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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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wo Fnhrmannswagen unordentlich durch einander standen; aus der Schwelle saßen
ein paar Bettlerinnen, die abwechselnd ihre Kupferkreuzer und die schmutzigen Per¬
len ihres Rosenkranzes zählten. Mit einem "Panncitschkn" (Herrchen) streckten sie
mechanisch die Hand' nach uns aus. Ein scharfer Branntweingeruch drang uns
entgegen, als wir in die Stube traten, wo ein amazoncnhaftes pausbäckiges
Mädchen hinter einem Holzgitter am Schenktisch stand und ein Gläschen perlenden
Kartoffelgeist nach dem andern vollgoß. Fuhrknechte, Bauern und Tagelöhner
gingen ab und zu und tranken im Stehen, rasch, mit den Lippen schmatzend und
mit der Neige regelmäßig sich die schwieligen Hände waschend; .zu welchem Zweck
sie manchmal auch das kostbare Naß auffingen, welches vom Schenktisch herunter-
sickerte. Hinter dem großen braunglänzenden Kachelofen lehnte eine Harfe; auf
einer Bank oder vielmehr einem niedrigen Schrank, der in der Nacht geöffnet
als Bettstelle diente, saßen an einem der drei langen Tische sieben bis acht Draht¬
binder in einer Reihe -- gelinde berauscht, und stießen, nicht wie andere Zecher
mit den Gläsern, sondern mit den Köpfen an, was sie aber ziemlich leise und
bedächtig, mit einer Art Zärtlichkeit, thaten. Sie wiegten sich dabei, ohne weitere
Gesticulation, bin und her und sangen ein höchst melancholisches eintöniges "Lied
ohne Worte"; es war, wie zuweilen in der Oper, kein articulirter Laut zu ver¬
nehmen, als:


Dat-da, bat-da, bat-da, bat-'oaah!

Diese armen nvrdungarischen Slowaken verlaufen sich manchmal weit außer¬
halb Oestreichs bis über den Rhein und den Canal, ohne Zweck und Ziel, als
wollten sie blos einen angebornen Wandertrieb befriedigen; sie schlafen Hinteren
Zaun, wenn's hoch kommt, in Stall und Scheune, leben von einer Brotrinde und
schwelgen in Feuerwasser, wenn sie einen Fund gemacht haben. Eine gewisse
Schwermuth liegt auf den dunklen Physiognomien und in den Bewegungen dieser
schlanken Nomaden, aber ihre Genügsamkeit und ihre Melancholie sind Kinder
der Noth und der Trägheit.

Beim Schein einer Pfennigkerze, die zum Pfcifenanzünden und wohl auch
Beleuchtung deö dämmrigen Hinter- und Herrenstnbchens, in das mich jetzt
Hvlwcg voranSschob, auf dem runden Tische stand, saß endlich die czechische Ka-
weradsclM gemüthlich beisammen. Ich wurde als gut Freund, Landsmann und
feuriger Patriot angekündigt, die Herren standen sämmtlich ans, mir die Hand zu
^"ken, von zwei unbekannten Schnurrbärtigen mußte ich mich sogar ohne Weiteres
^uf beide Wangen küssen lassen; ein kleiner pockennarbiger Geselle, der nach uns
zog einige Flaschen Melniker unter dem Rocke hervor, woraus die Biergläser
weggeräumt wurden und die Unterhaltung bald im besten Gange war. Viala,
ne'en dem ich die Ehre zu sitzen hatte, entsprach nicht ganz meiner Vorstellung;
das blaß aufgedunsene Vollmondgesicht und die großen wässrigen Augen, mit einem
Ausdruck ganz gewöhnlicher Gutmüthigkeit, erinnerten mich zu sehr an einen ehe-


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wo Fnhrmannswagen unordentlich durch einander standen; aus der Schwelle saßen
ein paar Bettlerinnen, die abwechselnd ihre Kupferkreuzer und die schmutzigen Per¬
len ihres Rosenkranzes zählten. Mit einem „Panncitschkn" (Herrchen) streckten sie
mechanisch die Hand' nach uns aus. Ein scharfer Branntweingeruch drang uns
entgegen, als wir in die Stube traten, wo ein amazoncnhaftes pausbäckiges
Mädchen hinter einem Holzgitter am Schenktisch stand und ein Gläschen perlenden
Kartoffelgeist nach dem andern vollgoß. Fuhrknechte, Bauern und Tagelöhner
gingen ab und zu und tranken im Stehen, rasch, mit den Lippen schmatzend und
mit der Neige regelmäßig sich die schwieligen Hände waschend; .zu welchem Zweck
sie manchmal auch das kostbare Naß auffingen, welches vom Schenktisch herunter-
sickerte. Hinter dem großen braunglänzenden Kachelofen lehnte eine Harfe; auf
einer Bank oder vielmehr einem niedrigen Schrank, der in der Nacht geöffnet
als Bettstelle diente, saßen an einem der drei langen Tische sieben bis acht Draht¬
binder in einer Reihe — gelinde berauscht, und stießen, nicht wie andere Zecher
mit den Gläsern, sondern mit den Köpfen an, was sie aber ziemlich leise und
bedächtig, mit einer Art Zärtlichkeit, thaten. Sie wiegten sich dabei, ohne weitere
Gesticulation, bin und her und sangen ein höchst melancholisches eintöniges „Lied
ohne Worte"; es war, wie zuweilen in der Oper, kein articulirter Laut zu ver¬
nehmen, als:


Dat-da, bat-da, bat-da, bat-'oaah!

Diese armen nvrdungarischen Slowaken verlaufen sich manchmal weit außer¬
halb Oestreichs bis über den Rhein und den Canal, ohne Zweck und Ziel, als
wollten sie blos einen angebornen Wandertrieb befriedigen; sie schlafen Hinteren
Zaun, wenn's hoch kommt, in Stall und Scheune, leben von einer Brotrinde und
schwelgen in Feuerwasser, wenn sie einen Fund gemacht haben. Eine gewisse
Schwermuth liegt auf den dunklen Physiognomien und in den Bewegungen dieser
schlanken Nomaden, aber ihre Genügsamkeit und ihre Melancholie sind Kinder
der Noth und der Trägheit.

Beim Schein einer Pfennigkerze, die zum Pfcifenanzünden und wohl auch
Beleuchtung deö dämmrigen Hinter- und Herrenstnbchens, in das mich jetzt
Hvlwcg voranSschob, auf dem runden Tische stand, saß endlich die czechische Ka-
weradsclM gemüthlich beisammen. Ich wurde als gut Freund, Landsmann und
feuriger Patriot angekündigt, die Herren standen sämmtlich ans, mir die Hand zu
^"ken, von zwei unbekannten Schnurrbärtigen mußte ich mich sogar ohne Weiteres
^uf beide Wangen küssen lassen; ein kleiner pockennarbiger Geselle, der nach uns
zog einige Flaschen Melniker unter dem Rocke hervor, woraus die Biergläser
weggeräumt wurden und die Unterhaltung bald im besten Gange war. Viala,
ne'en dem ich die Ehre zu sitzen hatte, entsprach nicht ganz meiner Vorstellung;
das blaß aufgedunsene Vollmondgesicht und die großen wässrigen Augen, mit einem
Ausdruck ganz gewöhnlicher Gutmüthigkeit, erinnerten mich zu sehr an einen ehe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/127>, abgerufen am 16.06.2024.