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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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so ist das Alles in der Natur der Sache gegründet -- das letzte freilich mehr in
der Natur der Sachsen. Die heftigen Ausbrüche des Zorns dagegen, die von
allen Seiten auf die Person des Königs von Hannover einstürmten, hätten ver¬
mieden werden können. Er hat seit den zehn Jahren seiner Regierung schwer an
Deutschland gesündigt, aber man muß ihm zugestehn, daß er von allen den Män¬
nern , die mit ihm in gleicher Schuld stehen, der Offenste und der Entschiedenste
war. Er hat ein großes Verdienst um Deutschland, dem? er war der Erste, wel¬
cher der alten Diplomatie den heuchlerischen Schleier vom Kopf riß und die Recht¬
losigkeit unserer Zustände dem Volk in ihrer ganzen Abscheulichkeit vor Augen
stellte. Und zudem, er ist ein alter, sehr alter Mann; er ist dem Grabe nahe
und sein hochmüthiger Geist uicht mehr zu fürchten; wir können ihn am härtesten
bestrafen, wenn wir über seine Erklärungen wie über seine Proteste einfach zur
Tagesordnung übergehn. --

Daß die äußerste Linke dnrch ihren Antrag, den König ohne Weiteres nach
England zu schicken, selbst die von Patriotismus und Selbstbewußtsein in einem
gefährlichen Grade aufgeblähte Versammlung, die den römischen Senat in dem
Augenblick, sich gegenüber, für ein kleinstädtisches Spießbürgervölkchen ansah, be¬
lustigte, liegt in ihrem Privilegium. Daß sich aber die ganze Versammlung zu
dem auffallenden und in seinen Consequenzen höchst bedenklichen Schritt hinreißen
ließ , den Wydeubruck'schen Antrag anzunehmen, anstatt des höchst vernünftigen
Wesendonck'schen -- das spricht dafür, wie wenig wir noch der Willkür des alten
patriarchalischen Despotismus entwöhnt sind, wie wenig wir noch von einem ge¬
schlichen Gang begriffen haben. Welch' sonderbares Verlangen, den König zur
Anerkennung der Wahl zwingen zu wollen! Entweder ist diese Wahl rechtsgiltig
ohne seine Anerkennung -- und dann ist es lächerlich, auf einer solchen zu bestehen,
oder sie ist es nicht, dann hat die Versammlung kein Recht, die Anerken¬
nung zu erheischen, kein anderes Recht, als das der Starke, das Faustrecht. Das
Dilemma ist, denke ich, so klar. Aber als erwachsene Kinder, die an die
Freiheit noch nicht gewöhnt sind, üben wir die neuerworbene Mannheit in Grob¬
heiten gegen den Schulmeister, der uns früher chikanirt hat.

Die erste Regierungshandlung des Erzherzogs vor seiner Abreise nach Wien
ist die Bildung des Neichsministerinms gewesen und der Erlaß einer Proclama-
tion, in welcher das deutsche Volk zur Ordnung und zum Vertrauen aufgefordert
wird. Deu Anarchisten wird mit energischen Maßregeln der Centralgewalt ge¬
droht. Schon diese Erklärung wird beruhigend wirken, oder wo das nicht der
Fall ist, zu einem Abortus der Revolution Anlaß geben, der für die gute Sache
nur heilsam sein kaun. In den meisten Fällen, wo wenigstens die Neigung zum
gesetzlichen Fortschritt vorhanden ist, wird eine einfache Willensmeinung genügen.
Mir schwebt dabei Sachsen vor. Der Beschluß der Stände, der sich für das
Zweikammersystem ausspricht, hat bei einem großen Theil des Volks Unzufrieden-


so ist das Alles in der Natur der Sache gegründet — das letzte freilich mehr in
der Natur der Sachsen. Die heftigen Ausbrüche des Zorns dagegen, die von
allen Seiten auf die Person des Königs von Hannover einstürmten, hätten ver¬
mieden werden können. Er hat seit den zehn Jahren seiner Regierung schwer an
Deutschland gesündigt, aber man muß ihm zugestehn, daß er von allen den Män¬
nern , die mit ihm in gleicher Schuld stehen, der Offenste und der Entschiedenste
war. Er hat ein großes Verdienst um Deutschland, dem? er war der Erste, wel¬
cher der alten Diplomatie den heuchlerischen Schleier vom Kopf riß und die Recht¬
losigkeit unserer Zustände dem Volk in ihrer ganzen Abscheulichkeit vor Augen
stellte. Und zudem, er ist ein alter, sehr alter Mann; er ist dem Grabe nahe
und sein hochmüthiger Geist uicht mehr zu fürchten; wir können ihn am härtesten
bestrafen, wenn wir über seine Erklärungen wie über seine Proteste einfach zur
Tagesordnung übergehn. —

Daß die äußerste Linke dnrch ihren Antrag, den König ohne Weiteres nach
England zu schicken, selbst die von Patriotismus und Selbstbewußtsein in einem
gefährlichen Grade aufgeblähte Versammlung, die den römischen Senat in dem
Augenblick, sich gegenüber, für ein kleinstädtisches Spießbürgervölkchen ansah, be¬
lustigte, liegt in ihrem Privilegium. Daß sich aber die ganze Versammlung zu
dem auffallenden und in seinen Consequenzen höchst bedenklichen Schritt hinreißen
ließ , den Wydeubruck'schen Antrag anzunehmen, anstatt des höchst vernünftigen
Wesendonck'schen — das spricht dafür, wie wenig wir noch der Willkür des alten
patriarchalischen Despotismus entwöhnt sind, wie wenig wir noch von einem ge¬
schlichen Gang begriffen haben. Welch' sonderbares Verlangen, den König zur
Anerkennung der Wahl zwingen zu wollen! Entweder ist diese Wahl rechtsgiltig
ohne seine Anerkennung — und dann ist es lächerlich, auf einer solchen zu bestehen,
oder sie ist es nicht, dann hat die Versammlung kein Recht, die Anerken¬
nung zu erheischen, kein anderes Recht, als das der Starke, das Faustrecht. Das
Dilemma ist, denke ich, so klar. Aber als erwachsene Kinder, die an die
Freiheit noch nicht gewöhnt sind, üben wir die neuerworbene Mannheit in Grob¬
heiten gegen den Schulmeister, der uns früher chikanirt hat.

Die erste Regierungshandlung des Erzherzogs vor seiner Abreise nach Wien
ist die Bildung des Neichsministerinms gewesen und der Erlaß einer Proclama-
tion, in welcher das deutsche Volk zur Ordnung und zum Vertrauen aufgefordert
wird. Deu Anarchisten wird mit energischen Maßregeln der Centralgewalt ge¬
droht. Schon diese Erklärung wird beruhigend wirken, oder wo das nicht der
Fall ist, zu einem Abortus der Revolution Anlaß geben, der für die gute Sache
nur heilsam sein kaun. In den meisten Fällen, wo wenigstens die Neigung zum
gesetzlichen Fortschritt vorhanden ist, wird eine einfache Willensmeinung genügen.
Mir schwebt dabei Sachsen vor. Der Beschluß der Stände, der sich für das
Zweikammersystem ausspricht, hat bei einem großen Theil des Volks Unzufrieden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/140>, abgerufen am 16.06.2024.