehilfe für Oestreich werden, denn niemals wird er freiwillig ein Unterjocher sein wollen. Ein mächtiger Unterjochter an einer Flanke ist aber eine wesentliche Läh¬ mung und Minderung der Staatskrast, statt deren Vergrößerung, denn schonen und hätscheln muß man ihn im Frieden, und in jedem bedenklichen Augenblicke sein Gebiet besetzen , daß er nicht etwa abfalle. Die Dynastie Oestreichs hat an Titeln, Nimbus und Glanz durch ihre Herrschaft über Venedig und Lombardei gewonnen, der Staat Oestreich hat sich damit eine fast ganz nutzlose Last auf¬ gebürdet, wenn auch einige Fabriken und die Agiotage diese Last des Ganzen zu ihrem besondern Vortheile benutzen konnten. So lang indessen ganz Italien ein zcrstücktes, willenloses Spielzeug in der Hand des Despotismus geblieben, so lang mochte auch die altdiplomatische Ma¬ rotte, „daß Oestreich und durch dieses Deutschland seinen Einfluß in Italien be¬ haupten müsse, um Frankreichs Einfluß zu hemmen und zu vernichten," noch einige Bedeutung haben, weil eine im Finstern schleichende Diplomatie in der That die Welt regierte. Aber seitdem Italien einstimmig den Absolutismus verdrängt, dem Jesuitismus den Tod geschworen und durch Einigkeit im Streben die Einheit ei¬ nes neuen Bundesstaates in Europa eingeleitet hat, seitdem ist die Lehre von der Nothwendigkeit jenes Einflusses eine Chimäre. Denn ein auf Freiheit gegründeter Bundesstaat von 22 Millionen Seelen ist in sich stark genug und wird eben so wenig Frankreichs wie Deutschlands Werkzeug sein, sondern seine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit aufrecht erhalten können. Der östreichische Staat und Deutschland gewinnen daher unverkennbar durch ein vernünftiges Aufgeben jener italienischen Anhängsel. Oestreich und Deutschland haben mit ihrer Selbstbefreiung von altem Jammer und alter Sklaverei zugleich die heilige Pflicht übernommen, Dynastien- wie Volkseitelkeiten einer reinern An¬ sicht vom Staate, der Ruhe und dem Glück der Zukunft zum Opfer zu bringen. Oestreich und Deutschland üben damit nicht einen Act der Großmuth, wie so viele Philister sprechen, sondern lediglich eine Pflicht gegen sich selbst und ihre Zukunft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/216>, abgerufen am 17.06.2024.