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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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öder eine geordnete Entwickelung der deutschen Verfassung für möglich und noth¬
wendig hält, zur Genugthuung gereichen muß. Durch die doppelte Anerkennung
von Seiten der Repräsentanten der Regierungen und der Repräsentanten der Volks-
stämme, die im Parlament sitzen, ist die Wahl des Erzherzogs zum provisorischen
Reichsverweser über alle Zweifel erhaben und jeder Protest gegen dieselbe, von
welcher Seite er auch kommen möge, fortan null und nichtig. Wir kommen auf
diesen Umstand noch einmal zurück.

Die Radikalen verlieren nun ein neues Stichblatt ihrer memorirten Begeiste¬
rung. Die Censur ist ihnen genommen, der Bundestag, die absoluten Regierungs-
formen; sie werden bei ihrer grenzenlosen Armuth sich bald genöthigt sehen, als
ehrsame Ritter von la Manch" dnrch feierliche Volksbeschlnsse politische Wind¬
mühlen zu Niesen der Reaction decretiren zu lassen.

Es fragt sich nun: soll der Bundestag in keiner Weise ersetzt werden? Meh¬
rere Redner der linken Seite -- irre ich nicht, auch Herr Robert Blum --
haben sich geneigt erklärt, neben den Reichsverweser und die Nationalversammlung
eine Staatcnkammer, nach Art der nordamerikanischen, eintreten zu lasse". Hier
muß ich nun radikaler sein als die Radikalen. Eine Staatenkammer könnte ent¬
weder nach dem numerischen Verhältniß des jetzigen Bundestags, oder uach der
Bevölkerungszahl der einzelnen Staaten zusammengesetzt sein. Im letzten Fall
wäre sie eine zweite Auslage der Nationalversammlung, also etwas Ueberflüssiges
und Zweckloses. Mit der ersten Fassung würden die Staaten Lippe-Detmold, An¬
halt-Dessau, Lichtenstein u. s. w. sich wohl einverstanden erklären, Oestreich und
Preußen aber ganz und gar nicht. Es fällt uus gar nicht ein, dem Fürsten von
Reuß oder von Schaumburg in einer gesetzgebenden Versammlung eben so viel,
oder ein Viertel so viel Stimmen zuzuerkennen, als dem constitutionellen König
von Preußen, der selber keine andere Macht haben soll, als die Beschlüsse von
16 Millionen vollziehen zu lasse". Der lächerlichste Vorschlag eines derartigen
Staatensystems rührt von Herrn v. Lindenau her, dem ehemaligen sächsischen
Staatsminister, aber jeder audere Vorschlag würde im besten Falle nur um ein
Paar Procent weniger lächerlich ausfallen.

Was aber unumgänglich nöthig erscheint, wäre folgende Einrichtung. So¬
wohl das Reichsoberhaupt, als die Nationalversammlung muß mit den Regierun¬
gen der einzelnen Staaten und ihren Ständen in offizieller, lebendiger Wechsel¬
wirkung stehen. Diese kann mir durch Bevollmächtigte ins Werk gesetzt werden.
Eine jede Regierung sendet daher, eben so wie eine jede Ständeversammlung, einen
Abgeordneten nach Frankfurt, der ihr Interesse sowohl bei der Rcichsregiernng,
als bei dem Reichstag zu vertreten hat. Dieser Abgeordnete hat ein bestimmtes
Mandat, er kann jeden Augenblick von seinen Comittenten zurückberufen werden.
Er muß an den Sitzungen des Reichstages Theil nehmen, ans Befragen über
alle innern Angelegenheiten seines Landes, die zur Sprache kommen, offizielle


öder eine geordnete Entwickelung der deutschen Verfassung für möglich und noth¬
wendig hält, zur Genugthuung gereichen muß. Durch die doppelte Anerkennung
von Seiten der Repräsentanten der Regierungen und der Repräsentanten der Volks-
stämme, die im Parlament sitzen, ist die Wahl des Erzherzogs zum provisorischen
Reichsverweser über alle Zweifel erhaben und jeder Protest gegen dieselbe, von
welcher Seite er auch kommen möge, fortan null und nichtig. Wir kommen auf
diesen Umstand noch einmal zurück.

Die Radikalen verlieren nun ein neues Stichblatt ihrer memorirten Begeiste¬
rung. Die Censur ist ihnen genommen, der Bundestag, die absoluten Regierungs-
formen; sie werden bei ihrer grenzenlosen Armuth sich bald genöthigt sehen, als
ehrsame Ritter von la Manch« dnrch feierliche Volksbeschlnsse politische Wind¬
mühlen zu Niesen der Reaction decretiren zu lassen.

