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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Aus dem Tagebuch eines Freiwilligen
im Ranzau'schen Freicorps.



"Die Zeiten von 1813 kehren wieder" sagte mir heute Freude strahlend ein
alter Kämpfer aus den Freiheitskriegen, als er dies begeisterte kriegerische Leben
sah. Wer diese Stadt früher gekannt hat, erkennt sie kaum wieder. Ueberall ist
ein solcher Zusammenfluß von Menschen, eine geschäftige Thätigkeit für die Kriegs¬
rüstungen jeglicher Art; hier equipirt sich die eingekommene Mannschaft eines
Bataillons auf offener Straße, wo alle Requisiten aufgestapelt liegen, dort wer¬
den die Packwagen ausgerüstet, um den bereits ausgerückten Truppen nachgesen¬
det zu werden, dann werden überall Kanonen durch die Straßen transportirt,
um die Festung zu armiren. An den öffentlichen Orten findet man eine Menge
der verschiedensten Leute, die mit Lebhaftigkeit die Tagesfragen debattiren und
man kaun hier zu gewissen Zeiten des Tages Alles finden, was das Land irgend
an Notabilitäten aufzuweisen hat, da Alle Hieher geeilt sind, um ihre Dienste
dem Vaterlande anzubieten.

Heute rückte das erste Freicorps 400 Mann stark aus nach Normen. Das
zweite Freicorps, in das ich eingetreten bin, vermehrt sich stark; gestern nur
noch :;y Mann stark, ist es heute schon bis auf300 gestiegen und wird, sobald
es erst 500 Mann hat, gleich ebenfalls ausrücken, vielleicht schon übermorgen.
Bei der Organisation stellt sich ein großer Mißstand durch den gänzlichen Mangel
an gedienten Offizieren heraus, da von den regulären Truppen uns keine abge¬
geben werden können. Denn die meisten früheren Offiziere der Schleswig - holstei¬
nischen Bataillone waren entweder geborne Dänen oder schon im Kadetten¬
hause so mit Dänenthum inficirt, daß sie sich jetzt von diesem nicht lossagen
konnten, sondern Flucht oder Gefangenschaft dem Kampfe für die Sache ihres
Volks vorzogen. So ist es gekommen, daß z. B. das eine starke Kavalle¬
rieregiment von den drei jüngsten Lieutenants hergeführt wurde, ganze Batterien
Artillerie ohne Offiziere unter Kommando eines Oberfeuerwerkers ausgezogen sind.
Wenn uns da Deutschland nicht bald mit geübten Offizieren zu Hilfe kommt, er¬
warte ich für den ersten Zusammenstoß mit dem Feinde nicht viel Gutes, nament¬
lich da die Disciplin der Truppen, deren bei weitem größere Zahl seit Jahren
nicht mehr unter der Fahne war, nicht sehr lobenswert!) scheint. Wenn ich frü¬
her eifrig einstimmte bei dem Rufe nach Volksbewaffnung mit Selbstwahl der


Srenjboten. III. izz^ 14
Aus dem Tagebuch eines Freiwilligen
im Ranzau'schen Freicorps.



„Die Zeiten von 1813 kehren wieder" sagte mir heute Freude strahlend ein
alter Kämpfer aus den Freiheitskriegen, als er dies begeisterte kriegerische Leben
sah. Wer diese Stadt früher gekannt hat, erkennt sie kaum wieder. Ueberall ist
ein solcher Zusammenfluß von Menschen, eine geschäftige Thätigkeit für die Kriegs¬
rüstungen jeglicher Art; hier equipirt sich die eingekommene Mannschaft eines
Bataillons auf offener Straße, wo alle Requisiten aufgestapelt liegen, dort wer¬
den die Packwagen ausgerüstet, um den bereits ausgerückten Truppen nachgesen¬
det zu werden, dann werden überall Kanonen durch die Straßen transportirt,
um die Festung zu armiren. An den öffentlichen Orten findet man eine Menge
der verschiedensten Leute, die mit Lebhaftigkeit die Tagesfragen debattiren und
man kaun hier zu gewissen Zeiten des Tages Alles finden, was das Land irgend
an Notabilitäten aufzuweisen hat, da Alle Hieher geeilt sind, um ihre Dienste
dem Vaterlande anzubieten.

