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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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maligen Schulgenossen, der als kolossaler Büffler *) auf dem Gymnasium berühmt
war. Die Andern, lauter noch obscure Patrioten, wie ich merkte, interessirten mich
bei Weitem lebhafter; deutsche und czechische Namen wechselten in bunter Reihe
unter den Anwesenden, ohne jedoch, wie das in Böhmen oft vorkommt, einen
Schluß auf die Abstammung zu erlauben. Der blonde Tommitschek verstand we¬
niger slavisch als ich und Gäberle sprach das Deutsche nicht viel besser als ein
Podskaler Arbeiter. Auch ein ältlicher Theologe mit einem rothen Sticrgesicht
streckte seine Himmelscvurierstiefeln lang unter den Tisch und dampfte aus seinem
braunen Meerschaum das Zimmer voll. Am besten gefiel mir ein schwarzhaariges
Bürschchen mit schmalen Lippen und dunklen Blitzangcn; es war ein Violinist,
Namens Wallaschek, und Holweg dichte ihn. Man fragte mich erst viel über
Wien und die Wiener Zustände aus und kam dann, wie natürlich, auf den er¬
wachten böhmischen Geist zu sprechen. Macha, Palacky, Klicpcra, Czclakovsky,
auch dem bescheidenen Viala zu Ehren wurden Gesundheiten über Gesundheiten
ausgebracht. Wir haben Alles, sagte Viala, waS eine Nation braucht, um kein
Licht in der Fremde holen zu müssen. Was sagt ihr zu den Werken Pacholek's?
-- Wer ist Pacholek? fragte ich. -- Ein ausgezeichneter Mann. Ausgezeich¬
net! wiederholte Tommitschek. -- Und Bramboracz? -- Ausgezeichnet, aus¬
gezeichnet ....... -- Und Streyczko? -- Ausgezeichnet........ --
Und Hromak? -- Ausgezeichnet........u, s. w. Tommitschek verfehlte nie
sein Echo anzubringen. -- ,Und mich habt Ihr ganz vergessen, fuhr Wallaschek
humoristisch dazwischen; ihr undankbaren Kerle! Habt Ihr nicht ausgezeichnet
getanzt nach der Melodie meiner neuen Reydowatschka? -- Ja, ja, lachte Klut,
der kleine Pockennarbige; ans Eurer Dachstube und Niemand hat sich lustiger
dazu gedreht wie Panenka Marie mit ihrem Schatz, aber -- Wallaschek hob die
Flasche drohend gegen ihn und Holweg unterhielt sich sehr angelegentlich mit dem
brummigen Geistlichen. -- Herr v. Knpetz, rief der Advokat Gäberle, meinen Namen
czechistrend; es ist nicht schön von Euch, daß Ihr Euer Vaterland verlassen und
vergessen wollt, wie wir von Holweg hören. -- Laßt nur gut sein, erwiederte
Hvlweg statt meiner; ich kann Euch dafür bürgen, daß er zur rechten Zeit wie¬
derkommt, sein Herz ist böhmischer als seine Zunge. Und erlaubt mir eine Be¬
merkung. Niemand liebt und bewundert den Geist der slavischen Sprache und
Poesie leidenschaftlicher als ich, aber es wäre kindisch, Alles von diesen geistigen
Siegen unseres Volkes allein zu hoffen. -- Gewiß, unterbrach ihn Viala; unser
Frühling wird nicht eher sprießen, als bis alle slavischen Volker eine gemeinsame
Schriftsprache besitzen; welche Nation auf Erden will uns dann überstrahlen? --
Guter Viala, entgegnete Holweg; das ist erstens eine Arbeit von hundert Jahren



") "Büffeln" bedeutet in Oestreich dasselbe, was man in der norddeutschen Studenten¬
sprache "ochsen" nennt.

maligen Schulgenossen, der als kolossaler Büffler *) auf dem Gymnasium berühmt
war. Die Andern, lauter noch obscure Patrioten, wie ich merkte, interessirten mich
bei Weitem lebhafter; deutsche und czechische Namen wechselten in bunter Reihe
unter den Anwesenden, ohne jedoch, wie das in Böhmen oft vorkommt, einen
Schluß auf die Abstammung zu erlauben. Der blonde Tommitschek verstand we¬
niger slavisch als ich und Gäberle sprach das Deutsche nicht viel besser als ein
Podskaler Arbeiter. Auch ein ältlicher Theologe mit einem rothen Sticrgesicht
streckte seine Himmelscvurierstiefeln lang unter den Tisch und dampfte aus seinem
braunen Meerschaum das Zimmer voll. Am besten gefiel mir ein schwarzhaariges
Bürschchen mit schmalen Lippen und dunklen Blitzangcn; es war ein Violinist,
Namens Wallaschek, und Holweg dichte ihn. Man fragte mich erst viel über
Wien und die Wiener Zustände aus und kam dann, wie natürlich, auf den er¬
wachten böhmischen Geist zu sprechen. Macha, Palacky, Klicpcra, Czclakovsky,
auch dem bescheidenen Viala zu Ehren wurden Gesundheiten über Gesundheiten
ausgebracht. Wir haben Alles, sagte Viala, waS eine Nation braucht, um kein
Licht in der Fremde holen zu müssen. Was sagt ihr zu den Werken Pacholek's?
— Wer ist Pacholek? fragte ich. — Ein ausgezeichneter Mann. Ausgezeich¬
net! wiederholte Tommitschek. — Und Bramboracz? — Ausgezeichnet, aus¬
gezeichnet ....... — Und Streyczko? — Ausgezeichnet........ —
Und Hromak? — Ausgezeichnet........u, s. w. Tommitschek verfehlte nie
sein Echo anzubringen. — ,Und mich habt Ihr ganz vergessen, fuhr Wallaschek
humoristisch dazwischen; ihr undankbaren Kerle! Habt Ihr nicht ausgezeichnet
getanzt nach der Melodie meiner neuen Reydowatschka? — Ja, ja, lachte Klut,
der kleine Pockennarbige; ans Eurer Dachstube und Niemand hat sich lustiger
dazu gedreht wie Panenka Marie mit ihrem Schatz, aber — Wallaschek hob die
Flasche drohend gegen ihn und Holweg unterhielt sich sehr angelegentlich mit dem
brummigen Geistlichen. — Herr v. Knpetz, rief der Advokat Gäberle, meinen Namen
czechistrend; es ist nicht schön von Euch, daß Ihr Euer Vaterland verlassen und
vergessen wollt, wie wir von Holweg hören. — Laßt nur gut sein, erwiederte
Hvlweg statt meiner; ich kann Euch dafür bürgen, daß er zur rechten Zeit wie¬
derkommt, sein Herz ist böhmischer als seine Zunge. Und erlaubt mir eine Be¬
merkung. Niemand liebt und bewundert den Geist der slavischen Sprache und
Poesie leidenschaftlicher als ich, aber es wäre kindisch, Alles von diesen geistigen
Siegen unseres Volkes allein zu hoffen. — Gewiß, unterbrach ihn Viala; unser
Frühling wird nicht eher sprießen, als bis alle slavischen Volker eine gemeinsame
Schriftsprache besitzen; welche Nation auf Erden will uns dann überstrahlen? —
Guter Viala, entgegnete Holweg; das ist erstens eine Arbeit von hundert Jahren



") „Büffeln" bedeutet in Oestreich dasselbe, was man in der norddeutschen Studenten¬
sprache „ochsen" nennt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/128>, abgerufen am 16.06.2024.