Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bulwer ist zu seinen Verirrungen durch zwei Seiten seines Charakters ver¬
führt, die man bei ihm gleichmäßig in'S Ange fassen muß: einmal durch jene
krankhafte Eitelkeit, die mit Gewalt darauf ausgeht, etwas Unerhörtes, nie Da¬
gewesenes zu sagen, ohne allen innern schöpferischen Drang, die bei aller Nüch¬
ternheit des Verstandes zu schlimmern Abwegen führt, als die Energie der Lei¬
denschaft, sodann durch eine gewisse sentimentale Auffassung des Lebens, der die
Welt in einen grauen Nebelflor gehüllt erscheint, und die etwas Großes gethan
zu haben glaubt, wenn sie ihrem edlen Herzen Resignation in dieses Reich des
Bösen gebietet. Diese Blasirtheit, welche bei den neuesten Novellisten, nament¬
lich bei Thackeray und seiner Schule, sich ans eine höchst bedenkliche Weise aus¬
breitet, ist keineswegs mit einem weit getriebenen Idealismus unverträglich, sie
geht vielmehr unmittelbar daraus hervor, wenn er mit Unfruchtbarkeit verbunden
ist, wenn die Intentionen über die Kräfte Hinausgehen. Das Letzte
ist bei Bulwer überall der Fall. Es gibt keinen Novellisten, der sich in so breite
und pathetische Raisonnements einläßt wie er. Ganz nach Weiberart bildet er
sich ein, alle Philosophien durchstudirt und überwunden zu haben, während er
doch nur einen ganz oberflächlichen Anflug von ihnen empfangen hat. Er philo-
sophirt, weil er uicht die Kraft hat, seine Probleme zu lebendigen Gestaltungen
zu verarbeiten, und er ist Eklektiker in der Philosophie, weil er nicht die Energie
besitzt, ein bestimmtes Princip festzuhalten. Man kann ihn mit den Socialisten
vergleichen, die auch der Vorsehung die unvernünftigsten Fragen vorlegen und mit
dem größten Ungestüm aus ihre Erledigung dringen, bis sie sich endlich mit der
Tändelei eines beliebigen Einfalls, den ein Kind widerlegen könnte, vollständig
Genüge thun. -- Daher ist Bulwer auch ebenso wie Jean Paul fast ausschlie߬
lich pathetisch oder satyrisch, d. h. er postulirt oder er kritistrt. Von einer
reinen Freude an der Welt der Erscheinung ist selten die Rede.

Dieselbe Großmannssucht hat ihn auch in der Politik irre geführt. In seinem
eignen parlamentarischen Leben wie in seinen Schriften, namentlich in dem Werk
über England und die Engländer, bekennt er sich zwar im Allgemeinen zum libe¬
ralen Princip, aber schließt sich keiner bestimmten Partei an; er ist mit Allen
gleichmäßig unzufrieden, er übersieht die Grundregel alles politischen Verhaltens,
daß man nur in der Mitte einer wirklichen Gemeinschaft sür seinen Zweck wirken
kann, möge man sich ihr unterordnen oder sie beherrschen, daß aber jede Partei
einen bestimmten, also endlichen Charakter trägt/den der Kritiker aus der Vogel-
perspective wol übersieht, der aber den Politiker nicht irren darf. Im Gegentheil
wird der subjective Idealismus sich um so ablehnender gegen die wirkliche Politik
verhalten, je inhaltloser er ist. Auch in dieser Beziehung hat Bulwer viel Ver¬
wandtschaft mit unserm Gutzkow, der einmal ein politisch-philosophisches Werk
unter Bulwer's Namen schrieb und in der That die Aehnliche'eit bis zum Ver¬
wechseln getroffen hat, nnr daß der Engländer doch immer mehr Form und


Bulwer ist zu seinen Verirrungen durch zwei Seiten seines Charakters ver¬
