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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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dei und Venedig zwar frei und constitutionell, aber von einem
östreichischen Prinzen regiert würden."

Was hierüber das östreichische Kaiserhaus betrifft, so hätte man in der That
großes Unrecht, ihm jetzt schon eine klare und verständige Ansicht der Dinge zu-
zumuthen, von ihm zu fordern, daß es sich plötzlich dem süßen Rausche eines
seit undenklichen Zeiten durch die Familie vererbten Herrschaftstraumes entheben
solle; daß es den jetzigen, so bedenklichen Katzenjammer seiner sämmtlichen Zu-
stände für das anerkennen müsse, was er wirklich ist: für eine natürliche Folge
menschheitswidriger Grundsätze, durch Jahrhunderte befolgt, für eine natürliche
Folge jenes Wahnes von göttlichem und natürlichem Dynastienrechte und jenes
unseligen I'col ,:'oft moi! Es gehört mehr als ein gewöhnliches Wunder dazu,
um plötzlich eines Morgens mit Vernunft in Kopf und Herzen zu erwachen, wenn
man Zeitlebens den Glauben an die Unvernunft eingeathmet und wie eine Reli¬
gion heiligst gepflegt hat. Man kann ein höchst gutmüthiger und in manchem
Betrachte ehremverther und liebenswürdiger Mensch sei", man kann die Gerechtig¬
keit über Alles achten, und dennoch als Fürst in den seltsamsten Vorurtheilen
und Verblendungen befangen sein; man kann jenes vage Gefühl von Gerechtig¬
keit und Menschenliebe recht warm in der Brust tragen, und dennoch als Fürst
stets ungerecht und unmenschlich denken wie handeln, so lange man seinen Willen
als die einzige Quelle betrachtet, woraus alles Recht fließen könne.

Von der östreichischen Ministerialwelt und Diplomatie Anderes fordern, als
sie bisher geleistet hat, ist, nach dem gelindesten Ausdrucke, sehr naiv! Man
ändert über Nacht ein Staatsgrnndprinciv und verlangt von denselben Leuten,
welche im entgegengesetzten Princip erzogen und gran geworden sind, daß sie plötz¬
lich dem Vernnuftstaate ihre Kräfte ehrlich widme" solle". So lauge Leute des
tiefgewurzelten Major-Domnsthumö an der Spitze des östreichischen Staates
stehen, hat Oestreich alle Gedanken an ein reines und ernstes Vorwärts aufzu¬
geben, und Deutschland hat ans Oestreichs Brüderlichkeit nur so lauge zu rechnen,
als es uicht dem Czechenthum gefallen wird, seinen Vasallen in Wien zu Deutsch¬
lands Feind zu machen.

Ein östreichischer Prinz ans einem sogenannt selbstständige" lombardisch-vene-
tianischen Thron ist für Italien, Oestreich und Deutschland nnr eine Fortsetzung
der alten verrotteten Geschichte unter neuem Namen und in einer neuen Einklei¬
dung, wodurch für den Augenblick die Ruhe hergestellt und ein neuer Kriegszu-
stand für die ganze Zukunft bereitet wird.

Was heißt in der That ein östreichischer Prinz auf jenem Throne? Eine
Wiederaufwärmung des alten dynastischen Gelüstes, der altdynastischen Vettern-
schaften und Erbverbrüderungen, eine stillschweigende Sanktion des todtgeschla
gelten feudalistischen Popanzes des Obereigenthnmsrechts einer Familie über
Land und Leute, Land ' und Leibeigenschaft ! Was wird anderes daraus, was


dei und Venedig zwar frei und constitutionell, aber von einem
östreichischen Prinzen regiert würden."

Was hierüber das östreichische Kaiserhaus betrifft, so hätte man in der That
großes Unrecht, ihm jetzt schon eine klare und verständige Ansicht der Dinge zu-
zumuthen, von ihm zu fordern, daß es sich plötzlich dem süßen Rausche eines
seit undenklichen Zeiten durch die Familie vererbten Herrschaftstraumes entheben
solle; daß es den jetzigen, so bedenklichen Katzenjammer seiner sämmtlichen Zu-
stände für das anerkennen müsse, was er wirklich ist: für eine natürliche Folge
menschheitswidriger Grundsätze, durch Jahrhunderte befolgt, für eine natürliche
Folge jenes Wahnes von göttlichem und natürlichem Dynastienrechte und jenes
unseligen I'col ,:'oft moi! Es gehört mehr als ein gewöhnliches Wunder dazu,
um plötzlich eines Morgens mit Vernunft in Kopf und Herzen zu erwachen, wenn
man Zeitlebens den Glauben an die Unvernunft eingeathmet und wie eine Reli¬
gion heiligst gepflegt hat. Man kann ein höchst gutmüthiger und in manchem
Betrachte ehremverther und liebenswürdiger Mensch sei», man kann die Gerechtig¬
keit über Alles achten, und dennoch als Fürst in den seltsamsten Vorurtheilen
und Verblendungen befangen sein; man kann jenes vage Gefühl von Gerechtig¬
keit und Menschenliebe recht warm in der Brust tragen, und dennoch als Fürst
stets ungerecht und unmenschlich denken wie handeln, so lange man seinen Willen
als die einzige Quelle betrachtet, woraus alles Recht fließen könne.

