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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Kuh Preßburg.

Anarchie und Ne-iliion. -- Die deutschen Bürger in Pesth gegen die Juden. -- Die Judenverfolgung in
Prcjiburg. -- Kroatische Wühlereien. -- Sturm. -- Der Rubel auf Reisen. -- OestreickS rathlose Po-
litik. -- Perfidie gegen Polen. -- Warum Ungarn nicht 10 Millionen jährlich zahlen will.

Die Verhältnisse bei uns werden immer verwickelter und unsere Regierung muß
ihre ganze Energie aufbieten, all die Schwierigkeiten zu bekämpfen, denen sie täglich
begegnet. Die verschiedenen Parteien geben ihr gar viel zu schaffen und es fehlt oft
der gehörige Nachdruck, mit dem manche sich breitmachende Prätention zurückgewiesen
werden mußte. Unser Militär ist größtenteils in Italien und die Nationalgarde im
Allgemeinen auch nicht gehörig bewaffnet. Das Ministerium muß demnach oft nachgeben
und die Ultra-Radikalen (!) unseres Landes bedenken nicht, daß in einer solchen
Zeit, wo Anarchie und Reaction den glorreichen Ereignissen der europäischen Revolution
den Sieg streitig zu machen suchen, die Regierung schwächen das Land schwächen
heißt. Zwar ist nicht zu leugnen, daß unsere Minister auch nicht unfehlbar seien,
aber der gute Wille ist ihnen nicht abzustreiten und Fähigkeit nicht minder. Letzteres
gilt wenigstens von einem Theile derselben. In Pesth mußten die Juden, die in der
Nationalgarde eingeschrieben sind, vorläufig vom Dienste suc-pendirt werden. Das ist
eine ganz abscheuliche Maßregel, die uns durchaus nicht zur Ehre gereicht und doch
war sie eine nothwendige. Die Bürger, und namentlich die Bürger d eutsch er Zunge,
sind von einem solchen spießbürgerlichen Geiste durchdrungen, sie hängen so fest an
ihren Privilegien, daß die Minister zu diesem Schritte genöthigt waren. Auf die
Nationalgarde konnten sie natürlich nicht rechnen, da die Bürger sich ganz unmenschlich
gegen die Juden gebärden, und Militär stand ihnen keines zu Gebote, wenigstens
nicht genug, um einen aufgewiegelten Pöbelhauscn in Schach halten zu können. Die
Universität n"d die Legion der Honoratioren sind zwar dem Treiben der Bürger fremd,
aber sie haben auch nicht genug Sympathie für die Juden (für Gesetz, Ordnung und
Menschlichkeit) und vielleicht auch nicht für die Regierung, um dieser so kräftig an
die Seite zu treten als es die Dringlichkeit der Umstände erforderte.

Hier ging die Sache noch weiter und ich mußte Zeuge von barbarischen Auftritten
sein, welche Spindler's Phantasie Ehre gemacht hätten. Erlassen Sie mir die Details
dieser "christlichen Räubergeschichte," es mag Ihnen genügen, zu wissen, daß sich reiche
Bürger des 19. Jahrhunderts nicht entblödeten, den Pöbel gegen die Juden Prcß-
burgs zu Hetzen und deren Leben und Eigenthum auf eine so schändliche als grausame
Weise zu gefährden. Bei Beginn des Krawalls sahen die Bürger ganz ruhig zu,
"ut die Reveille der Nationalgarde wurde nur tauben Ohren und unchristlichen Herzen
getrommelt. Erst als die patriotischen Spießbürger fühlten, daß es sich denn doch
auch um ihre Sicherheit handeln könnte, wenn man den bezahlten und aufgestachelter
Pöbel so fortwüthen ließe, bequemten sie sich, dem Militär und den wenigen mensch¬
licher fühlenden Bürgern, so wie den noch hier anwesenden Mitgliedern der Magna-


Kuh Preßburg.

Anarchie und Ne-iliion. — Die deutschen Bürger in Pesth gegen die Juden. — Die Judenverfolgung in
Prcjiburg. — Kroatische Wühlereien. — Sturm. — Der Rubel auf Reisen. — OestreickS rathlose Po-
litik. — Perfidie gegen Polen. — Warum Ungarn nicht 10 Millionen jährlich zahlen will.

Die Verhältnisse bei uns werden immer verwickelter und unsere Regierung muß
ihre ganze Energie aufbieten, all die Schwierigkeiten zu bekämpfen, denen sie täglich
begegnet. Die verschiedenen Parteien geben ihr gar viel zu schaffen und es fehlt oft
der gehörige Nachdruck, mit dem manche sich breitmachende Prätention zurückgewiesen
werden mußte. Unser Militär ist größtenteils in Italien und die Nationalgarde im
Allgemeinen auch nicht gehörig bewaffnet. Das Ministerium muß demnach oft nachgeben
und die Ultra-Radikalen (!) unseres Landes bedenken nicht, daß in einer solchen
Zeit, wo Anarchie und Reaction den glorreichen Ereignissen der europäischen Revolution
den Sieg streitig zu machen suchen, die Regierung schwächen das Land schwächen
heißt. Zwar ist nicht zu leugnen, daß unsere Minister auch nicht unfehlbar seien,
aber der gute Wille ist ihnen nicht abzustreiten und Fähigkeit nicht minder. Letzteres
gilt wenigstens von einem Theile derselben. In Pesth mußten die Juden, die in der
Nationalgarde eingeschrieben sind, vorläufig vom Dienste suc-pendirt werden. Das ist
eine ganz abscheuliche Maßregel, die uns durchaus nicht zur Ehre gereicht und doch
war sie eine nothwendige. Die Bürger, und namentlich die Bürger d eutsch er Zunge,
sind von einem solchen spießbürgerlichen Geiste durchdrungen, sie hängen so fest an
ihren Privilegien, daß die Minister zu diesem Schritte genöthigt waren. Auf die
Nationalgarde konnten sie natürlich nicht rechnen, da die Bürger sich ganz unmenschlich
gegen die Juden gebärden, und Militär stand ihnen keines zu Gebote, wenigstens
nicht genug, um einen aufgewiegelten Pöbelhauscn in Schach halten zu können. Die
Universität n»d die Legion der Honoratioren sind zwar dem Treiben der Bürger fremd,
aber sie haben auch nicht genug Sympathie für die Juden (für Gesetz, Ordnung und
Menschlichkeit) und vielleicht auch nicht für die Regierung, um dieser so kräftig an
die Seite zu treten als es die Dringlichkeit der Umstände erforderte.