führt, die man bei ihm gleichmäßig in'S Ange fassen muß: einmal durch jene
krankhafte Eitelkeit, die mit Gewalt darauf ausgeht, etwas Unerhörtes, nie Da¬
gewesenes zu sagen, ohne allen innern schöpferischen Drang, die bei aller Nüch¬
ternheit des Verstandes zu schlimmern Abwegen führt, als die Energie der Lei¬
denschaft, sodann durch eine gewisse sentimentale Auffassung des Lebens, der die
Welt in einen grauen Nebelflor gehüllt erscheint, und die etwas Großes gethan
zu haben glaubt, wenn sie ihrem edlen Herzen Resignation in dieses Reich des
Bösen gebietet. Diese Blasirtheit, welche bei den neuesten Novellisten, nament¬
lich bei Thackeray und seiner Schule, sich ans eine höchst bedenkliche Weise aus¬
breitet, ist keineswegs mit einem weit getriebenen Idealismus unverträglich, sie
geht vielmehr unmittelbar daraus hervor, wenn er mit Unfruchtbarkeit verbunden
ist, wenn die Intentionen über die Kräfte Hinausgehen. Das Letzte
ist bei Bulwer überall der Fall. Es gibt keinen Novellisten, der sich in so breite
und pathetische Raisonnements einläßt wie er. Ganz nach Weiberart bildet er
sich ein, alle Philosophien durchstudirt und überwunden zu haben, während er
doch nur einen ganz oberflächlichen Anflug von ihnen empfangen hat. Er philo-
sophirt, weil er uicht die Kraft hat, seine Probleme zu lebendigen Gestaltungen
zu verarbeiten, und er ist Eklektiker in der Philosophie, weil er nicht die Energie
besitzt, ein bestimmtes Princip festzuhalten. Man kann ihn mit den Socialisten
vergleichen, die auch der Vorsehung die unvernünftigsten Fragen vorlegen und mit
dem größten Ungestüm aus ihre Erledigung dringen, bis sie sich endlich mit der
Tändelei eines beliebigen Einfalls, den ein Kind widerlegen könnte, vollständig
Genüge thun. — Daher ist Bulwer auch ebenso wie Jean Paul fast ausschlie߬
lich pathetisch oder satyrisch, d. h. er postulirt oder er kritistrt. Von einer
reinen Freude an der Welt der Erscheinung ist selten die Rede.

Dieselbe Großmannssucht hat ihn auch in der Politik irre geführt. In seinem
eignen parlamentarischen Leben wie in seinen Schriften, namentlich in dem Werk
über England und die Engländer, bekennt er sich zwar im Allgemeinen zum libe¬
ralen Princip, aber schließt sich keiner bestimmten Partei an; er ist mit Allen
gleichmäßig unzufrieden, er übersieht die Grundregel alles politischen Verhaltens,
daß man nur in der Mitte einer wirklichen Gemeinschaft sür seinen Zweck wirken
kann, möge man sich ihr unterordnen oder sie beherrschen, daß aber jede Partei
einen bestimmten, also endlichen Charakter trägt/den der Kritiker aus der Vogel-
perspective wol übersieht, der aber den Politiker nicht irren darf. Im Gegentheil
wird der subjective Idealismus sich um so ablehnender gegen die wirkliche Politik
verhalten, je inhaltloser er ist. Auch in dieser Beziehung hat Bulwer viel Ver¬
wandtschaft mit unserm Gutzkow, der einmal ein politisch-philosophisches Werk
unter Bulwer's Namen schrieb und in der That die Aehnliche'eit bis zum Ver¬
wechseln getroffen hat, nnr daß der Engländer doch immer mehr Form und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91330"/>
          <p xml:id="ID_384"> Bulwer ist zu seinen Verirrungen durch zwei Seiten seines Charakters ver¬<lb/>
führt, die man bei ihm gleichmäßig in'S Ange fassen muß: einmal durch jene<lb/>
