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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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das Volk mit bewunderungswürdiger Vernunft die zur socialen Harmonie note>
wendigen Ungleichheiten hin. Es ist geneigt einfach, ohne Rückhalt und fast wie
eine Naturscene, die Pracht und den Glanz im Leben der Vornehmen zu genießen.
Es hegt leicht Antheil für sie und Mitleid mit ihren Leiden, die es fassen kann,
dem Verluste ihrer Nächsten, ihrer Kinder, der Schätze selbst, auf die man es so
eifersüchtig wähnt. Für wenig dankbar, zeigt es sich denen treu, die es einmal
mitfühlend erkannt.




Die Kirche hatte aus dem Ruhetage den Tag des Herrn gemacht, eine hei¬
lige und erhabene Ideenverbindung, welche der Laienstaat im Geiste des Prole¬
tariers hat zerreißen lassen. Da wo die Arbeit aufhört, beginnt heute zu Tage
die Schwelgerei, und es ist traurig sagen zu müssen, daß die geweihte Muße des
siebenten Tages, statt deu Maun des Volkes zum Gefühl menschlicher Würde zu¬
rückzurufen, ihn durch den Einfluß der ihm gereichte" groben Zerstreuungen und
Schauspiele nur tiefer in das thierische Leben hineindrängt.




"Komm etwas Schönes zu sehen," sagte ich einmal , indem ich ein im Zia-
'wer spielendes Kind an das Fenster rief. "Lebt es?" fragte es, bevor es sein
Spiel ließ. Ein tiefes Wort der Offenbarung! Das Kind und auch das Volk
lieben nur was Leben hat. Wundert euch nicht, wenn eure Predigten, eure
Systeme, alle eure pädagogische Scholastik sie zerstreut, unaufmerksam und fast
verschmähend findet.




Man muß bei der Volkserziehung nicht zu sehr auf Bücher zählen. Der
Arbeiter hat wenig Zeit zum Lesen; überdies ist Gelehrsamkeit nicht seine Sache.
Wenige gutgewählte Bücher werden immer genügen für die Betrachtungen dieser
Geister, welche die That trägt. Wir begehen einen großen Fehler in der Beur¬
theilung, wenn wir keine andere Erziehungsweise begreifen als die Schulerziehung.
Der Staat ist seinen Kindern eine andere schuldig, und vorzugsweise denen, wel¬
chen die Muße wissenschaftlicher und literarischer Studien nicht gewährt ist. Es
ist die große Erziehung, welche ohne Klassiker und Professoren geschieht, durch
Adel und Würde der Gewohnheiten im öffentlichen Leben. Es ist die Erziehung,
welche das Volk zu Athen und Rom erhielt, durch jenes glückliche Eingehen in
die Künste, dnrch jenen harmonischen Verband von Architektur, Skulptur, Malerei,
Musik und Tanz im Parthenon, den Propyläen, den Thermen, im Forum und
Capitol, der dem Mittelpunkte selbst, in welchem das Volk lebte, eine gebietende
und fast gottesfürchtige Größe verlieh, durch welche der Charakter seiner Sitten
gewissermaßen bestimmt ward. Was für Eindrücke will man, daß der Manu des
Volks heut zu Tage in jenen Theatern erhalte, wo mau nur niedrige und grobe
Paraden spielt; in der Winkelkneipe, der schmutzigen und dunklen Höhle, wo nur


das Volk mit bewunderungswürdiger Vernunft die zur socialen Harmonie note>
wendigen Ungleichheiten hin. Es ist geneigt einfach, ohne Rückhalt und fast wie
eine Naturscene, die Pracht und den Glanz im Leben der Vornehmen zu genießen.
Es hegt leicht Antheil für sie und Mitleid mit ihren Leiden, die es fassen kann,
dem Verluste ihrer Nächsten, ihrer Kinder, der Schätze selbst, auf die man es so
eifersüchtig wähnt. Für wenig dankbar, zeigt es sich denen treu, die es einmal
mitfühlend erkannt.




Die Kirche hatte aus dem Ruhetage den Tag des Herrn gemacht, eine hei¬
lige und erhabene Ideenverbindung, welche der Laienstaat im Geiste des Prole¬
tariers hat zerreißen lassen. Da wo die Arbeit aufhört, beginnt heute zu Tage
die Schwelgerei, und es ist traurig sagen zu müssen, daß die geweihte Muße des
siebenten Tages, statt deu Maun des Volkes zum Gefühl menschlicher Würde zu¬
rückzurufen, ihn durch den Einfluß der ihm gereichte» groben Zerstreuungen und
Schauspiele nur tiefer in das thierische Leben hineindrängt.




„Komm etwas Schönes zu sehen," sagte ich einmal , indem ich ein im Zia-
'wer spielendes Kind an das Fenster rief. „Lebt es?" fragte es, bevor es sein
Spiel ließ. Ein tiefes Wort der Offenbarung! Das Kind und auch das Volk
lieben nur was Leben hat. Wundert euch nicht, wenn eure Predigten, eure
Systeme, alle eure pädagogische Scholastik sie zerstreut, unaufmerksam und fast
verschmähend findet.




