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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Dreimal mußte Wallaschek das Liedchen wiederholen und jedesmal sang die
Gesellschaft mit, bis in's Innerste bewegt und von einer Andacht ergriffen, die
man sich aus den unscheinbaren Worten des Slvwakenliedes schwerlich erklären
wird. Das Geheimniß lag in dem unnennbar wehmüthigen Zauber der Melodie
und in dem nationalen Sinn, der für meine Gastfreunde in dem Schicksal des
slavischen Pferdes lag, welches verdammt ist, seine wilde Steppenfrciheit mit der
Peitsche des Magyaren zu vertauschen, statt mit der Goldschabracke eines slovaki-
schen Königs. Dem gelehrten Viala stand das helle Wasser in den großen grau-
grünen Augen und der Pater mit dem viereckigen rothen Stiergesicht zog gewalt¬
sam die buschigen Brauen nieder, um die Thränen zu verbergen, die ihm doch
deutlich über die Backen in's leere Weinglas herunterliefen. Wallaschek aber spielte
in Einem fort.

Kannst Du diesen Leuten gram sein? flüsterte mir Holweg zu, der den pein¬
lichen Eindruck der frühern Scene verwischen wollte. Menschen, auf die ein Ton,
ein schmuckloses Volksliedcheu solche Macht üben kann. Und wer wird die Ab¬
neigung verdammen wollen, wer das Mißtrauen nicht entschuldigen, das in ihrem
Herzen gegen jeden "Sohn der fremden Erde" lauert! Sind sie nicht von Frem¬
den aus Norden und Süden, aus Osten und Westen von jeher geknechtet, in ihrer
eigenen Heimath in den Staub getreten worden? Und doch läßt sich dieser ge¬
rechte Groll so leicht beschwören und statt, wie bei andern Völkern, in Thaten
der Rache und Empörung sich Lust zu machen, los't er sich bei ihnen meist in
Wehmuth auf, und wer diese nnr einen Augenblick mitempfindet, dem fallen sie
gleich dankbar um den Hals. Deshalb vielleicht ist ihnen bis jetzt noch ihr Recht
nicht geworden. Deshalb geht seit einem Jahrtausend durch alle Aeußerungen
slavischer Völker derselbe Klageton. Ich weiß nicht, versetzte ich, aber bei der
czechischen Race scheint diese elegische Sanftmuth nur auf die Melodien beschränkt;
sonst sind unsere Stockböhmeu hart und tückisch genug. -- Sage nicht tückisch.
Sie sind gehärtet durch großartigere Geschicke, sie send als Grenzhüter des Sla-
venthums von spröderen Stoff als ihre südlichen Stammverwandten. Aber wo
der Czeche keine Herrschaft wittert, wo er mit seinem slavischen Bruder, von dem
ihn seit Jahrhunderte" die Geschichte getrennt hat, zusammentrifft, schmilzt die
harte Kruste von seinem Gemüth und er wird ein anderer Mensch.

Jetzt wachte Klut aus, rieb sich die Augen und trat, als er die kalte Miene
Holweg's bemerkte, unaufgefordert zu ihm, die Hand treuherzig auf seine Schulter
legend. Nicht wahr, Sie sind nicht böse? sagte er; na, so ist's recht. Ich weiß
""^ich nicht, was ich gesagt hab'; 's ist Alles der verfluchte Melniker.

Wir wollten aufbrechen, aber in der Vorderstube war Heller Aufruhr. Das
Harfenmädchen war diesmal, weil's blaner Montag war, früh gekommen und hatte
zum Tanz verführt. Die armen slovakischeu Topfbiuder glaubten, auch einmal
beim Klang des geliebten Instrumentes hüpfen zu können, aber die Bauern woll-


Dreimal mußte Wallaschek das Liedchen wiederholen und jedesmal sang die
Gesellschaft mit, bis in's Innerste bewegt und von einer Andacht ergriffen, die
man sich aus den unscheinbaren Worten des Slvwakenliedes schwerlich erklären
wird. Das Geheimniß lag in dem unnennbar wehmüthigen Zauber der Melodie
und in dem nationalen Sinn, der für meine Gastfreunde in dem Schicksal des
slavischen Pferdes lag, welches verdammt ist, seine wilde Steppenfrciheit mit der
Peitsche des Magyaren zu vertauschen, statt mit der Goldschabracke eines slovaki-
schen Königs. Dem gelehrten Viala stand das helle Wasser in den großen grau-
grünen Augen und der Pater mit dem viereckigen rothen Stiergesicht zog gewalt¬
sam die buschigen Brauen nieder, um die Thränen zu verbergen, die ihm doch
deutlich über die Backen in's leere Weinglas herunterliefen. Wallaschek aber spielte
in Einem fort.

Kannst Du diesen Leuten gram sein? flüsterte mir Holweg zu, der den pein¬
lichen Eindruck der frühern Scene verwischen wollte. Menschen, auf die ein Ton,
ein schmuckloses Volksliedcheu solche Macht üben kann. Und wer wird die Ab¬
neigung verdammen wollen, wer das Mißtrauen nicht entschuldigen, das in ihrem
Herzen gegen jeden „Sohn der fremden Erde" lauert! Sind sie nicht von Frem¬
den aus Norden und Süden, aus Osten und Westen von jeher geknechtet, in ihrer
eigenen Heimath in den Staub getreten worden? Und doch läßt sich dieser ge¬
rechte Groll so leicht beschwören und statt, wie bei andern Völkern, in Thaten
der Rache und Empörung sich Lust zu machen, los't er sich bei ihnen meist in
Wehmuth auf, und wer diese nnr einen Augenblick mitempfindet, dem fallen sie
gleich dankbar um den Hals. Deshalb vielleicht ist ihnen bis jetzt noch ihr Recht
nicht geworden. Deshalb geht seit einem Jahrtausend durch alle Aeußerungen
slavischer Völker derselbe Klageton. Ich weiß nicht, versetzte ich, aber bei der
czechischen Race scheint diese elegische Sanftmuth nur auf die Melodien beschränkt;
sonst sind unsere Stockböhmeu hart und tückisch genug. — Sage nicht tückisch.
Sie sind gehärtet durch großartigere Geschicke, sie send als Grenzhüter des Sla-
venthums von spröderen Stoff als ihre südlichen Stammverwandten. Aber wo
der Czeche keine Herrschaft wittert, wo er mit seinem slavischen Bruder, von dem
ihn seit Jahrhunderte» die Geschichte getrennt hat, zusammentrifft, schmilzt die
harte Kruste von seinem Gemüth und er wird ein anderer Mensch.

Jetzt wachte Klut aus, rieb sich die Augen und trat, als er die kalte Miene
Holweg's bemerkte, unaufgefordert zu ihm, die Hand treuherzig auf seine Schulter
legend. Nicht wahr, Sie sind nicht böse? sagte er; na, so ist's recht. Ich weiß
""^ich nicht, was ich gesagt hab'; 's ist Alles der verfluchte Melniker.

Wir wollten aufbrechen, aber in der Vorderstube war Heller Aufruhr. Das
Harfenmädchen war diesmal, weil's blaner Montag war, früh gekommen und hatte
zum Tanz verführt. Die armen slovakischeu Topfbiuder glaubten, auch einmal
beim Klang des geliebten Instrumentes hüpfen zu können, aber die Bauern woll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/131>, abgerufen am 16.06.2024.