krankhafte Eitelkeit, die mit Gewalt darauf ausgeht, etwas Unerhörtes, nie Da¬<lb/>
gewesenes zu sagen, ohne allen innern schöpferischen Drang, die bei aller Nüch¬<lb/>
ternheit des Verstandes zu schlimmern Abwegen führt, als die Energie der Lei¬<lb/>
denschaft, sodann durch eine gewisse sentimentale Auffassung des Lebens, der die<lb/>
Welt in einen grauen Nebelflor gehüllt erscheint, und die etwas Großes gethan<lb/>
zu haben glaubt, wenn sie ihrem edlen Herzen Resignation in dieses Reich des<lb/>
Bösen gebietet. Diese Blasirtheit, welche bei den neuesten Novellisten, nament¬<lb/>
lich bei Thackeray und seiner Schule, sich ans eine höchst bedenkliche Weise aus¬<lb/>
breitet, ist keineswegs mit einem weit getriebenen Idealismus unverträglich, sie<lb/>
geht vielmehr unmittelbar daraus hervor, wenn er mit Unfruchtbarkeit verbunden<lb/>
ist, wenn die Intentionen über die Kräfte Hinausgehen. Das Letzte<lb/>
ist bei Bulwer überall der Fall. Es gibt keinen Novellisten, der sich in so breite<lb/>
und pathetische Raisonnements einläßt wie er. Ganz nach Weiberart bildet er<lb/>
sich ein, alle Philosophien durchstudirt und überwunden zu haben, während er<lb/>
doch nur einen ganz oberflächlichen Anflug von ihnen empfangen hat. Er philo-<lb/>
sophirt, weil er uicht die Kraft hat, seine Probleme zu lebendigen Gestaltungen<lb/>
zu verarbeiten, und er ist Eklektiker in der Philosophie, weil er nicht die Energie<lb/>
besitzt, ein bestimmtes Princip festzuhalten. Man kann ihn mit den Socialisten<lb/>
vergleichen, die auch der Vorsehung die unvernünftigsten Fragen vorlegen und mit<lb/>
dem größten Ungestüm aus ihre Erledigung dringen, bis sie sich endlich mit der<lb/>
Tändelei eines beliebigen Einfalls, den ein Kind widerlegen könnte, vollständig<lb/>
Genüge thun. &#x2014; Daher ist Bulwer auch ebenso wie Jean Paul fast ausschlie߬<lb/>
lich pathetisch oder satyrisch, d. h. er postulirt oder er kritistrt. Von einer<lb/>
reinen Freude an der Welt der Erscheinung ist selten die Rede.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_385" next="#ID_386"> Dieselbe Großmannssucht hat ihn auch in der Politik irre geführt. In seinem<lb/>
eignen parlamentarischen Leben wie in seinen Schriften, namentlich in dem Werk<lb/>
über England und die Engländer, bekennt er sich zwar im Allgemeinen zum libe¬<lb/>
ralen Princip, aber schließt sich keiner bestimmten Partei an; er ist mit Allen<lb/>
gleichmäßig unzufrieden, er übersieht die Grundregel alles politischen Verhaltens,<lb/>
daß man nur in der Mitte einer wirklichen Gemeinschaft sür seinen Zweck wirken<lb/>
kann, möge man sich ihr unterordnen oder sie beherrschen, daß aber jede Partei<lb/>
einen bestimmten, also endlichen Charakter trägt/den der Kritiker aus der Vogel-<lb/>
perspective wol übersieht, der aber den Politiker nicht irren darf. Im Gegentheil<lb/>
wird der subjective Idealismus sich um so ablehnender gegen die wirkliche Politik<lb/>
verhalten, je inhaltloser er ist. Auch in dieser Beziehung hat Bulwer viel Ver¬<lb/>
wandtschaft mit unserm Gutzkow, der einmal ein politisch-philosophisches Werk<lb/>
unter Bulwer's Namen schrieb und in der That die Aehnliche'eit bis zum Ver¬<lb/>
