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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Offiziere und Aufhebung der stehenden Heere, so haben mich diese Tage gänzlich
umgestimmt. In dem Freiwilligenbürean stehen Advokaten, Beamte und prakti¬
sche Geschäftsleute von anerkannter Tüchtigkeit an der Spitze und ebenso in un¬
serm Corps und in den einzelnen Compagnien, und doch stockt manches bei der
allerdings schwierigen Organisation, da es den Leuten an allem militärischen Ueber-
blick fehlt. Wie es erst im Felde werden soll, wo doch durchaus militärische
Kenntnisse nöthig sind und die bloße Begeisterung nicht hinreicht, sehe ich nicht
ein, und ich fürchte Schlimmes, wenn solchen Leuten das Leben von Hunderten
in die Hände gegeben ist. Auch der herrschende Geist meiner Kameraden läßt
manches zu wünsch?" übrig, indem das C'rerciren, und Alles was dazu gehört,
nicht mit dem gehörigen Ernste betrieben wird, zum Theil aus Achtlosigkeit, zum
Theil aber, da man noch nicht recht an den wirklichen Kampf glaubt, sondern
noch immer die Beilegung desselben dnrch Unterhandlungen fürchtet, resp, hofft,
und überdies den Ernst des Krieges verkennt, indem man mit den Dänen bald
fertig sein werde, da ja ganz Deutschland hinter uns steht. Darum denkt auch
jeder Einzelne nur an den Sieg, und zwar an schnellen Sieg, nicht an die langen
ermüdenden Strapazen, nicht an möglichen Tod oder Verstümmelung. Das nimmt
denn anch dem ganzen Kampf die Poesie des Freiheitskrieges von 1813, wo jeder
wußte, wie zweifelhaft der Kampf war. Die Zeit ist poetischen Erzeugnissen nicht
günstig, wie ja auch kein Lied entstanden ist, was das Volk bei seinen Kämpfen
begeistert hätte und die allgemeine Freiheitslosung gewesen wäre, und auch hier
muß das alte "Schleswig-Holstein stammverwandt" der Ausdruck für alle singende
BegcisterAig sein, nur daß die Volkspoesie die neue Version erfand:

Gestern Nachmittag sind wir über 500 Mann stark aus Rendsburg abmar-
sckirt, nachdem wir in vier Tagen uns gesammelt, organisirt und armirt hatten.
Eine bunte Schaar, da von Unifvrmirung in dieser kurzen Zeit uicht die Rede
sein konnte, und jeder fvrtmarschirte, wie er gerade ging und stand. Ueberhaupt
wird es wohl unser Hauptverdienst sein, daß wir den ersten feindlichen Anlauf
abhalten und so zu weitern Rüstungen Zeit verschaffen, und deßhalb können wir
uns mit Ueberflüssigkeiten nicht aushalten. Unsere Schaar ist denn eine bunt zu¬
sammengewürfelte aus allen Ständen, wenn auch fast durchgehends Schleswig-
Holsteiner. Advokat und Student stehen neben dem Schuster und Schneider und
es herrscht dabei durchaus ein kameradschaftliches Verhältniß. Die gebildeteren
Elemente haben sich freilich in einzelnen Compagnien mehr zusammengefunden,
aber dennoch ist dadurch keinerlei Art Aristokratie entstanden. Der erste Marsch
gestern war schon sehr ermüdend und dauerte bis spät in die Nacht, so daß
wohl mancher schon etwas Abkühlung seines Muthes und eine Ahnung künftiger


Offiziere und Aufhebung der stehenden Heere, so haben mich diese Tage gänzlich
umgestimmt. In dem Freiwilligenbürean stehen Advokaten, Beamte und prakti¬
sche Geschäftsleute von anerkannter Tüchtigkeit an der Spitze und ebenso in un¬
serm Corps und in den einzelnen Compagnien, und doch stockt manches bei der
allerdings schwierigen Organisation, da es den Leuten an allem militärischen Ueber-
blick fehlt. Wie es erst im Felde werden soll, wo doch durchaus militärische
Kenntnisse nöthig sind und die bloße Begeisterung nicht hinreicht, sehe ich nicht
ein, und ich fürchte Schlimmes, wenn solchen Leuten das Leben von Hunderten
in die Hände gegeben ist. Auch der herrschende Geist meiner Kameraden läßt
manches zu wünsch?» übrig, indem das C'rerciren, und Alles was dazu gehört,
nicht mit dem gehörigen Ernste betrieben wird, zum Theil aus Achtlosigkeit, zum
Theil aber, da man noch nicht recht an den wirklichen Kampf glaubt, sondern
noch immer die Beilegung desselben dnrch Unterhandlungen fürchtet, resp, hofft,
und überdies den Ernst des Krieges verkennt, indem man mit den Dänen bald
fertig sein werde, da ja ganz Deutschland hinter uns steht. Darum denkt auch
jeder Einzelne nur an den Sieg, und zwar an schnellen Sieg, nicht an die langen
ermüdenden Strapazen, nicht an möglichen Tod oder Verstümmelung. Das nimmt
denn anch dem ganzen Kampf die Poesie des Freiheitskrieges von 1813, wo jeder
wußte, wie zweifelhaft der Kampf war. Die Zeit ist poetischen Erzeugnissen nicht
günstig, wie ja auch kein Lied entstanden ist, was das Volk bei seinen Kämpfen
begeistert hätte und die allgemeine Freiheitslosung gewesen wäre, und auch hier
muß das alte „Schleswig-Holstein stammverwandt" der Ausdruck für alle singende
BegcisterAig sein, nur daß die Volkspoesie die neue Version erfand:

