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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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giltiges; denn wo Jeder will, was Alle wollen, kann man viel bequemer Einem dew
ganzen Staat überlassen. In unser" Zeiten ist es wohl kaum nöthig, das System
der souveränen Gemeinden zu widerlege". Die höchsten Güter der Menschheit
knüpfen sich nur an Großstaaten, die allein jene Machtfülle entwickeln können, aus
der die Cultur hervorgeht. Was aber den Volkswillen in großen Staaten betrifft,
so hat man entweder den einfachsten und folgerichtigste" Ausweg gewählt -- la
t'oreiz L'oft. la der Pöbel in der Hauptstadt ist der Ausdruck des Volks, das
Faustrecht die beste Regierungsform; wo es dann sich ergiebt, daß diese Form
sich selber widerlegt, daß die eiserne Faust die unbewehrte niederdrückt, bis end¬
lich den Vertretern des Volks nichts übrig bleibt, als i" sentimentalen Klagen das
legitime Recht der Revolution den Neuerungen der Bayonette entgegen zu halte",
sich auf die gewesene Uebermacht als ans einen Rechtstitel zu berufen, aber ne
^omüo lucüv ni'in'rmcko -ra i>vMlum melius mlonmmäum zu appelliren; oder
man constituirt den VvlkSwilleu durch Fictione"; theils beruft mau sich auf die
sogenannte "öffentliche Meinung", die ans den angeführte" Gründe" etwas so
Formloses, Unbestimmtes ist, daß Jeder sich darauf berufen kann; theils läßt man
denselben an Repräsentanten übertragen. Hobbes hat ans der Volkssouveränetät
den monarchischen Absolutismus hergeleitet, die preußische Nationalversammlung
ihren eigenen Absolutismus. Nun ist bekanntlich mit der größten Einbildung von sich
selbst in der Regel die größte Ohnmacht verbunden, wie Jakob 1., Bonifaz VIII. ze.
zur Genüge darthun. Keine Gewalt geht über die Grenze des Möglichen und
Vernünftigen: eine Versammlung kann zwar jedes beliebige Gesetz erlassen, aber
mit seiner Durchführung ist sie an die Schranken des Bestehenden gebunden, sie
kann z. B. decretiren: Alle Menschen sind gleich, aber durchführen wird sie dieses
Decret so wenig, als wenn sie verordnete: alle Menschen müssen mit Federn zur
Welt kommen. Eine Versammlung, die unter gesetzlichen Formen, zu bestimmtem
Zweck, mit bestimmte" Rechte" gewählt ist, wird innerhalb dieser Schranken und
innerhalb der logischen Bedinguuge" des^ Denkens und Wollens Gewalt haben,
ob sie sich auf die Souveränetät ihres Mandates beruft oder nicht; springt sie
phantastisch über die Grenzen der Vernunft, so wird das Mandat ihr eben so
wenig helfen.

Die Theorie von der Volkssouveränetät ist also eigentlich nur darum prak¬
tisch schädlich, weil sie die ungebildeten Volksclassen depravirt, weil sie ihrer Phan¬
tasie einen Schauplatz öffnet, dem ihr Verstand nickt gewachsen ist; ihre" Wün¬
schen ein Feld, aus, dem ihr Wille nicht ausreicht. Im Uebrigen wird unter
Gebildeten kein Streit darüber sein, daß jede unbeschränkte Gewalt, welche" Trä¬
ger sie auch habe, nicht uur ein Unrecht, sondern auch eine Unmöglichkeit in sich
schließt. Die Frechheit der absoluten Monarchie: I'ni^l L'est um, hat zu
der Phantasie einer unbedingten Volksherrschaft, die Lehre von der Fnrstensou-
veränetät zur Lehre vou der Volkssouveränetät geführt. Mit den: "göttlichen


giltiges; denn wo Jeder will, was Alle wollen, kann man viel bequemer Einem dew
ganzen Staat überlassen. In unser» Zeiten ist es wohl kaum nöthig, das System
der souveränen Gemeinden zu widerlege». Die höchsten Güter der Menschheit
knüpfen sich nur an Großstaaten, die allein jene Machtfülle entwickeln können, aus
der die Cultur hervorgeht. Was aber den Volkswillen in großen Staaten betrifft,
so hat man entweder den einfachsten und folgerichtigste» Ausweg gewählt — la
t'oreiz L'oft. la der Pöbel in der Hauptstadt ist der Ausdruck des Volks, das
Faustrecht die beste Regierungsform; wo es dann sich ergiebt, daß diese Form
sich selber widerlegt, daß die eiserne Faust die unbewehrte niederdrückt, bis end¬
lich den Vertretern des Volks nichts übrig bleibt, als i» sentimentalen Klagen das
legitime Recht der Revolution den Neuerungen der Bayonette entgegen zu halte»,
sich auf die gewesene Uebermacht als ans einen Rechtstitel zu berufen, aber ne
^omüo lucüv ni'in'rmcko -ra i>vMlum melius mlonmmäum zu appelliren; oder
man constituirt den VvlkSwilleu durch Fictione»; theils beruft mau sich auf die
sogenannte „öffentliche Meinung", die ans den angeführte» Gründe» etwas so
Formloses, Unbestimmtes ist, daß Jeder sich darauf berufen kann; theils läßt man
denselben an Repräsentanten übertragen. Hobbes hat ans der Volkssouveränetät
den monarchischen Absolutismus hergeleitet, die preußische Nationalversammlung
ihren eigenen Absolutismus. Nun ist bekanntlich mit der größten Einbildung von sich
selbst in der Regel die größte Ohnmacht verbunden, wie Jakob 1., Bonifaz VIII. ze.
zur Genüge darthun. Keine Gewalt geht über die Grenze des Möglichen und
Vernünftigen: eine Versammlung kann zwar jedes beliebige Gesetz erlassen, aber
mit seiner Durchführung ist sie an die Schranken des Bestehenden gebunden, sie
kann z. B. decretiren: Alle Menschen sind gleich, aber durchführen wird sie dieses
Decret so wenig, als wenn sie verordnete: alle Menschen müssen mit Federn zur
Welt kommen. Eine Versammlung, die unter gesetzlichen Formen, zu bestimmtem
Zweck, mit bestimmte» Rechte» gewählt ist, wird innerhalb dieser Schranken und
innerhalb der logischen Bedinguuge» des^ Denkens und Wollens Gewalt haben,
ob sie sich auf die Souveränetät ihres Mandates beruft oder nicht; springt sie
phantastisch über die Grenzen der Vernunft, so wird das Mandat ihr eben so
wenig helfen.

Die Theorie von der Volkssouveränetät ist also eigentlich nur darum prak¬
tisch schädlich, weil sie die ungebildeten Volksclassen depravirt, weil sie ihrer Phan¬
tasie einen Schauplatz öffnet, dem ihr Verstand nickt gewachsen ist; ihre» Wün¬
schen ein Feld, aus, dem ihr Wille nicht ausreicht. Im Uebrigen wird unter
Gebildeten kein Streit darüber sein, daß jede unbeschränkte Gewalt, welche» Trä¬
ger sie auch habe, nicht uur ein Unrecht, sondern auch eine Unmöglichkeit in sich
schließt. Die Frechheit der absoluten Monarchie: I'ni^l L'est um, hat zu
der Phantasie einer unbedingten Volksherrschaft, die Lehre von der Fnrstensou-
veränetät zur Lehre vou der Volkssouveränetät geführt. Mit den: „göttlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/334>, abgerufen am 15.05.2024.