wechseln getroffen hat, nnr daß der Engländer doch immer mehr Form und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0137] Bulwer ist zu seinen Verirrungen durch zwei Seiten seines Charakters ver¬ führt, die man bei ihm gleichmäßig in'S Ange fassen muß: einmal durch jene krankhafte Eitelkeit, die mit Gewalt darauf ausgeht, etwas Unerhörtes, nie Da¬ gewesenes zu sagen, ohne allen innern schöpferischen Drang, die bei aller Nüch¬ ternheit des Verstandes zu schlimmern Abwegen führt, als die Energie der Lei¬ denschaft, sodann durch eine gewisse sentimentale Auffassung des Lebens, der die Welt in einen grauen Nebelflor gehüllt erscheint, und die etwas Großes gethan zu haben glaubt, wenn sie ihrem edlen Herzen Resignation in dieses Reich des Bösen gebietet. Diese Blasirtheit, welche bei den neuesten Novellisten, nament¬ lich bei Thackeray und seiner Schule, sich ans eine höchst bedenkliche Weise aus¬ breitet, ist keineswegs mit einem weit getriebenen Idealismus unverträglich, sie geht vielmehr unmittelbar daraus hervor, wenn er mit Unfruchtbarkeit verbunden ist, wenn die Intentionen über die Kräfte Hinausgehen. Das Letzte ist bei Bulwer überall der Fall. Es gibt keinen Novellisten, der sich in so breite und pathetische Raisonnements einläßt wie er. Ganz nach Weiberart bildet er sich ein, alle Philosophien durchstudirt und überwunden zu haben, während er doch nur einen ganz oberflächlichen Anflug von ihnen empfangen hat. Er philo- sophirt, weil er uicht die Kraft hat, seine Probleme zu lebendigen Gestaltungen zu verarbeiten, und er ist Eklektiker in der Philosophie, weil er nicht die Energie besitzt, ein bestimmtes Princip festzuhalten. Man kann ihn mit den Socialisten vergleichen, die auch der Vorsehung die unvernünftigsten Fragen vorlegen und mit dem größten Ungestüm aus ihre Erledigung dringen, bis sie sich endlich mit der Tändelei eines beliebigen Einfalls, den ein Kind widerlegen könnte, vollständig Genüge thun. — Daher ist Bulwer auch ebenso wie Jean Paul fast ausschlie߬ lich pathetisch oder satyrisch, d. h. er postulirt oder er kritistrt. Von einer reinen Freude an der Welt der Erscheinung ist selten die Rede. Dieselbe Großmannssucht hat ihn auch in der Politik irre geführt. In seinem eignen parlamentarischen Leben wie in seinen Schriften, namentlich in dem Werk über England und die Engländer, bekennt er sich zwar im Allgemeinen zum libe¬ ralen Princip, aber schließt sich keiner bestimmten Partei an; er ist mit Allen gleichmäßig unzufrieden, er übersieht die Grundregel alles politischen Verhaltens, daß man nur in der Mitte einer wirklichen Gemeinschaft sür seinen Zweck wirken kann, möge man sich ihr unterordnen oder sie beherrschen, daß aber jede Partei einen bestimmten, also endlichen Charakter trägt/den der Kritiker aus der Vogel- perspective wol übersieht, der aber den Politiker nicht irren darf. Im Gegentheil wird der subjective Idealismus sich um so ablehnender gegen die wirkliche Politik verhalten, je inhaltloser er ist. Auch in dieser Beziehung hat Bulwer viel Ver¬ wandtschaft mit unserm Gutzkow, der einmal ein politisch-philosophisches Werk unter Bulwer's Namen schrieb und in der That die Aehnliche'eit bis zum Ver¬ wechseln getroffen hat, nnr daß der Engländer doch immer mehr Form und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/137>, abgerufen am 10.06.2024.