Heute rückte das erste Freicorps 400 Mann stark aus nach Normen. Das
zweite Freicorps, in das ich eingetreten bin, vermehrt sich stark; gestern nur
noch :;y Mann stark, ist es heute schon bis auf300 gestiegen und wird, sobald
es erst 500 Mann hat, gleich ebenfalls ausrücken, vielleicht schon übermorgen.
Bei der Organisation stellt sich ein großer Mißstand durch den gänzlichen Mangel
an gedienten Offizieren heraus, da von den regulären Truppen uns keine abge¬
geben werden können. Denn die meisten früheren Offiziere der Schleswig - holstei¬
nischen Bataillone waren entweder geborne Dänen oder schon im Kadetten¬
hause so mit Dänenthum inficirt, daß sie sich jetzt von diesem nicht lossagen
konnten, sondern Flucht oder Gefangenschaft dem Kampfe für die Sache ihres
Volks vorzogen. So ist es gekommen, daß z. B. das eine starke Kavalle¬
rieregiment von den drei jüngsten Lieutenants hergeführt wurde, ganze Batterien
Artillerie ohne Offiziere unter Kommando eines Oberfeuerwerkers ausgezogen sind.
Wenn uns da Deutschland nicht bald mit geübten Offizieren zu Hilfe kommt, er¬
warte ich für den ersten Zusammenstoß mit dem Feinde nicht viel Gutes, nament¬
lich da die Disciplin der Truppen, deren bei weitem größere Zahl seit Jahren
nicht mehr unter der Fahne war, nicht sehr lobenswert!) scheint. Wenn ich frü¬
her eifrig einstimmte bei dem Rufe nach Volksbewaffnung mit Selbstwahl der


Srenjboten. III. izz^ 14
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[0109] Aus dem Tagebuch eines Freiwilligen im Ranzau'schen Freicorps. „Die Zeiten von 1813 kehren wieder" sagte mir heute Freude strahlend ein alter Kämpfer aus den Freiheitskriegen, als er dies begeisterte kriegerische Leben sah. Wer diese Stadt früher gekannt hat, erkennt sie kaum wieder. Ueberall ist ein solcher Zusammenfluß von Menschen, eine geschäftige Thätigkeit für die Kriegs¬ rüstungen jeglicher Art; hier equipirt sich die eingekommene Mannschaft eines Bataillons auf offener Straße, wo alle Requisiten aufgestapelt liegen, dort wer¬ den die Packwagen ausgerüstet, um den bereits ausgerückten Truppen nachgesen¬ det zu werden, dann werden überall Kanonen durch die Straßen transportirt, um die Festung zu armiren. An den öffentlichen Orten findet man eine Menge der verschiedensten Leute, die mit Lebhaftigkeit die Tagesfragen debattiren und man kaun hier zu gewissen Zeiten des Tages Alles finden, was das Land irgend an Notabilitäten aufzuweisen hat, da Alle Hieher geeilt sind, um ihre Dienste dem Vaterlande anzubieten. Heute rückte das erste Freicorps 400 Mann stark aus nach Normen. Das zweite Freicorps, in das ich eingetreten bin, vermehrt sich stark; gestern nur noch :;y Mann stark, ist es heute schon bis auf300 gestiegen und wird, sobald es erst 500 Mann hat, gleich ebenfalls ausrücken, vielleicht schon übermorgen. Bei der Organisation stellt sich ein großer Mißstand durch den gänzlichen Mangel an gedienten Offizieren heraus, da von den regulären Truppen uns keine abge¬ geben werden können. Denn die meisten früheren Offiziere der Schleswig - holstei¬ nischen Bataillone waren entweder geborne Dänen oder schon im Kadetten¬ hause so mit Dänenthum inficirt, daß sie sich jetzt von diesem nicht lossagen konnten, sondern Flucht oder Gefangenschaft dem Kampfe für die Sache ihres Volks vorzogen. So ist es gekommen, daß z. B. das eine starke Kavalle¬ rieregiment von den drei jüngsten Lieutenants hergeführt wurde, ganze Batterien Artillerie ohne Offiziere unter Kommando eines Oberfeuerwerkers ausgezogen sind. Wenn uns da Deutschland nicht bald mit geübten Offizieren zu Hilfe kommt, er¬ warte ich für den ersten Zusammenstoß mit dem Feinde nicht viel Gutes, nament¬ lich da die Disciplin der Truppen, deren bei weitem größere Zahl seit Jahren nicht mehr unter der Fahne war, nicht sehr lobenswert!) scheint. Wenn ich frü¬ her eifrig einstimmte bei dem Rufe nach Volksbewaffnung mit Selbstwahl der Srenjboten. III. izz^ 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/109>, abgerufen am 16.06.2024.