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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Plastik bewahrt, als der Deutsche. -- Auch D'Jsraeli hat in seinem Coningsby
ein ähnliches Experiment mit den Tories versucht, wie Bulwer in seinem Pelham
mit den Whigs, nur daß der Erstere praktischer und gemeiner ist. Er polemisirt
gegen R. Peel mit idealen Phrasen von Freiheit und Recht und verkauft sich
dabei der gedankenlosesten Aristokratie. -- Bulwer gehört zu der vornehmen
Bourgeoisie, die vor den kleinen Aristokraten, aus deren Kreise Walter Scott
hervorging, den umfassenderen Blick und die größere Bildung voraus hat, die
aber dadurch im entschiedenen Nachtheil steht, daß ihr die Tradition und die
sichere Regel fehlt. Er spielt gar zu gern den Mann von Welt, der die Schwä¬
chen der menschlichen Natur durchschaut, den Diplomaten, der Herr über alle
Formen ist, obgleich er sie innerlich gering schätzt, und er bringt dies weltmännische
Wesen auch in Fällen vor, wo der gesunde Menschenverstand und das natürliche
Gefühl allein mitsprechen sollten. Wie ein unbeschäftigter Diplomat, sieht und denkt
er in Epigrammen und Antithesen, er kennt weder System noch Totalität. Die
Goethe'sche Weltanschauung hat darin einen sehr nachtheiligen Einfluß auf ihn
ausgeübt. Ueberhaupt sollten wir Liberalen, um das Verhältniß Bulwer's zu
Walter Scott allgemeiner zu fassen, uns stets daran erinnern, daß es für uns,
die wir vollkommen vorurtheilsfrei und mit einer viel umfassenderen Bildung in die
Welt treten, als die alte Aristokratie, viel schwerer ist, uns in ein bestimmtes,
endliches und doch ideales Interesse zu versenken, als für die Tories, die zwar
einen Wust vou Vorurtheilen, aber auch eine lebendige Tradition mitbringen,
durch allmälige Fortbildung ihre beschränkten Interessen und Ideen der allgemei¬
nen Bildung unterzuordnen. Wir sind zu wenig an Disciplin und an jenes
Gemeingefühl gewöhnt, welches sich nothwendiger Weise zuerst als esprit ctg oorps
geltend macht, wir sind allzu geneigt, uns im Bewußtsein unsers bessern Willens
und unserer höhern Einsicht von der Partei zu sondern und dem Labyrinth
unserer eignen Gedanken nachzugehen. Auch der Dienst der Freiheit verlangt
Disciplin und Gehorsam, und der weiteste, umfassendste Blick reicht nicht aus,
wenn man' den Wald vor Bäumen nicht sieht.

In der Auffassung der Geschichte findet ein ähnliches Verhältniß statt.
Walter Scott, der gebildete Tory, ist einseitig, naiv, aber, weil er seine eigne
Partei aus concreter Anschauung kennt und ihre Vorurtheile wie ihren Enthusias¬
mus in lebendigem Mitgefühl trägt, versteht er auch die Vorurtheile und Ideen
seiner Gegner in plastischer Lebendigkeit wiederzugeben. Bulwer dagegen, der un¬
parteiische und liberale Politiker, der uach alleu Seiten hin gerecht werden möchte
und mit keiner innig verwachsen ist, thut eigentlich allen Unrecht; er wendet überall
das Mikroskop an und steht daher Alles in falschen Farben und Verhältnissen,
es malt sich bei ihm Alles Grau in Grau, und wenn er ans dem richtigen Ge¬
fühl, daß sein Gemälde zu verwaschen aussteht, demselben mechanisch eine Reihe
pikanter Anekdoten anklebt, die ihm seine Gelehrsamkeit vermittelt, so stehen diese


Plastik bewahrt, als der Deutsche. — Auch D'Jsraeli hat in seinem Coningsby
ein ähnliches Experiment mit den Tories versucht, wie Bulwer in seinem Pelham
mit den Whigs, nur daß der Erstere praktischer und gemeiner ist. Er polemisirt
gegen R. Peel mit idealen Phrasen von Freiheit und Recht und verkauft sich
dabei der gedankenlosesten Aristokratie. — Bulwer gehört zu der vornehmen
Bourgeoisie, die vor den kleinen Aristokraten, aus deren Kreise Walter Scott
hervorging, den umfassenderen Blick und die größere Bildung voraus hat, die
aber dadurch im entschiedenen Nachtheil steht, daß ihr die Tradition und die
sichere Regel fehlt. Er spielt gar zu gern den Mann von Welt, der die Schwä¬
chen der menschlichen Natur durchschaut, den Diplomaten, der Herr über alle
Formen ist, obgleich er sie innerlich gering schätzt, und er bringt dies weltmännische
Wesen auch in Fällen vor, wo der gesunde Menschenverstand und das natürliche
Gefühl allein mitsprechen sollten. Wie ein unbeschäftigter Diplomat, sieht und denkt
er in Epigrammen und Antithesen, er kennt weder System noch Totalität. Die
Goethe'sche Weltanschauung hat darin einen sehr nachtheiligen Einfluß auf ihn
ausgeübt. Ueberhaupt sollten wir Liberalen, um das Verhältniß Bulwer's zu
Walter Scott allgemeiner zu fassen, uns stets daran erinnern, daß es für uns,
die wir vollkommen vorurtheilsfrei und mit einer viel umfassenderen Bildung in die
Welt treten, als die alte Aristokratie, viel schwerer ist, uns in ein bestimmtes,
endliches und doch ideales Interesse zu versenken, als für die Tories, die zwar
einen Wust vou Vorurtheilen, aber auch eine lebendige Tradition mitbringen,
durch allmälige Fortbildung ihre beschränkten Interessen und Ideen der allgemei¬
nen Bildung unterzuordnen. Wir sind zu wenig an Disciplin und an jenes
Gemeingefühl gewöhnt, welches sich nothwendiger Weise zuerst als esprit ctg oorps
geltend macht, wir sind allzu geneigt, uns im Bewußtsein unsers bessern Willens
und unserer höhern Einsicht von der Partei zu sondern und dem Labyrinth
unserer eignen Gedanken nachzugehen. Auch der Dienst der Freiheit verlangt
Disciplin und Gehorsam, und der weiteste, umfassendste Blick reicht nicht aus,
wenn man' den Wald vor Bäumen nicht sieht.

In der Auffassung der Geschichte findet ein ähnliches Verhältniß statt.
Walter Scott, der gebildete Tory, ist einseitig, naiv, aber, weil er seine eigne
Partei aus concreter Anschauung kennt und ihre Vorurtheile wie ihren Enthusias¬
mus in lebendigem Mitgefühl trägt, versteht er auch die Vorurtheile und Ideen
seiner Gegner in plastischer Lebendigkeit wiederzugeben. Bulwer dagegen, der un¬
parteiische und liberale Politiker, der uach alleu Seiten hin gerecht werden möchte
und mit keiner innig verwachsen ist, thut eigentlich allen Unrecht; er wendet überall
das Mikroskop an und steht daher Alles in falschen Farben und Verhältnissen,
es malt sich bei ihm Alles Grau in Grau, und wenn er ans dem richtigen Ge¬
fühl, daß sein Gemälde zu verwaschen aussteht, demselben mechanisch eine Reihe
pikanter Anekdoten anklebt, die ihm seine Gelehrsamkeit vermittelt, so stehen diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/138>, abgerufen am 04.06.2024.