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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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sollen. Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß von den schönsten Werken unsrer
Dichter uns die Formlosigkeit der Darstellung nicht selten zurückscheucht. Die
Aufgabe der Theaterschule würde darin bestehen, vor Allem in die Form der
Darstellung, wie die Musikschule in der Behandlung der Musik, einen reinen
Kunststyl einzuführen. Gelänge es ihr, zunächst anch nur im Aeußern der Büh¬
nendarstellung eine durchweg gebildete Form zur Geltung zu bringen, so hätte sie
schon viel geleistet. Wie weitgreifend die Wirkungen der Bühne ans den Ge¬
schmack des Publicums sind, und wie einflußreich eine geschmackvolle Form auch
auf die Sitte, auf Geist und Herz zurückwirkt, bedarf keines Nachweises ans
psychischen Gesetzen. Die Theaterschulö soll keine Genies erzeugen, weil sie das
nicht kann; aber sie soll vorhandene Talente künstlerisch entwickeln, ihnen die
Mängel der Form abschleifen, die uns häufig sogar an den hervorragendsten Er¬
scheinungen der Bühne verletzen, die ergreifendsten Erfolge nicht selten beeinträch¬
tigen. Sie würde es dahin bringen, daß sich die Schauspielkunst ans ihrer
Zersplitterung in ein selbstliebendes Virtuosenthum wieder zur Erfüllung' ihrer
höchsten Aufgabe, einem allseitig durchgebildete" und künstlerisch geeinigten Ensemble,
zurückwendete. .Eine Uuiforiuirung und Nivellirung der Talente wäre uur daru-
m befürchten, wenn man die Schule unter die Herrschaft einseitiger Theoretiker
gerathen ließe, welche die individuelle Natur in die spanischen Stiefeln eines ab-
stracten Systems zwängen wollten. Falsche Leitung darf man aber nicht voraus¬
setzen, will man den Werth der Schule überhaupt abhandeln. Jede Gattung von
Schulen kaun falsch geleitet werden, und doch giebt es Schulen für alle Wissen¬
schaften und alle Künste. Die Technik der Schauspielkunst kann ohne allen
Zweifel gelehrt werden, und trotzdem sollte diese Kunst allein verurtheilt sein, stets
wild aufzuwachsen, und in ihren Blüthen fortdauernd vom Unkraut überwuchert zu
werden? Die Errichtung einer Theaterschnle möchte vielmehr nicht nur von Nutzen,
sondern ein Bedürfniß sein. Vielleicht könnte indessen die Frage aufgeworfen
werdeu,, ob ihre Verbindung mit der Akademie dem Zweck entspreche. Auch in
dieser Beziehung würden wir ohne Zögern mit einem bestimmten Ja erwidern. Ge¬
rade die Verbindung der drei Kunstschulen würde auf die freiere und mauuichf^-
digere Entwickelung jeder einzelnen von wesentlichem Einfluß sein. Ueberdies
würden ungleich reichere Mittel durch eine solche Anordnung jeder einzelnen An¬
stalt zu Gebote stehen, und die Kosten um ein Beträchtliches vermindert werde",
wenn die akademischen Sammlungen allen dreien nach Gesetz und Regel zu Gute
kämen. Der darstellende Künstler würde vom Bildhauer und Maler lernen
können, wie andererseits die mimischen und plastischen Uebungen des erstem dem
bildenden Künstler manchen Aufschluß, manche Einsicht eröffnen würden. Ans
solche Weise könnte ein fördernder Wechselverkehr, ein knnstgcbildetes PublicnM
für den Jünger der Kunst sich herstellen. Es lebt in diesem Centralisatiousgc-
dauten ein Hauch von dem Geiste griechischer Bildung.


sollen. Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß von den schönsten Werken unsrer
Dichter uns die Formlosigkeit der Darstellung nicht selten zurückscheucht. Die
Aufgabe der Theaterschule würde darin bestehen, vor Allem in die Form der
Darstellung, wie die Musikschule in der Behandlung der Musik, einen reinen
Kunststyl einzuführen. Gelänge es ihr, zunächst anch nur im Aeußern der Büh¬
nendarstellung eine durchweg gebildete Form zur Geltung zu bringen, so hätte sie
schon viel geleistet. Wie weitgreifend die Wirkungen der Bühne ans den Ge¬
schmack des Publicums sind, und wie einflußreich eine geschmackvolle Form auch
auf die Sitte, auf Geist und Herz zurückwirkt, bedarf keines Nachweises ans
psychischen Gesetzen. Die Theaterschulö soll keine Genies erzeugen, weil sie das
nicht kann; aber sie soll vorhandene Talente künstlerisch entwickeln, ihnen die
Mängel der Form abschleifen, die uns häufig sogar an den hervorragendsten Er¬
scheinungen der Bühne verletzen, die ergreifendsten Erfolge nicht selten beeinträch¬
tigen. Sie würde es dahin bringen, daß sich die Schauspielkunst ans ihrer
Zersplitterung in ein selbstliebendes Virtuosenthum wieder zur Erfüllung' ihrer
höchsten Aufgabe, einem allseitig durchgebildete» und künstlerisch geeinigten Ensemble,
zurückwendete. .Eine Uuiforiuirung und Nivellirung der Talente wäre uur daru-
m befürchten, wenn man die Schule unter die Herrschaft einseitiger Theoretiker
gerathen ließe, welche die individuelle Natur in die spanischen Stiefeln eines ab-
stracten Systems zwängen wollten. Falsche Leitung darf man aber nicht voraus¬
setzen, will man den Werth der Schule überhaupt abhandeln. Jede Gattung von
Schulen kaun falsch geleitet werden, und doch giebt es Schulen für alle Wissen¬
schaften und alle Künste. Die Technik der Schauspielkunst kann ohne allen
Zweifel gelehrt werden, und trotzdem sollte diese Kunst allein verurtheilt sein, stets
wild aufzuwachsen, und in ihren Blüthen fortdauernd vom Unkraut überwuchert zu
werden? Die Errichtung einer Theaterschnle möchte vielmehr nicht nur von Nutzen,
sondern ein Bedürfniß sein. Vielleicht könnte indessen die Frage aufgeworfen
werdeu,, ob ihre Verbindung mit der Akademie dem Zweck entspreche. Auch in
dieser Beziehung würden wir ohne Zögern mit einem bestimmten Ja erwidern. Ge¬
rade die Verbindung der drei Kunstschulen würde auf die freiere und mauuichf^-
digere Entwickelung jeder einzelnen von wesentlichem Einfluß sein. Ueberdies
würden ungleich reichere Mittel durch eine solche Anordnung jeder einzelnen An¬
stalt zu Gebote stehen, und die Kosten um ein Beträchtliches vermindert werde»,
wenn die akademischen Sammlungen allen dreien nach Gesetz und Regel zu Gute
kämen. Der darstellende Künstler würde vom Bildhauer und Maler lernen
können, wie andererseits die mimischen und plastischen Uebungen des erstem dem
bildenden Künstler manchen Aufschluß, manche Einsicht eröffnen würden. Ans
solche Weise könnte ein fördernder Wechselverkehr, ein knnstgcbildetes PublicnM
für den Jünger der Kunst sich herstellen. Es lebt in diesem Centralisatiousgc-
dauten ein Hauch von dem Geiste griechischer Bildung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/408>, abgerufen am 26.05.2024.