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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Neutralität, in einen Zwitterzustand, den selbst gewiegte Staatsmänner kaum zu
deuten wissen werden und der nach dänischen Sympathien schmeckt, die man in
Wahrheit aber nicht hegt. Die jetzigen, mit unumschränkter Gewalt bekleideten
Minister, namentlich Orla Lehmann, von Abstammung ein Holsteiner, sind die
Träger der Unionsidec, was Jeder, außer dem Könige selbst, in Dänemark weiß.
Diesem Fürsten scheint indeß doch eine Ahnung von dem aufgegangen zu sein,
was man mit ihm selbst und mit Dänemark beabsichtigt, da er plötzlich, aus ei¬
gener Machtvollkommenheit, den Befehl erließ: "keine schwedische und nor¬
wegische Freiwillige mehr in die dänische Armee aufzunehmen."
Dieses Spiel durchschauert, hält Rußland sich auch vom Kampfe fern, da die
skandinavische Union, wenn sie in's Leben träte, unfehlbar den Verlust Finnlands
nach sich ziehen würde: es spart also seine Kräfte, um diese ihm bedrohliche
Vereinigung sicherer verhindern zu können.

Wenden wir uns von dieser Rundschau im Norden zu den Verhältnissen und
Zuständen Hamburgs, das eben dadurch eine so große politische Wichtigkeit besitzt,
daß es als Welt- und Handelsstadt ohne Nebenbuhlerin im gesammten Vater¬
lande dasteht.

Daß in Hamburg die Reaction kühner, als irgend sonst wo in Deutschland,
das Haupt erhebt, haben wir schon angedeutet, und daß diese, sofern uns nicht
von Frankfurt Hilfe und Segen kommt, den Sieg vapor tragen wird, ist eine
ausgemachte Sache. Ist doch selbst ein l)r. Baumeister, el" Fr. Stammann,
so gänzlich entmuthigt, daß l)r. Baumeister in der sogenannten Reform-Deputa¬
tion in deren 15. Sitzung darauf antrug, das Verfafsungöwerk einstweilen ruhen
zu lassen, er, der doch sonst nicht der Mann ist, vor Hindernissen zurückzubeben,
und auch die wenigen ihm Gleichgesinnten sind als muthig und unverdrossen be¬
kannt. In welchem Grade diese wackern, gestunungSvvllen Männer unerschrocken
das sich vorgesteckte Ziel verfolgen, zeigte Fr. Stammann in der schon ange¬
zogenen 15. Sitzung der Rath- und Bürgerdeputation, wo er drei unserer Se¬
natoren wegen gröblicher Pflichtverletzung anklagte, sie, bis nach ausgemachter
Sache, von ihrem Amte suspendirt und eventualiter bestraft sehen wollte. Man
wird sich den Schrecken der ihrem größten Theile nach servilen Anwesenden bei
diesem Antrage des kühnen Mannes denken können, zumal die Unrechtsertigkeit
der angeklagten Senatsmitglieder am Tage lag. Es mußte indeß Etwas gethan
werden, um den Sturm zu beschwören und man griff zu dem Auswege, die Ver^
Sammlung für incompetent zur Beurtheilung dieser Augelegeicheit zu erklären. Das
hatte der Antragsteller, der seine Leute kannte, gewiß erwartet; aber trotz dem
sah er sich durch die Frechheit des Vorschlags einiger Mitglieder überrascht, der
dahin ging, die Anklage nicht mit in das Protokoll aufnehmen und somit nicht
mit drucken lassen zu wollen. Das ging aber nicht durch, und so sind diese sau¬
bern Sachen, zum großen Schmerze der zunächst Betheiligten nicht nur, sondern


Neutralität, in einen Zwitterzustand, den selbst gewiegte Staatsmänner kaum zu
deuten wissen werden und der nach dänischen Sympathien schmeckt, die man in
Wahrheit aber nicht hegt. Die jetzigen, mit unumschränkter Gewalt bekleideten
Minister, namentlich Orla Lehmann, von Abstammung ein Holsteiner, sind die
Träger der Unionsidec, was Jeder, außer dem Könige selbst, in Dänemark weiß.
Diesem Fürsten scheint indeß doch eine Ahnung von dem aufgegangen zu sein,
was man mit ihm selbst und mit Dänemark beabsichtigt, da er plötzlich, aus ei¬
gener Machtvollkommenheit, den Befehl erließ: „keine schwedische und nor¬
wegische Freiwillige mehr in die dänische Armee aufzunehmen."
Dieses Spiel durchschauert, hält Rußland sich auch vom Kampfe fern, da die
skandinavische Union, wenn sie in's Leben träte, unfehlbar den Verlust Finnlands
nach sich ziehen würde: es spart also seine Kräfte, um diese ihm bedrohliche
Vereinigung sicherer verhindern zu können.

Wenden wir uns von dieser Rundschau im Norden zu den Verhältnissen und
Zuständen Hamburgs, das eben dadurch eine so große politische Wichtigkeit besitzt,
daß es als Welt- und Handelsstadt ohne Nebenbuhlerin im gesammten Vater¬
lande dasteht.

Daß in Hamburg die Reaction kühner, als irgend sonst wo in Deutschland,
das Haupt erhebt, haben wir schon angedeutet, und daß diese, sofern uns nicht
von Frankfurt Hilfe und Segen kommt, den Sieg vapor tragen wird, ist eine
ausgemachte Sache. Ist doch selbst ein l)r. Baumeister, el» Fr. Stammann,
so gänzlich entmuthigt, daß l)r. Baumeister in der sogenannten Reform-Deputa¬
tion in deren 15. Sitzung darauf antrug, das Verfafsungöwerk einstweilen ruhen
zu lassen, er, der doch sonst nicht der Mann ist, vor Hindernissen zurückzubeben,
und auch die wenigen ihm Gleichgesinnten sind als muthig und unverdrossen be¬
kannt. In welchem Grade diese wackern, gestunungSvvllen Männer unerschrocken
das sich vorgesteckte Ziel verfolgen, zeigte Fr. Stammann in der schon ange¬
zogenen 15. Sitzung der Rath- und Bürgerdeputation, wo er drei unserer Se¬
natoren wegen gröblicher Pflichtverletzung anklagte, sie, bis nach ausgemachter
Sache, von ihrem Amte suspendirt und eventualiter bestraft sehen wollte. Man
wird sich den Schrecken der ihrem größten Theile nach servilen Anwesenden bei
diesem Antrage des kühnen Mannes denken können, zumal die Unrechtsertigkeit
der angeklagten Senatsmitglieder am Tage lag. Es mußte indeß Etwas gethan
werden, um den Sturm zu beschwören und man griff zu dem Auswege, die Ver^
Sammlung für incompetent zur Beurtheilung dieser Augelegeicheit zu erklären. Das
hatte der Antragsteller, der seine Leute kannte, gewiß erwartet; aber trotz dem
sah er sich durch die Frechheit des Vorschlags einiger Mitglieder überrascht, der
dahin ging, die Anklage nicht mit in das Protokoll aufnehmen und somit nicht
mit drucken lassen zu wollen. Das ging aber nicht durch, und so sind diese sau¬
bern Sachen, zum großen Schmerze der zunächst Betheiligten nicht nur, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/520>, abgerufen am 17.06.2024.