Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Njemtzi plapperte, hat seine gewisse Richtigkeit. -- Die Gesellschaft wurde still und
gespannt. -- Sehen Sie, fuhr er, mit dem Glas spielend, fort, das Volk hat
ein wunderbar langes Gedächtniß für manche Dinge, wenn es sie auch nicht er¬
lebt noch aus Chroniken kennen gelernt hat. So lebt im Volke noch die Tra-
dition, daß alles Unglück Böhmens von den Deutschen herrührt, und es hat Recht,
setzte er mit starker Stimme hinzu. Die Deutsche" haben unsere Reformation mit
Feuer und Schwert unterdrückt, -- sehen Sie mich nicht so an, weil ich die Ba'sf-
chen trage, denn ich arbeite, wo ich kann, gegen die Jesuiten, heute ist halb
Deutschland selbst zu der Lehre von Huß bekehrt. Aber die Religion war nur
ein Vorwand für die fremde Unterdrückungssncht und an einem Vorwand fehlt
es zu keiner Zeit. Wer hat in unseren Tagen Polen zerrissen? Drei deutsche Adler,
denn auch der russische Selbstherrscher hat das deutsche Geblüt in den Adern und
die deutsche Sophistik im Kopfe. . . Lassen Sie mich ausreden, -- indem er mit
der Hand eine abwehrende Bewegung machte -- ich weiß was Sie sagen wollen,
die deutschen Völker leiden unter demselben Joch. Sie werden es abschütteln,
vielleicht auch nicht. Was geht das uns an? Aber es gibt überall Ausnahmen
und besonders in Deutschland; was ich sage, soll ja auch nur den instinktmä¬
ßiger Haß des Volkes entschuldigen und gilt am allerwenigsten von unserm lieben
Holweg und seinen gleichgesinnten Freunden. Da stand Holweg auf und hielt eine
begeisterte Versöhnuugsrede, um zu beweisen, daß die wahren Deutschen, in Böh¬
men wie außerhalb Böhmens, für alle Völker die reinste" Sympathie" im Herzen
tragen. Die Gläser klangen wieder, und auf das Wohl der "wahren Deutschen"
wurde" gesuudheitmördcrische Gesundheiten ausgebracht; zuletzt lagen sich Alle mit
slavischer Zärtlichkeit i" den Armen und beide Wangen brannten mir noch eine
halbe Stunde von den Küssen, die mir ohne Gnade und Barmherzigkeit von allen
Anwesende" versetzt worde" wäre".

Der junge Mlaschcck hatte indeß seine Geige vom Wirth geholt, setzte sich
auf das Fenstersims u"d suchte die letzten disharmonischen Töne, welche das Ge¬
spräch erweckt hatte, durch sein Spiel in Schlaf zu tuller. Mit den Füßen schlug
er dazu den Takt ans der Wand und während seine Mienen die tollste Lustigkeit
auszudrücken suchte", spielte er die schmelzendsten serbischen, polnischen und illy-
rischen Nationalmclvdien. Die ganze Gesellschaft sang den Chor zum "slovakischen
Rößlein."

"Durch die Steppe rennt das Roß, das wilde, mähncflatternd, mit den Hufe"
Scharmut; reckt den Hals nach Ost und Westen wiehernd, Bauglied wiehert es, das
wilde Rößlein, durch die weite Steppe, --'
"Einen Heeren sucht es, einen Helden, einen kühnen, dens zum Kämpfe trage,
Goldschabrackc" will es sich gewinnen, Güldne Kron' und Throne seinem Reiter. Sieh
dich um, mein Rößlein!
"Hei, er kommt, mit rauher Schlinge kommt er, wirst sie schlau dir um den stolzen
Nacken, Peitsch' und Sporn, nicht güldene Schabracken, Bringt der Magyar, der Husar
des Kaisers, Rößlein, stolzes Rößlein!

