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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Die Passagiere der ersten Kajüte des "Stirner" waren nicht zahlreich,
da wenige Personen ans Deutschland jetzt zum Vergnügen in Dänemark reisen;
dazu fing die Seekrankheit bald an, unter ihnen zu wüthen. Diese kleine Ostsee
Mit ihren kurzen unregelmäßigen Wellen ist ein wahrer Teufel gegen die Ruhe
des menschlichen Magens. Auch war uns der Wind größtentheils ungünstig, und
die Räder mußten tüchtig in die entgegenstürmenden Fluthen einschlagen, um den
Widerstand derselben zu durchbrechen. Eine enge Kajüte voll Seekräuter Passa¬
giere gehört aber zu den größten Unannehmlichkeiten, die man im Tvuristen-
leben erdulden muß. -- Den weiten blauen Tüffelrock über seiner Uniform, den
Gvldstreif der Mütze unter einem Wachstuchüberzug, ging gemessenen Schrittes
der wachhabende Officier auf dem Verdeck auf und ab. mit scharfem Blick die
Aufmerksamkeit des am Steuerruder stehenden Matrosen überwachend. Es war
ein uoch junger, dabei gebildeter Mann, der schon weite Seereisen gemacht
hatte. Wie fast alle Dänen der gebildeten Stände sprach er deutsch zwar mit
fremdartigem Accent und nicht ganz richtig, sonst aber ziemlich geläufig. Unser
Gespräch hatte schon lange über die verschiedenartigsten Dinge, zuletzt über die
Küsten und Häfen des Mittelmeeres, steh friedlich gedreht, als ein Kopenhagener
Kaufmann sich zu uns gesellte. Mit einer brüsten Rohheit, die den Dänen nicht
selten eigen ist, und die vielen guten Eigenschaften ihres Nationalcharakters sehr ver¬
dunkelt, brachte dieser das Gespräch sogleich auf den letzten Krieg, den der See-
osstcier und ich bisher, wie sich von selbst verstand, vermieden hatten. Alles, was
Dänemark gethan, war nach seiner Ansicht groß und edel, und Deutschland und
Preußen hatte steh auf das Erbärmlichste benommen. Zuletzt meinte er, es sei
Mmüthige Schwäche des dänischen Obergenerals gewesen, daß er nach Jdstedt
'u'ehe das ganze Schleswig-holsteinsche Heer gefangen genommen habe. Als der
'vürdige Mann in den Angaben über die Einzelvvrfälle der letztern Kriegsjahre
^ zu viel Widersinniges vorbrachte, konnte ich mich nicht enthalten zu fragen,
"oder er denn alle diese authentischen Nachrichten so genau wisse. "Der Herr
in den letzten Jahren, wo wir im Felde waren, eifrig hinter seinem Laden-
ttsch gestanden, und Tuch verschnitten, der muß Alles am besten wissen," ant¬
wortete statt seiner der Seeofficier, sichtbar erzürnt über die Aufschneiderei seines
Landsmannes. Ziemlich beschämt murmelte der Prahler noch einige unverständ¬
liche dänische Worte, und verließ uns. Als sei weiter nichts vorgefallen, wandte
der Officier das Gespräch wieder auf das Mittelmeer zurück. Ob er und seine
Kameraden wußte", daß ich ihnen persönlich als Feind gegenüber gestanden habe,
vermag ich freilich nicht anzugeben. Am andern Morgen entzog uns ein dicker Nebel,
5"r Herbstzeit in den nördlichen Meeren so gewöhnlich, den stattlichen Anblick, den
Kopenhagen von der Seeseite gewährt. Es war, als wir in den Hafen einfuhren,
^' "donckigt", daß mau nicht vom Hintertheil des Schiffes bis zum Bugspriet sehen
^'unde. Ein Matrose läutete beständig die Schiffsglocke, um andere Fahrzeuge vor