Hier ging die Sache noch weiter und ich mußte Zeuge von barbarischen Auftritten
sein, welche Spindler's Phantasie Ehre gemacht hätten. Erlassen Sie mir die Details
dieser „christlichen Räubergeschichte," es mag Ihnen genügen, zu wissen, daß sich reiche
Bürger des 19. Jahrhunderts nicht entblödeten, den Pöbel gegen die Juden Prcß-
burgs zu Hetzen und deren Leben und Eigenthum auf eine so schändliche als grausame
Weise zu gefährden. Bei Beginn des Krawalls sahen die Bürger ganz ruhig zu,
»ut die Reveille der Nationalgarde wurde nur tauben Ohren und unchristlichen Herzen
getrommelt. Erst als die patriotischen Spießbürger fühlten, daß es sich denn doch
auch um ihre Sicherheit handeln könnte, wenn man den bezahlten und aufgestachelter
Pöbel so fortwüthen ließe, bequemten sie sich, dem Militär und den wenigen mensch¬
licher fühlenden Bürgern, so wie den noch hier anwesenden Mitgliedern der Magna-


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[0233] Kuh Preßburg. Anarchie und Ne-iliion. — Die deutschen Bürger in Pesth gegen die Juden. — Die Judenverfolgung in Prcjiburg. — Kroatische Wühlereien. — Sturm. — Der Rubel auf Reisen. — OestreickS rathlose Po- litik. — Perfidie gegen Polen. — Warum Ungarn nicht 10 Millionen jährlich zahlen will. Die Verhältnisse bei uns werden immer verwickelter und unsere Regierung muß ihre ganze Energie aufbieten, all die Schwierigkeiten zu bekämpfen, denen sie täglich begegnet. Die verschiedenen Parteien geben ihr gar viel zu schaffen und es fehlt oft der gehörige Nachdruck, mit dem manche sich breitmachende Prätention zurückgewiesen werden mußte. Unser Militär ist größtenteils in Italien und die Nationalgarde im Allgemeinen auch nicht gehörig bewaffnet. Das Ministerium muß demnach oft nachgeben und die Ultra-Radikalen (!) unseres Landes bedenken nicht, daß in einer solchen Zeit, wo Anarchie und Reaction den glorreichen Ereignissen der europäischen Revolution den Sieg streitig zu machen suchen, die Regierung schwächen das Land schwächen heißt. Zwar ist nicht zu leugnen, daß unsere Minister auch nicht unfehlbar seien, aber der gute Wille ist ihnen nicht abzustreiten und Fähigkeit nicht minder. Letzteres gilt wenigstens von einem Theile derselben. In Pesth mußten die Juden, die in der Nationalgarde eingeschrieben sind, vorläufig vom Dienste suc-pendirt werden. Das ist eine ganz abscheuliche Maßregel, die uns durchaus nicht zur Ehre gereicht und doch war sie eine nothwendige. Die Bürger, und namentlich die Bürger d eutsch er Zunge, sind von einem solchen spießbürgerlichen Geiste durchdrungen, sie hängen so fest an ihren Privilegien, daß die Minister zu diesem Schritte genöthigt waren. Auf die Nationalgarde konnten sie natürlich nicht rechnen, da die Bürger sich ganz unmenschlich gegen die Juden gebärden, und Militär stand ihnen keines zu Gebote, wenigstens nicht genug, um einen aufgewiegelten Pöbelhauscn in Schach halten zu können. Die Universität n»d die Legion der Honoratioren sind zwar dem Treiben der Bürger fremd, aber sie haben auch nicht genug Sympathie für die Juden (für Gesetz, Ordnung und Menschlichkeit) und vielleicht auch nicht für die Regierung, um dieser so kräftig an die Seite zu treten als es die Dringlichkeit der Umstände erforderte. Hier ging die Sache noch weiter und ich mußte Zeuge von barbarischen Auftritten sein, welche Spindler's Phantasie Ehre gemacht hätten. Erlassen Sie mir die Details dieser „christlichen Räubergeschichte," es mag Ihnen genügen, zu wissen, daß sich reiche Bürger des 19. Jahrhunderts nicht entblödeten, den Pöbel gegen die Juden Prcß- burgs zu Hetzen und deren Leben und Eigenthum auf eine so schändliche als grausame Weise zu gefährden. Bei Beginn des Krawalls sahen die Bürger ganz ruhig zu, »ut die Reveille der Nationalgarde wurde nur tauben Ohren und unchristlichen Herzen getrommelt. Erst als die patriotischen Spießbürger fühlten, daß es sich denn doch auch um ihre Sicherheit handeln könnte, wenn man den bezahlten und aufgestachelter Pöbel so fortwüthen ließe, bequemten sie sich, dem Militär und den wenigen mensch¬ licher fühlenden Bürgern, so wie den noch hier anwesenden Mitgliedern der Magna-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/233>, abgerufen am 17.06.2024.