Njemtzi plapperte, hat seine gewisse Richtigkeit. — Die Gesellschaft wurde still und
gespannt. — Sehen Sie, fuhr er, mit dem Glas spielend, fort, das Volk hat
ein wunderbar langes Gedächtniß für manche Dinge, wenn es sie auch nicht er¬
lebt noch aus Chroniken kennen gelernt hat. So lebt im Volke noch die Tra-
dition, daß alles Unglück Böhmens von den Deutschen herrührt, und es hat Recht,
setzte er mit starker Stimme hinzu. Die Deutsche» haben unsere Reformation mit
Feuer und Schwert unterdrückt, — sehen Sie mich nicht so an, weil ich die Ba'sf-
chen trage, denn ich arbeite, wo ich kann, gegen die Jesuiten, heute ist halb
Deutschland selbst zu der Lehre von Huß bekehrt. Aber die Religion war nur
ein Vorwand für die fremde Unterdrückungssncht und an einem Vorwand fehlt
es zu keiner Zeit. Wer hat in unseren Tagen Polen zerrissen? Drei deutsche Adler,
denn auch der russische Selbstherrscher hat das deutsche Geblüt in den Adern und
die deutsche Sophistik im Kopfe. . . Lassen Sie mich ausreden, — indem er mit
der Hand eine abwehrende Bewegung machte — ich weiß was Sie sagen wollen,
die deutschen Völker leiden unter demselben Joch. Sie werden es abschütteln,
vielleicht auch nicht. Was geht das uns an? Aber es gibt überall Ausnahmen
und besonders in Deutschland; was ich sage, soll ja auch nur den instinktmä¬
ßiger Haß des Volkes entschuldigen und gilt am allerwenigsten von unserm lieben
Holweg und seinen gleichgesinnten Freunden. Da stand Holweg auf und hielt eine
begeisterte Versöhnuugsrede, um zu beweisen, daß die wahren Deutschen, in Böh¬
men wie außerhalb Böhmens, für alle Völker die reinste» Sympathie» im Herzen
tragen. Die Gläser klangen wieder, und auf das Wohl der „wahren Deutschen"
wurde» gesuudheitmördcrische Gesundheiten ausgebracht; zuletzt lagen sich Alle mit
slavischer Zärtlichkeit i» den Armen und beide Wangen brannten mir noch eine
halbe Stunde von den Küssen, die mir ohne Gnade und Barmherzigkeit von allen
Anwesende» versetzt worde» wäre».

Der junge Mlaschcck hatte indeß seine Geige vom Wirth geholt, setzte sich
auf das Fenstersims u»d suchte die letzten disharmonischen Töne, welche das Ge¬
spräch erweckt hatte, durch sein Spiel in Schlaf zu tuller. Mit den Füßen schlug
er dazu den Takt ans der Wand und während seine Mienen die tollste Lustigkeit
auszudrücken suchte», spielte er die schmelzendsten serbischen, polnischen und illy-
rischen Nationalmclvdien. Die ganze Gesellschaft sang den Chor zum „slovakischen
Rößlein."

„Durch die Steppe rennt das Roß, das wilde, mähncflatternd, mit den Hufe»
Scharmut; reckt den Hals nach Ost und Westen wiehernd, Bauglied wiehert es, das
wilde Rößlein, durch die weite Steppe, —'
„Einen Heeren sucht es, einen Helden, einen kühnen, dens zum Kämpfe trage,
Goldschabrackc» will es sich gewinnen, Güldne Kron' und Throne seinem Reiter. Sieh
dich um, mein Rößlein!