Grenzboten. IV. -1861. 33

Die Passagiere der ersten Kajüte des „Stirner" waren nicht zahlreich,
da wenige Personen ans Deutschland jetzt zum Vergnügen in Dänemark reisen;
dazu fing die Seekrankheit bald an, unter ihnen zu wüthen. Diese kleine Ostsee
Mit ihren kurzen unregelmäßigen Wellen ist ein wahrer Teufel gegen die Ruhe
des menschlichen Magens. Auch war uns der Wind größtentheils ungünstig, und
die Räder mußten tüchtig in die entgegenstürmenden Fluthen einschlagen, um den
Widerstand derselben zu durchbrechen. Eine enge Kajüte voll Seekräuter Passa¬
giere gehört aber zu den größten Unannehmlichkeiten, die man im Tvuristen-
leben erdulden muß. — Den weiten blauen Tüffelrock über seiner Uniform, den
Gvldstreif der Mütze unter einem Wachstuchüberzug, ging gemessenen Schrittes
der wachhabende Officier auf dem Verdeck auf und ab. mit scharfem Blick die
Aufmerksamkeit des am Steuerruder stehenden Matrosen überwachend. Es war
ein uoch junger, dabei gebildeter Mann, der schon weite Seereisen gemacht
hatte. Wie fast alle Dänen der gebildeten Stände sprach er deutsch zwar mit
fremdartigem Accent und nicht ganz richtig, sonst aber ziemlich geläufig. Unser
Gespräch hatte schon lange über die verschiedenartigsten Dinge, zuletzt über die
Küsten und Häfen des Mittelmeeres, steh friedlich gedreht, als ein Kopenhagener
Kaufmann sich zu uns gesellte. Mit einer brüsten Rohheit, die den Dänen nicht
selten eigen ist, und die vielen guten Eigenschaften ihres Nationalcharakters sehr ver¬
dunkelt, brachte dieser das Gespräch sogleich auf den letzten Krieg, den der See-
osstcier und ich bisher, wie sich von selbst verstand, vermieden hatten. Alles, was
Dänemark gethan, war nach seiner Ansicht groß und edel, und Deutschland und
Preußen hatte steh auf das Erbärmlichste benommen. Zuletzt meinte er, es sei
Mmüthige Schwäche des dänischen Obergenerals gewesen, daß er nach Jdstedt
'u'ehe das ganze Schleswig-holsteinsche Heer gefangen genommen habe. Als der
'vürdige Mann in den Angaben über die Einzelvvrfälle der letztern Kriegsjahre
^ zu viel Widersinniges vorbrachte, konnte ich mich nicht enthalten zu fragen,
"oder er denn alle diese authentischen Nachrichten so genau wisse. „Der Herr
in den letzten Jahren, wo wir im Felde waren, eifrig hinter seinem Laden-
ttsch gestanden, und Tuch verschnitten, der muß Alles am besten wissen," ant¬
wortete statt seiner der Seeofficier, sichtbar erzürnt über die Aufschneiderei seines
Landsmannes. Ziemlich beschämt murmelte der Prahler noch einige unverständ¬
liche dänische Worte, und verließ uns. Als sei weiter nichts vorgefallen, wandte
der Officier das Gespräch wieder auf das Mittelmeer zurück. Ob er und seine
Kameraden wußte», daß ich ihnen persönlich als Feind gegenüber gestanden habe,
vermag ich freilich nicht anzugeben. Am andern Morgen entzog uns ein dicker Nebel,
5»r Herbstzeit in den nördlichen Meeren so gewöhnlich, den stattlichen Anblick, den
Kopenhagen von der Seeseite gewährt. Es war, als wir in den Hafen einfuhren,
^' „donckigt", daß mau nicht vom Hintertheil des Schiffes bis zum Bugspriet sehen
^'unde. Ein Matrose läutete beständig die Schiffsglocke, um andere Fahrzeuge vor


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[0261] Die Passagiere der ersten Kajüte des „Stirner" waren nicht zahlreich, da wenige Personen ans Deutschland jetzt zum Vergnügen in Dänemark reisen; dazu fing die Seekrankheit bald an, unter ihnen zu wüthen. Diese kleine Ostsee Mit ihren kurzen unregelmäßigen Wellen ist ein wahrer Teufel gegen die Ruhe des menschlichen Magens. Auch war uns der Wind größtentheils ungünstig, und die Räder mußten tüchtig in die entgegenstürmenden Fluthen einschlagen, um den Widerstand derselben zu durchbrechen. Eine enge Kajüte voll Seekräuter Passa¬ giere gehört aber zu den größten Unannehmlichkeiten, die man im Tvuristen- leben erdulden muß. — Den weiten blauen Tüffelrock über seiner Uniform, den Gvldstreif der Mütze unter einem Wachstuchüberzug, ging gemessenen Schrittes der wachhabende Officier auf dem Verdeck auf und ab. mit scharfem Blick die Aufmerksamkeit des am Steuerruder stehenden Matrosen überwachend. Es war ein uoch junger, dabei gebildeter Mann, der schon weite Seereisen gemacht hatte. Wie fast alle Dänen der gebildeten Stände sprach er deutsch zwar mit fremdartigem Accent und nicht ganz richtig, sonst aber ziemlich geläufig. Unser Gespräch hatte schon lange über die verschiedenartigsten Dinge, zuletzt über die Küsten und Häfen des Mittelmeeres, steh friedlich gedreht, als ein Kopenhagener Kaufmann sich zu uns gesellte. Mit einer brüsten Rohheit, die den Dänen nicht selten eigen ist, und die vielen guten Eigenschaften ihres Nationalcharakters sehr ver¬ dunkelt, brachte dieser das Gespräch sogleich auf den letzten Krieg, den der See- osstcier und ich bisher, wie sich von selbst verstand, vermieden hatten. Alles, was Dänemark gethan, war nach seiner Ansicht groß und edel, und Deutschland und Preußen hatte steh auf das Erbärmlichste benommen. Zuletzt meinte er, es sei Mmüthige Schwäche des dänischen Obergenerals gewesen, daß er nach Jdstedt 'u'ehe das ganze Schleswig-holsteinsche Heer gefangen genommen habe. Als der 'vürdige Mann in den Angaben über die Einzelvvrfälle der letztern Kriegsjahre ^ zu viel Widersinniges vorbrachte, konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, "oder er denn alle diese authentischen Nachrichten so genau wisse. „Der Herr in den letzten Jahren, wo wir im Felde waren, eifrig hinter seinem Laden- ttsch gestanden, und Tuch verschnitten, der muß Alles am besten wissen," ant¬ wortete statt seiner der Seeofficier, sichtbar erzürnt über die Aufschneiderei seines Landsmannes. Ziemlich beschämt murmelte der Prahler noch einige unverständ¬ liche dänische Worte, und verließ uns. Als sei weiter nichts vorgefallen, wandte der Officier das Gespräch wieder auf das Mittelmeer zurück. Ob er und seine Kameraden wußte», daß ich ihnen persönlich als Feind gegenüber gestanden habe, vermag ich freilich nicht anzugeben. Am andern Morgen entzog uns ein dicker Nebel, 5»r Herbstzeit in den nördlichen Meeren so gewöhnlich, den stattlichen Anblick, den Kopenhagen von der Seeseite gewährt. Es war, als wir in den Hafen einfuhren, ^' „donckigt", daß mau nicht vom Hintertheil des Schiffes bis zum Bugspriet sehen ^'unde. Ein Matrose läutete beständig die Schiffsglocke, um andere Fahrzeuge vor Grenzboten. IV. -1861. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/261>, abgerufen am 19.05.2024.