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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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nud^. Papageien' zwischen exotischen Pflanzen paradirt oder eine ehrbare Privatfa¬
milie ihre Blumenvasen aufgestellt hat.

Hier unten befinden sich die stattlichsten Hotels und die geräumigsten Squa-
res (viereckige Plätze), deren vierte Seite das Meer bildet; nnr durch eine breite
macadamisirte Straße ist es vom Platz getrennt. Diese Straße ist der Corso
von Brighton und selbst im Anfang der season stets von lustigem Sonntagsvott
belebt. Die Lustigkeit der englischen Gentry von heutzutage bemüht sich aber, so
wenig Lärm als möglich zu macheu. Sie ist ein Stillvergnügtsein. Der Lon¬
doner ans dem Mittelstände, der mit seiner Familie einige Wochen in Brighton
zubringt, sucht keine rauschenden Belustigungen, keine Bälle und keine neuen Be¬
kanntschaften; Concert und Theater werden ein, zwei Mal besucht, weil es Styl
ist, sein Hauptgeuuß aber besteht in der Erholung von der wilden Jagd der Ge¬
schäfte in der kohleuduustigen Hauptstadt. Hier kann er wieder von früh bis
Abend seiner Häuslichkeit leben; Morgens ein Seebad und ein gutes Frühstück,
daun seine Zeitung in sabbathlicher Ruhe auf dem Söller lesen, wo er mit dem
Fernrohr den Fischerbooten auf die hohe See folgen kann, dann ein sehr gutes
Mittagsessen, dazwischen ein Spaziergang am Strande, eine Kahnfahrt oder ein
Ausflug auf die heerdeureichen South-Downö, von deren Gipfel man zugleich das
Meer und das Gartenland der Grafschaften Sussex und Kant überblickt, -- das
ist der siebente Himmel unseres Londoners, diese Freuden, täglich dieselben, kann
er sechs Wochen lang wiederholen; er ist im Stande, von einem Sonntag zum
andern dasselbe Paar Schüsseln, Hammelskenle und Steinbutte, oder Steinbutte
und Hammelskenle, sich aufzutischen und jedesmal wird er, lippenschmatzend, die
Gottesgabe mit einem veiz? sweet, vory i lau! lobpreisen und sie so wenig satt
werden, wie die köstliche Seeluft, deren Einfluß auf den Appetit, den Teint und
die strammer werdenden Wangen von Weib und Kind er alle Morgen gewissenhaft
beobachtet. Er vergißt in keinem Augenblick die ursprüngliche Bestimmung des
Badeortes; die unruhige Phantasie des Festiänders, der in seinen Bädern ein
gesteigertes Residenzlebeu voll abenteuerlicher Ueberiaschiingen sucht, ist ihm völlig
fremd, sogar widerwärtig. Er will nichts Unerwartetes, er ersehnt keinen Genuß,
auf den er uicht vorbereitet ist. Regelmäßigkeit und Ausdauer würzen ihm das
Vergnügen, wie sie ihm die Arbeit befruchten. Er feiert ini Badeort den Sonn,
tag so streng wie in London und eS ist vorgekommen, daß ruchlose Fremdlinge,
die den Tag des Herrn auf ihrem Zimmer dnrch lärmendes Klavierspiel entweih¬
ten, durch eine Deputation von Nachbarn zur Ruhe verwiesen wurden. Ein rich¬
tiger Engländer, wie mein Gastfreund sagt, kommt uach Brighton, setzt sich ruhig
hin, freut sich seines Daseins (e">)'8 lümself, wörtlich: er genießt sich) und
muckst nicht.

Auf der Straße zwischen Meer und Stadt hält die fashionable Welt ihre


Krenzbotnl. I. 1850. gz

nud^. Papageien' zwischen exotischen Pflanzen paradirt oder eine ehrbare Privatfa¬
milie ihre Blumenvasen aufgestellt hat.

Hier unten befinden sich die stattlichsten Hotels und die geräumigsten Squa-
res (viereckige Plätze), deren vierte Seite das Meer bildet; nnr durch eine breite
macadamisirte Straße ist es vom Platz getrennt. Diese Straße ist der Corso
von Brighton und selbst im Anfang der season stets von lustigem Sonntagsvott
belebt. Die Lustigkeit der englischen Gentry von heutzutage bemüht sich aber, so
wenig Lärm als möglich zu macheu. Sie ist ein Stillvergnügtsein. Der Lon¬
doner ans dem Mittelstände, der mit seiner Familie einige Wochen in Brighton
zubringt, sucht keine rauschenden Belustigungen, keine Bälle und keine neuen Be¬
kanntschaften; Concert und Theater werden ein, zwei Mal besucht, weil es Styl
ist, sein Hauptgeuuß aber besteht in der Erholung von der wilden Jagd der Ge¬
schäfte in der kohleuduustigen Hauptstadt. Hier kann er wieder von früh bis
Abend seiner Häuslichkeit leben; Morgens ein Seebad und ein gutes Frühstück,
daun seine Zeitung in sabbathlicher Ruhe auf dem Söller lesen, wo er mit dem
Fernrohr den Fischerbooten auf die hohe See folgen kann, dann ein sehr gutes
Mittagsessen, dazwischen ein Spaziergang am Strande, eine Kahnfahrt oder ein
Ausflug auf die heerdeureichen South-Downö, von deren Gipfel man zugleich das
Meer und das Gartenland der Grafschaften Sussex und Kant überblickt, — das
ist der siebente Himmel unseres Londoners, diese Freuden, täglich dieselben, kann
er sechs Wochen lang wiederholen; er ist im Stande, von einem Sonntag zum
andern dasselbe Paar Schüsseln, Hammelskenle und Steinbutte, oder Steinbutte
und Hammelskenle, sich aufzutischen und jedesmal wird er, lippenschmatzend, die
Gottesgabe mit einem veiz? sweet, vory i lau! lobpreisen und sie so wenig satt
werden, wie die köstliche Seeluft, deren Einfluß auf den Appetit, den Teint und
die strammer werdenden Wangen von Weib und Kind er alle Morgen gewissenhaft
beobachtet. Er vergißt in keinem Augenblick die ursprüngliche Bestimmung des
Badeortes; die unruhige Phantasie des Festiänders, der in seinen Bädern ein
gesteigertes Residenzlebeu voll abenteuerlicher Ueberiaschiingen sucht, ist ihm völlig
fremd, sogar widerwärtig. Er will nichts Unerwartetes, er ersehnt keinen Genuß,
auf den er uicht vorbereitet ist. Regelmäßigkeit und Ausdauer würzen ihm das
Vergnügen, wie sie ihm die Arbeit befruchten. Er feiert ini Badeort den Sonn,
tag so streng wie in London und eS ist vorgekommen, daß ruchlose Fremdlinge,
die den Tag des Herrn auf ihrem Zimmer dnrch lärmendes Klavierspiel entweih¬
ten, durch eine Deputation von Nachbarn zur Ruhe verwiesen wurden. Ein rich¬
tiger Engländer, wie mein Gastfreund sagt, kommt uach Brighton, setzt sich ruhig
hin, freut sich seines Daseins (e»>)'8 lümself, wörtlich: er genießt sich) und
muckst nicht.

Auf der Straße zwischen Meer und Stadt hält die fashionable Welt ihre


Krenzbotnl. I. 1850. gz
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/505>, abgerufen am 15.06.2024.