Man muß bei der Volkserziehung nicht zu sehr auf Bücher zählen. Der
Arbeiter hat wenig Zeit zum Lesen; überdies ist Gelehrsamkeit nicht seine Sache.
Wenige gutgewählte Bücher werden immer genügen für die Betrachtungen dieser
Geister, welche die That trägt. Wir begehen einen großen Fehler in der Beur¬
theilung, wenn wir keine andere Erziehungsweise begreifen als die Schulerziehung.
Der Staat ist seinen Kindern eine andere schuldig, und vorzugsweise denen, wel¬
chen die Muße wissenschaftlicher und literarischer Studien nicht gewährt ist. Es
ist die große Erziehung, welche ohne Klassiker und Professoren geschieht, durch
Adel und Würde der Gewohnheiten im öffentlichen Leben. Es ist die Erziehung,
welche das Volk zu Athen und Rom erhielt, durch jenes glückliche Eingehen in
die Künste, dnrch jenen harmonischen Verband von Architektur, Skulptur, Malerei,
Musik und Tanz im Parthenon, den Propyläen, den Thermen, im Forum und
Capitol, der dem Mittelpunkte selbst, in welchem das Volk lebte, eine gebietende
und fast gottesfürchtige Größe verlieh, durch welche der Charakter seiner Sitten
gewissermaßen bestimmt ward. Was für Eindrücke will man, daß der Manu des
Volks heut zu Tage in jenen Theatern erhalte, wo mau nur niedrige und grobe
Paraden spielt; in der Winkelkneipe, der schmutzigen und dunklen Höhle, wo nur


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[0514] das Volk mit bewunderungswürdiger Vernunft die zur socialen Harmonie note> wendigen Ungleichheiten hin. Es ist geneigt einfach, ohne Rückhalt und fast wie eine Naturscene, die Pracht und den Glanz im Leben der Vornehmen zu genießen. Es hegt leicht Antheil für sie und Mitleid mit ihren Leiden, die es fassen kann, dem Verluste ihrer Nächsten, ihrer Kinder, der Schätze selbst, auf die man es so eifersüchtig wähnt. Für wenig dankbar, zeigt es sich denen treu, die es einmal mitfühlend erkannt. Die Kirche hatte aus dem Ruhetage den Tag des Herrn gemacht, eine hei¬ lige und erhabene Ideenverbindung, welche der Laienstaat im Geiste des Prole¬ tariers hat zerreißen lassen. Da wo die Arbeit aufhört, beginnt heute zu Tage die Schwelgerei, und es ist traurig sagen zu müssen, daß die geweihte Muße des siebenten Tages, statt deu Maun des Volkes zum Gefühl menschlicher Würde zu¬ rückzurufen, ihn durch den Einfluß der ihm gereichte» groben Zerstreuungen und Schauspiele nur tiefer in das thierische Leben hineindrängt. „Komm etwas Schönes zu sehen," sagte ich einmal , indem ich ein im Zia- 'wer spielendes Kind an das Fenster rief. „Lebt es?" fragte es, bevor es sein Spiel ließ. Ein tiefes Wort der Offenbarung! Das Kind und auch das Volk lieben nur was Leben hat. Wundert euch nicht, wenn eure Predigten, eure Systeme, alle eure pädagogische Scholastik sie zerstreut, unaufmerksam und fast verschmähend findet. Man muß bei der Volkserziehung nicht zu sehr auf Bücher zählen. Der Arbeiter hat wenig Zeit zum Lesen; überdies ist Gelehrsamkeit nicht seine Sache. Wenige gutgewählte Bücher werden immer genügen für die Betrachtungen dieser Geister, welche die That trägt. Wir begehen einen großen Fehler in der Beur¬ theilung, wenn wir keine andere Erziehungsweise begreifen als die Schulerziehung. Der Staat ist seinen Kindern eine andere schuldig, und vorzugsweise denen, wel¬ chen die Muße wissenschaftlicher und literarischer Studien nicht gewährt ist. Es ist die große Erziehung, welche ohne Klassiker und Professoren geschieht, durch Adel und Würde der Gewohnheiten im öffentlichen Leben. Es ist die Erziehung, welche das Volk zu Athen und Rom erhielt, durch jenes glückliche Eingehen in die Künste, dnrch jenen harmonischen Verband von Architektur, Skulptur, Malerei, Musik und Tanz im Parthenon, den Propyläen, den Thermen, im Forum und Capitol, der dem Mittelpunkte selbst, in welchem das Volk lebte, eine gebietende und fast gottesfürchtige Größe verlieh, durch welche der Charakter seiner Sitten gewissermaßen bestimmt ward. Was für Eindrücke will man, daß der Manu des Volks heut zu Tage in jenen Theatern erhalte, wo mau nur niedrige und grobe Paraden spielt; in der Winkelkneipe, der schmutzigen und dunklen Höhle, wo nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/514>, abgerufen am 17.06.2024.