Es fragt sich nun: soll der Bundestag in keiner Weise ersetzt werden? Meh¬
rere Redner der linken Seite — irre ich nicht, auch Herr Robert Blum —
haben sich geneigt erklärt, neben den Reichsverweser und die Nationalversammlung
eine Staatcnkammer, nach Art der nordamerikanischen, eintreten zu lasse». Hier
muß ich nun radikaler sein als die Radikalen. Eine Staatenkammer könnte ent¬
weder nach dem numerischen Verhältniß des jetzigen Bundestags, oder uach der
Bevölkerungszahl der einzelnen Staaten zusammengesetzt sein. Im letzten Fall
wäre sie eine zweite Auslage der Nationalversammlung, also etwas Ueberflüssiges
und Zweckloses. Mit der ersten Fassung würden die Staaten Lippe-Detmold, An¬
halt-Dessau, Lichtenstein u. s. w. sich wohl einverstanden erklären, Oestreich und
Preußen aber ganz und gar nicht. Es fällt uus gar nicht ein, dem Fürsten von
Reuß oder von Schaumburg in einer gesetzgebenden Versammlung eben so viel,
oder ein Viertel so viel Stimmen zuzuerkennen, als dem constitutionellen König
von Preußen, der selber keine andere Macht haben soll, als die Beschlüsse von
16 Millionen vollziehen zu lasse«. Der lächerlichste Vorschlag eines derartigen
Staatensystems rührt von Herrn v. Lindenau her, dem ehemaligen sächsischen
Staatsminister, aber jeder audere Vorschlag würde im besten Falle nur um ein
Paar Procent weniger lächerlich ausfallen.

Was aber unumgänglich nöthig erscheint, wäre folgende Einrichtung. So¬
wohl das Reichsoberhaupt, als die Nationalversammlung muß mit den Regierun¬
gen der einzelnen Staaten und ihren Ständen in offizieller, lebendiger Wechsel¬
wirkung stehen. Diese kann mir durch Bevollmächtigte ins Werk gesetzt werden.
Eine jede Regierung sendet daher, eben so wie eine jede Ständeversammlung, einen
Abgeordneten nach Frankfurt, der ihr Interesse sowohl bei der Rcichsregiernng,
als bei dem Reichstag zu vertreten hat. Dieser Abgeordnete hat ein bestimmtes
Mandat, er kann jeden Augenblick von seinen Comittenten zurückberufen werden.
Er muß an den Sitzungen des Reichstages Theil nehmen, ans Befragen über
alle innern Angelegenheiten seines Landes, die zur Sprache kommen, offizielle


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[0136] öder eine geordnete Entwickelung der deutschen Verfassung für möglich und noth¬ wendig hält, zur Genugthuung gereichen muß. Durch die doppelte Anerkennung von Seiten der Repräsentanten der Regierungen und der Repräsentanten der Volks- stämme, die im Parlament sitzen, ist die Wahl des Erzherzogs zum provisorischen Reichsverweser über alle Zweifel erhaben und jeder Protest gegen dieselbe, von welcher Seite er auch kommen möge, fortan null und nichtig. Wir kommen auf diesen Umstand noch einmal zurück. Die Radikalen verlieren nun ein neues Stichblatt ihrer memorirten Begeiste¬ rung. Die Censur ist ihnen genommen, der Bundestag, die absoluten Regierungs- formen; sie werden bei ihrer grenzenlosen Armuth sich bald genöthigt sehen, als ehrsame Ritter von la Manch« dnrch feierliche Volksbeschlnsse politische Wind¬ mühlen zu Niesen der Reaction decretiren zu lassen. Es fragt sich nun: soll der Bundestag in keiner Weise ersetzt werden? Meh¬ rere Redner der linken Seite — irre ich nicht, auch Herr Robert Blum — haben sich geneigt erklärt, neben den Reichsverweser und die Nationalversammlung eine Staatcnkammer, nach Art der nordamerikanischen, eintreten zu lasse». Hier muß ich nun radikaler sein als die Radikalen. Eine Staatenkammer könnte ent¬ weder nach dem numerischen Verhältniß des jetzigen Bundestags, oder uach der Bevölkerungszahl der einzelnen Staaten zusammengesetzt sein. Im letzten Fall wäre sie eine zweite Auslage der Nationalversammlung, also etwas Ueberflüssiges und Zweckloses. Mit der ersten Fassung würden die Staaten Lippe-Detmold, An¬ halt-Dessau, Lichtenstein u. s. w. sich wohl einverstanden erklären, Oestreich und Preußen aber ganz und gar nicht. Es fällt uus gar nicht ein, dem Fürsten von Reuß oder von Schaumburg in einer gesetzgebenden Versammlung eben so viel, oder ein Viertel so viel Stimmen zuzuerkennen, als dem constitutionellen König von Preußen, der selber keine andere Macht haben soll, als die Beschlüsse von 16 Millionen vollziehen zu lasse«. Der lächerlichste Vorschlag eines derartigen Staatensystems rührt von Herrn v. Lindenau her, dem ehemaligen sächsischen Staatsminister, aber jeder audere Vorschlag würde im besten Falle nur um ein Paar Procent weniger lächerlich ausfallen. Was aber unumgänglich nöthig erscheint, wäre folgende Einrichtung. So¬ wohl das Reichsoberhaupt, als die Nationalversammlung muß mit den Regierun¬ gen der einzelnen Staaten und ihren Ständen in offizieller, lebendiger Wechsel¬ wirkung stehen. Diese kann mir durch Bevollmächtigte ins Werk gesetzt werden. Eine jede Regierung sendet daher, eben so wie eine jede Ständeversammlung, einen Abgeordneten nach Frankfurt, der ihr Interesse sowohl bei der Rcichsregiernng, als bei dem Reichstag zu vertreten hat. Dieser Abgeordnete hat ein bestimmtes Mandat, er kann jeden Augenblick von seinen Comittenten zurückberufen werden. Er muß an den Sitzungen des Reichstages Theil nehmen, ans Befragen über alle innern Angelegenheiten seines Landes, die zur Sprache kommen, offizielle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/136>, abgerufen am 16.06.2024.