Von der östreichischen Ministerialwelt und Diplomatie Anderes fordern, als
sie bisher geleistet hat, ist, nach dem gelindesten Ausdrucke, sehr naiv! Man
ändert über Nacht ein Staatsgrnndprinciv und verlangt von denselben Leuten,
welche im entgegengesetzten Princip erzogen und gran geworden sind, daß sie plötz¬
lich dem Vernnuftstaate ihre Kräfte ehrlich widme» solle». So lauge Leute des
tiefgewurzelten Major-Domnsthumö an der Spitze des östreichischen Staates
stehen, hat Oestreich alle Gedanken an ein reines und ernstes Vorwärts aufzu¬
geben, und Deutschland hat ans Oestreichs Brüderlichkeit nur so lauge zu rechnen,
als es uicht dem Czechenthum gefallen wird, seinen Vasallen in Wien zu Deutsch¬
lands Feind zu machen.

Ein östreichischer Prinz ans einem sogenannt selbstständige» lombardisch-vene-
tianischen Thron ist für Italien, Oestreich und Deutschland nnr eine Fortsetzung
der alten verrotteten Geschichte unter neuem Namen und in einer neuen Einklei¬
dung, wodurch für den Augenblick die Ruhe hergestellt und ein neuer Kriegszu-
stand für die ganze Zukunft bereitet wird.

Was heißt in der That ein östreichischer Prinz auf jenem Throne? Eine
Wiederaufwärmung des alten dynastischen Gelüstes, der altdynastischen Vettern-
schaften und Erbverbrüderungen, eine stillschweigende Sanktion des todtgeschla
gelten feudalistischen Popanzes des Obereigenthnmsrechts einer Familie über
Land und Leute, Land ' und Leibeigenschaft ! Was wird anderes daraus, was


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[0218] dei und Venedig zwar frei und constitutionell, aber von einem östreichischen Prinzen regiert würden." Was hierüber das östreichische Kaiserhaus betrifft, so hätte man in der That großes Unrecht, ihm jetzt schon eine klare und verständige Ansicht der Dinge zu- zumuthen, von ihm zu fordern, daß es sich plötzlich dem süßen Rausche eines seit undenklichen Zeiten durch die Familie vererbten Herrschaftstraumes entheben solle; daß es den jetzigen, so bedenklichen Katzenjammer seiner sämmtlichen Zu- stände für das anerkennen müsse, was er wirklich ist: für eine natürliche Folge menschheitswidriger Grundsätze, durch Jahrhunderte befolgt, für eine natürliche Folge jenes Wahnes von göttlichem und natürlichem Dynastienrechte und jenes unseligen I'col ,:'oft moi! Es gehört mehr als ein gewöhnliches Wunder dazu, um plötzlich eines Morgens mit Vernunft in Kopf und Herzen zu erwachen, wenn man Zeitlebens den Glauben an die Unvernunft eingeathmet und wie eine Reli¬ gion heiligst gepflegt hat. Man kann ein höchst gutmüthiger und in manchem Betrachte ehremverther und liebenswürdiger Mensch sei», man kann die Gerechtig¬ keit über Alles achten, und dennoch als Fürst in den seltsamsten Vorurtheilen und Verblendungen befangen sein; man kann jenes vage Gefühl von Gerechtig¬ keit und Menschenliebe recht warm in der Brust tragen, und dennoch als Fürst stets ungerecht und unmenschlich denken wie handeln, so lange man seinen Willen als die einzige Quelle betrachtet, woraus alles Recht fließen könne. Von der östreichischen Ministerialwelt und Diplomatie Anderes fordern, als sie bisher geleistet hat, ist, nach dem gelindesten Ausdrucke, sehr naiv! Man ändert über Nacht ein Staatsgrnndprinciv und verlangt von denselben Leuten, welche im entgegengesetzten Princip erzogen und gran geworden sind, daß sie plötz¬ lich dem Vernnuftstaate ihre Kräfte ehrlich widme» solle». So lauge Leute des tiefgewurzelten Major-Domnsthumö an der Spitze des östreichischen Staates stehen, hat Oestreich alle Gedanken an ein reines und ernstes Vorwärts aufzu¬ geben, und Deutschland hat ans Oestreichs Brüderlichkeit nur so lauge zu rechnen, als es uicht dem Czechenthum gefallen wird, seinen Vasallen in Wien zu Deutsch¬ lands Feind zu machen. Ein östreichischer Prinz ans einem sogenannt selbstständige» lombardisch-vene- tianischen Thron ist für Italien, Oestreich und Deutschland nnr eine Fortsetzung der alten verrotteten Geschichte unter neuem Namen und in einer neuen Einklei¬ dung, wodurch für den Augenblick die Ruhe hergestellt und ein neuer Kriegszu- stand für die ganze Zukunft bereitet wird. Was heißt in der That ein östreichischer Prinz auf jenem Throne? Eine Wiederaufwärmung des alten dynastischen Gelüstes, der altdynastischen Vettern- schaften und Erbverbrüderungen, eine stillschweigende Sanktion des todtgeschla gelten feudalistischen Popanzes des Obereigenthnmsrechts einer Familie über Land und Leute, Land ' und Leibeigenschaft ! Was wird anderes daraus, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/218>, abgerufen am 17.06.2024.