„Hei, er kommt, mit rauher Schlinge kommt er, wirst sie schlau dir um den stolzen
Nacken, Peitsch' und Sporn, nicht güldene Schabracken, Bringt der Magyar, der Husar
des Kaisers, Rößlein, stolzes Rößlein!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277560"/>
            <p xml:id="ID_392" prev="#ID_391"> Njemtzi plapperte, hat seine gewisse Richtigkeit. &#x2014; Die Gesellschaft wurde still und<lb/>
gespannt. &#x2014; Sehen Sie, fuhr er, mit dem Glas spielend, fort, das Volk hat<lb/>
ein wunderbar langes Gedächtniß für manche Dinge, wenn es sie auch nicht er¬<lb/>
lebt noch aus Chroniken kennen gelernt hat. So lebt im Volke noch die Tra-<lb/>
dition, daß alles Unglück Böhmens von den Deutschen herrührt, und es hat Recht,<lb/>
setzte er mit starker Stimme hinzu. Die Deutsche» haben unsere Reformation mit<lb/>
Feuer und Schwert unterdrückt, &#x2014; sehen Sie mich nicht so an, weil ich die Ba'sf-<lb/>
chen trage, denn ich arbeite, wo ich kann, gegen die Jesuiten, heute ist halb<lb/>
Deutschland selbst zu der Lehre von Huß bekehrt. Aber die Religion war nur<lb/>
ein Vorwand für die fremde Unterdrückungssncht und an einem Vorwand fehlt<lb/>
es zu keiner Zeit. Wer hat in unseren Tagen Polen zerrissen? Drei deutsche Adler,<lb/>
denn auch der russische Selbstherrscher hat das deutsche Geblüt in den Adern und<lb/>
die deutsche Sophistik im Kopfe. . . Lassen Sie mich ausreden, &#x2014; indem er mit<lb/>
der Hand eine abwehrende Bewegung machte &#x2014; ich weiß was Sie sagen wollen,<lb/>
die deutschen Völker leiden unter demselben Joch. Sie werden es abschütteln,<lb/>
vielleicht auch nicht. Was geht das uns an? Aber es gibt überall Ausnahmen<lb/>
und besonders in Deutschland; was ich sage, soll ja auch nur den instinktmä¬<lb/>
ßiger Haß des Volkes entschuldigen und gilt am allerwenigsten von unserm lieben<lb/>
Holweg und seinen gleichgesinnten Freunden. Da stand Holweg auf und hielt eine<lb/>
begeisterte Versöhnuugsrede, um zu beweisen, daß die wahren Deutschen, in Böh¬<lb/>
men wie außerhalb Böhmens, für alle Völker die reinste» Sympathie» im Herzen<lb/>
tragen. Die Gläser klangen wieder, und auf das Wohl der &#x201E;wahren Deutschen"<lb/>
wurde» gesuudheitmördcrische Gesundheiten ausgebracht; zuletzt lagen sich Alle mit<lb/>
slavischer Zärtlichkeit i» den Armen und beide Wangen brannten mir noch eine<lb/>
halbe Stunde von den Küssen, die mir ohne Gnade und Barmherzigkeit von allen<lb/>
Anwesende» versetzt worde» wäre».</p><lb/>
            <p xml:id="ID_393"> Der junge Mlaschcck hatte indeß seine Geige vom Wirth geholt, setzte sich<lb/>
auf das Fenstersims u»d suchte die letzten disharmonischen Töne, welche das Ge¬<lb/>
spräch erweckt hatte, durch sein Spiel in Schlaf zu tuller. Mit den Füßen schlug<lb/>
er dazu den Takt ans der Wand und während seine Mienen die tollste Lustigkeit<lb/>
auszudrücken suchte», spielte er die schmelzendsten serbischen, polnischen und illy-<lb/>
rischen Nationalmclvdien. Die ganze Gesellschaft sang den Chor zum &#x201E;slovakischen<lb/>
Rößlein."</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_8" type="poem" next="#POEMID_9">
              <l> &#x201E;Durch die Steppe rennt das Roß, das wilde, mähncflatternd, mit den Hufe»<lb/>
Scharmut; reckt den Hals nach Ost und Westen wiehernd, Bauglied wiehert es, das<lb/>
wilde Rößlein, durch die weite Steppe, &#x2014;'</l>
            </lg><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_9" prev="#POEMID_8" type="poem" next="#POEMID_10">
              <l> &#x201E;Einen Heeren sucht es, einen Helden, einen kühnen, dens zum Kämpfe trage,<lb/>
Goldschabrackc» will es sich gewinnen, Güldne Kron' und Throne seinem Reiter. Sieh<lb/>