Gestern Nachmittag sind wir über 500 Mann stark aus Rendsburg abmar-
sckirt, nachdem wir in vier Tagen uns gesammelt, organisirt und armirt hatten.
Eine bunte Schaar, da von Unifvrmirung in dieser kurzen Zeit uicht die Rede
sein konnte, und jeder fvrtmarschirte, wie er gerade ging und stand. Ueberhaupt
wird es wohl unser Hauptverdienst sein, daß wir den ersten feindlichen Anlauf
abhalten und so zu weitern Rüstungen Zeit verschaffen, und deßhalb können wir
uns mit Ueberflüssigkeiten nicht aushalten. Unsere Schaar ist denn eine bunt zu¬
sammengewürfelte aus allen Ständen, wenn auch fast durchgehends Schleswig-
Holsteiner. Advokat und Student stehen neben dem Schuster und Schneider und
es herrscht dabei durchaus ein kameradschaftliches Verhältniß. Die gebildeteren
Elemente haben sich freilich in einzelnen Compagnien mehr zusammengefunden,
aber dennoch ist dadurch keinerlei Art Aristokratie entstanden. Der erste Marsch
gestern war schon sehr ermüdend und dauerte bis spät in die Nacht, so daß
wohl mancher schon etwas Abkühlung seines Muthes und eine Ahnung künftiger


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[0110] Offiziere und Aufhebung der stehenden Heere, so haben mich diese Tage gänzlich umgestimmt. In dem Freiwilligenbürean stehen Advokaten, Beamte und prakti¬ sche Geschäftsleute von anerkannter Tüchtigkeit an der Spitze und ebenso in un¬ serm Corps und in den einzelnen Compagnien, und doch stockt manches bei der allerdings schwierigen Organisation, da es den Leuten an allem militärischen Ueber- blick fehlt. Wie es erst im Felde werden soll, wo doch durchaus militärische Kenntnisse nöthig sind und die bloße Begeisterung nicht hinreicht, sehe ich nicht ein, und ich fürchte Schlimmes, wenn solchen Leuten das Leben von Hunderten in die Hände gegeben ist. Auch der herrschende Geist meiner Kameraden läßt manches zu wünsch?» übrig, indem das C'rerciren, und Alles was dazu gehört, nicht mit dem gehörigen Ernste betrieben wird, zum Theil aus Achtlosigkeit, zum Theil aber, da man noch nicht recht an den wirklichen Kampf glaubt, sondern noch immer die Beilegung desselben dnrch Unterhandlungen fürchtet, resp, hofft, und überdies den Ernst des Krieges verkennt, indem man mit den Dänen bald fertig sein werde, da ja ganz Deutschland hinter uns steht. Darum denkt auch jeder Einzelne nur an den Sieg, und zwar an schnellen Sieg, nicht an die langen ermüdenden Strapazen, nicht an möglichen Tod oder Verstümmelung. Das nimmt denn anch dem ganzen Kampf die Poesie des Freiheitskrieges von 1813, wo jeder wußte, wie zweifelhaft der Kampf war. Die Zeit ist poetischen Erzeugnissen nicht günstig, wie ja auch kein Lied entstanden ist, was das Volk bei seinen Kämpfen begeistert hätte und die allgemeine Freiheitslosung gewesen wäre, und auch hier muß das alte „Schleswig-Holstein stammverwandt" der Ausdruck für alle singende BegcisterAig sein, nur daß die Volkspoesie die neue Version erfand: Gestern Nachmittag sind wir über 500 Mann stark aus Rendsburg abmar- sckirt, nachdem wir in vier Tagen uns gesammelt, organisirt und armirt hatten. Eine bunte Schaar, da von Unifvrmirung in dieser kurzen Zeit uicht die Rede sein konnte, und jeder fvrtmarschirte, wie er gerade ging und stand. Ueberhaupt wird es wohl unser Hauptverdienst sein, daß wir den ersten feindlichen Anlauf abhalten und so zu weitern Rüstungen Zeit verschaffen, und deßhalb können wir uns mit Ueberflüssigkeiten nicht aushalten. Unsere Schaar ist denn eine bunt zu¬ sammengewürfelte aus allen Ständen, wenn auch fast durchgehends Schleswig- Holsteiner. Advokat und Student stehen neben dem Schuster und Schneider und es herrscht dabei durchaus ein kameradschaftliches Verhältniß. Die gebildeteren Elemente haben sich freilich in einzelnen Compagnien mehr zusammengefunden, aber dennoch ist dadurch keinerlei Art Aristokratie entstanden. Der erste Marsch gestern war schon sehr ermüdend und dauerte bis spät in die Nacht, so daß wohl mancher schon etwas Abkühlung seines Muthes und eine Ahnung künftiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/110>, abgerufen am 16.06.2024.