dich um, mein Rößlein!</l>
            </lg><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_10" prev="#POEMID_9" type="poem">
              <l> &#x201E;Hei, er kommt, mit rauher Schlinge kommt er, wirst sie schlau dir um den stolzen<lb/>
Nacken, Peitsch' und Sporn, nicht güldene Schabracken, Bringt der Magyar, der Husar<lb/>
des Kaisers, Rößlein, stolzes Rößlein!</l>
            </lg><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0130] Njemtzi plapperte, hat seine gewisse Richtigkeit. — Die Gesellschaft wurde still und gespannt. — Sehen Sie, fuhr er, mit dem Glas spielend, fort, das Volk hat ein wunderbar langes Gedächtniß für manche Dinge, wenn es sie auch nicht er¬ lebt noch aus Chroniken kennen gelernt hat. So lebt im Volke noch die Tra- dition, daß alles Unglück Böhmens von den Deutschen herrührt, und es hat Recht, setzte er mit starker Stimme hinzu. Die Deutsche» haben unsere Reformation mit Feuer und Schwert unterdrückt, — sehen Sie mich nicht so an, weil ich die Ba'sf- chen trage, denn ich arbeite, wo ich kann, gegen die Jesuiten, heute ist halb Deutschland selbst zu der Lehre von Huß bekehrt. Aber die Religion war nur ein Vorwand für die fremde Unterdrückungssncht und an einem Vorwand fehlt es zu keiner Zeit. Wer hat in unseren Tagen Polen zerrissen? Drei deutsche Adler, denn auch der russische Selbstherrscher hat das deutsche Geblüt in den Adern und die deutsche Sophistik im Kopfe. . . Lassen Sie mich ausreden, — indem er mit der Hand eine abwehrende Bewegung machte — ich weiß was Sie sagen wollen, die deutschen Völker leiden unter demselben Joch. Sie werden es abschütteln, vielleicht auch nicht. Was geht das uns an? Aber es gibt überall Ausnahmen und besonders in Deutschland; was ich sage, soll ja auch nur den instinktmä¬ ßiger Haß des Volkes entschuldigen und gilt am allerwenigsten von unserm lieben Holweg und seinen gleichgesinnten Freunden. Da stand Holweg auf und hielt eine begeisterte Versöhnuugsrede, um zu beweisen, daß die wahren Deutschen, in Böh¬ men wie außerhalb Böhmens, für alle Völker die reinste» Sympathie» im Herzen tragen. Die Gläser klangen wieder, und auf das Wohl der „wahren Deutschen" wurde» gesuudheitmördcrische Gesundheiten ausgebracht; zuletzt lagen sich Alle mit slavischer Zärtlichkeit i» den Armen und beide Wangen brannten mir noch eine halbe Stunde von den Küssen, die mir ohne Gnade und Barmherzigkeit von allen Anwesende» versetzt worde» wäre». Der junge Mlaschcck hatte indeß seine Geige vom Wirth geholt, setzte sich auf das Fenstersims u»d suchte die letzten disharmonischen Töne, welche das Ge¬ spräch erweckt hatte, durch sein Spiel in Schlaf zu tuller. Mit den Füßen schlug er dazu den Takt ans der Wand und während seine Mienen die tollste Lustigkeit auszudrücken suchte», spielte er die schmelzendsten serbischen, polnischen und illy- rischen Nationalmclvdien. Die ganze Gesellschaft sang den Chor zum „slovakischen Rößlein." „Durch die Steppe rennt das Roß, das wilde, mähncflatternd, mit den Hufe» Scharmut; reckt den Hals nach Ost und Westen wiehernd, Bauglied wiehert es, das wilde Rößlein, durch die weite Steppe, —' „Einen Heeren sucht es, einen Helden, einen kühnen, dens zum Kämpfe trage, Goldschabrackc» will es sich gewinnen, Güldne Kron' und Throne seinem Reiter. Sieh dich um, mein Rößlein! „Hei, er kommt, mit rauher Schlinge kommt er, wirst sie schlau dir um den stolzen Nacken, Peitsch' und Sporn, nicht güldene Schabracken, Bringt der Magyar, der Husar des Kaisers, Rößlein, stolzes Rößlein!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/130
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/130>, abgerufen am 16.06.2024.